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Ausgabe:

Juni/2008

Spalte:

623–625

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gmirkin, Russell E.

Titel/Untertitel:

Berossus and Genesis, Manetho and Exodus. Hellenistic Histories and the Date of the Pentateuch.

Verlag:

New York-London: T & T Clark 2006. XII, 332 S. 8° = Library of Hebrew Bible. Old Testament Studies, 433. Geb. US$ 140,00. ISBN 0-567-02592-6.

Rezensent:

Markus Witte

Folgt man den mit großem Selbstbewusstsein vorgetragenen Thesen G.s, sind die Fragen nach Zeit, Ort und Umständen der Entstehung des Pentateuchs nun endgültig beantwortet: Der Pentateuch ist in den Jahren 273/272 v. Chr. von jüdischen Gelehrten in Alexandria unter Benutzung der (heute nur noch fragmentarisch erhaltenen) Werke des Berossus und des Manetho als jüdische Ursprungsgeschichte auf Hebräisch abgefasst und kurze Zeit später von demsel­ben Autorenkreis ins Griechische übertragen worden, um in der Bibliothek von Alexandria selbstgewichtig neben die Babyloniaka und die Aegyptiaca zu treten. Den terminus ad quem bilde die Septuaginta als die früheste externe Bezeugung des Pentateuchs, die nach dem Aristeasbrief auf das Jahr 269 v. Chr. zu datieren sei. Die These einer zeitlichen und lokalen Korrelierung von Pentateuchkomposition, allerdings im Sinn letzter redaktioneller Überarbeitungen (!), und Septuagintaentstehung ist an sich bedenkenswert. Ebenso ist angesichts später Fortschreibungen z. B. in der Urgeschichte (Gen 1–11) oder in der Bileamperikope (Num 22–24) die Annahme von Bezügen des Pentateuchs zu politischen Verhältnissen der hellenistischen Zeit nicht grundsätzlich abzuweisen. Gleichwohl erheben sich gegen die Art und Weise, wie G. seine These begründet, wie er die biblischen und außerbiblischen Quellen exegetisch behandelt, aber auch, wie er mit der Forschung um­geht, schwere Bedenken.
Eröffnend bietet G. eine Auswahl unterschiedlicher Modelle zur Bestimmung der Komposition des Pentateuchs, die er entweder als historiographisch orientiert (so bei J. Wellhausen, P. R. Davies oder R. Albertz), als induktiv-analog vorgehend (so bei J. Van Seters, G. Garbini und D. Redford) oder als deduktiv ausgerichtet (so bei N. P. Lemche und Th. L. Thompson) klassifiziert (Kapitel 1). Für sich selbst beansprucht G. einen deduktiven Zugang mit Elementen eines induktiven Weges, d. h. feste historische Daten, die Benutzung datierbarer Quellen, die Zitation in sicher datierbaren Schriften sowie Parallelen zu anderen Werken, die aus einem vergleichbaren Milieu stammen, bilden den Rahmen zur Bestimmung von Zeit, Ort und Intention eines Werkes, nicht binnentextliche und geistesgeschichtliche Rekonstruktionen oder die Herausarbeitung von Strukturanalogien, die auf eine Nachzeichnung der Überlieferungs- und Beeinflussungswege verzichtet. Ein zweites Kapitel ist der klassischen Urkundenhypothese gewidmet, deren Annahme von vier redaktionell verknüpften Quellen (J, E, P, D) und deren chronologischen Rahmen G. mit seinen Thesen für widerlegt hält.
G.s Darstellung der Urkundenhypothese selbst ist wenig differenziert und nicht aus den Primärwerken gewonnen; eine Auseinandersetzung mit der neueren Pentateuchkritik, zumal in ihrer redaktionsgeschichtlichen Ausprägung, findet nicht statt. Pentateuchtexte außerhalb der Urgeschichte und der Exoduserzählung spielen für G. keine Rolle: Die Entstehung dieser beiden Erzählkomplexe ist für ihn gleichbedeutend mit der Komposition des Pentateuchs. Dass seine These für die Literargeschichte der gesamten Hebräischen Bibel erhebliche Konsequenzen hat, wird von G. zwar angemerkt, aber weder im Blick auf den Deuteronomismus noch auf das literar- und traditionsgeschichtliche Verhältnis zwischen den Überlieferungskomplexen der Tora und der Nebiim reflektiert.
Kapitel 3 und 4 behandeln im Sinn von Prolegomena zum literatur- und überlieferungsgeschichtlichen Verhältnis zwischen dem Pentateuch und paganen griechischen Autoren zunächst Hekataios von Abdera, Diodor von Sizilien, Theophrast und Theophanes von Mytilene, sodann den jüdisch-hellenistischen Exegeten Aristobul und die Septuaginta. Als Ergebnis hält G. fest, dass griechische Autoren jüdische Schriften erst über die Septuaginta erhielten, dass Aristobul der Verfasser des Aristeasbriefes sei und dass Aristobul selbst auf dem Werk des Hekataios von Abdera basiere. Dass G. die Septuaginta als sprachlich homogen bezeichnet, ist nur eine der vielen Merkwürdigkeiten in diesem Abschnitt des Buches.
Da G. es für ausgeschlossen hält, dass mesopotamische Traditi­onen bereits im 2. Jt. v. Chr. »Israel« beeinflusst haben könnten und dass jüdische Autoren im 1. Jt. v. Chr. Zugang zu keilschriftlicher Literatur gehabt haben könnten, kommt für ihn als Vermittler der in der Forschung schon lange gesehenen Parallelen, die zwischen Gen 1–11 einerseits und dem Atramchasis-Epos, dem Gilgamesch-Epos, der Sumerischen Königsliste, dem Erra-Epos oder dem Enuma Elisch andererseits bestehen, nur der babylonische Priester Berossus (nach 278 v. Chr.) in Frage, dessen griechische Darstellung der Urgeschichte jüdische Gelehrte in hellenistischer Zeit ohne Zweifel hätten lesen können (Kapitel 5). Richtig beobachtet ist, dass die Urgeschichte im Rahmen des Pentateuchs ein literargeschichtlicher Spätling ist. Problematisch ist, dass G. Gen 1–11 keiner eigenständigen literarischen Analyse unterzieht. Die auch von ihm wahrgenommenen stilistischen und inhaltlichen Differenzen lassen sich kaum überzeugend als Spiegel der disparaten sozialen Zusammensetzung eines Pentateuchautorenkollektivs erklären. Eine Vermittlung mesopotamischer Überlieferungen nach Palästina über die Aramäer kommt bei G. nicht in den Blick – ganz zu schweigen von den (wenn auch nicht allzu umfangreichen) keilschriftlichen Textfunden und ikonographischen Quellen in Paläs­tina.
Eine Einzelkritik der vielen Hypothesen, die G. hier aufstellt, sei es, dass Gilgamesch und Enkidu als Prototypen Kains und Abels bezeichnet werden, sei es, dass die fischgestaltige babylonische Ur­zeitfigur des Oannes als Vorbild der Schlange in Gen 3 betrachtet wird oder dass die auch inschriftlich zu belegende Unterscheidung zwischen älterem und jüngerem Hebräisch nicht mit einem knappen Satz zur geringen epigraphischen Datenbasis aufzuheben ist, kann hier nicht erfolgen. Es sei nur darauf hingewiesen, dass die Datierung der Flut in der priesterschriftlichen Schicht von Gen 6–9 nicht so einmalig ist, wie G. behauptet, wenn man nur den tetrateuchweiten Horizont von P berücksichtigt, und dass ein ägyptischer Einfluss auf Gen 1 gegen G. kaum zu leugnen ist.
Hinsichtlich der Erzählung von Noahs Weinberg (Gen 9,18–27) und der Völkertafel in Gen 10 (Kapitel 6) bestreitet G. nicht die literarische Mehrschichtigkeit, hält aber die P- und J-Anteile für zeitglei­che Reflexe auf die Auseinandersetzungen zwischen dem Ptole­mäer­reich (repräsentiert durch Ham), dem Seleukidenreich (repräsen­tiert durch Sem) und dem restlichen Kleinasien und Me­so­­potamien (repräsentiert durch Japhet) am Ende des 1. Syrischen Krieges.
Die Kapitel 7–10 sind dem Verhältnis zwischen der biblischen Darstellung des Exodus und der »Geschichte Ägyptens« des Manetho (285/280 v. Chr.) gewidmet. Danach steht für G. die biblische Exoduserzählung am Ende eines fünfstufigen Überlieferungsprozesses: 1. Die Epoche der Hyksos sei zunächst in zeitgenössischen Quellen neutral reflektiert , 2. in späteren ägyptischen Quellen als Bedrückungszeit interpretiert, 3. in der Zeit der persischen Hegemonie über Ägypten aktualisiert und schließlich 4. von Manetho rezipiert worden. Die biblische Exodusdarstellung enthalte 5. keine historischen Anhaltspunkte, sondern stelle eine jüdische Antwort auf Manetho dar. Die biblischen Erzählungen und Rituale, die um Fragen körperlicher Unreinheit kreisen, wie z. B. Ex 4,6 f.; Num 12,10; Lev 13–14; 21,17–23; Num 5,2 oder Dtn 28,60, werden als jüdische Polemik auf Manethos Darstellung des Auszugs unreiner Ägypter verstanden. Als Vorbild des Mose wird der letzte Pharao Nektanebos II. angesprochen, mit dem der biblische Held die ägyptische Herkunft, das Schicksal der Vertreibung, magische Fähigkeiten und den Impetus zur Befreiung des eigenen Volkes teile. Literarische Quellen des »biblischen Moseromans« seien demzufolge der »Traum des Nektanebos«, die »Demotische Chronik« und der »Alexanderroman«. Schließlich passen nach G. auch die geographischen Angaben des biblischen Exodus und die Schilderung des Durchzugs durch das Schilfmeer am besten zu den Itineraren und Kanalbauprojekten der frühen Ptolemäer.
Alle diese Ergebnisse werden von G. aber nicht mittels einer exa­kten literar-, überlieferungs- und traditionsgeschichtlichen Analyse von Ex 1–14 erzielt, sondern lediglich über flächige Vergleiche von Motivparallelen zwischen Ma­nethos Werk, den genannten ägyptischen und griechischen Texten und dem Buch Exodus sowie über Korrelationen mit historischen Ereignissen der frühhellenistischen Zeit.
Appendizes zur literarischen Abhängigkeit der Indiaka des Megasthenes von Berossus, zur Bedeutung der Darstellung der jüdischen politischen Verfassung durch Theophanes von Mytilene für die römische Geschichtsschreibung, zur Relevanz des Samaritanischen Pentateuchs für die Datierung der masoretischen Tora, zum geographisch-historiographischen Hintergrund von Gen 2,10–14, zur Identifizierung des in der Nora-Inschrift (vgl. KAI 46) genannten Ortes tršš mit Tarsus sowie zur Verbindung zwischen dem ägyptischen Set-Typhon-Kult und den Juden in der Antike beschließen das sehr anregende, methodisch aber in vielerlei Hinsicht fragwürdige Buch.