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Ausgabe:

März/1997

Spalte:

261–263

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Reinhardt, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Das Wachstum des Gottesvolkes. Untersuchungen zum Gemeindewachstum im lukanischen Doppelwerk auf dem Hintergrund des Alten Testaments. Mit zwei Schaubildern und vier Tabellen.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995. 387 S. gr.8°. Kart. DM 78,­. ISBN 3-525-53632-1.

Rezensent:

Hans Klein

Das zu besprechende Buch ist eine verkürzte Fassung der im Sommersemester 1992 an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal angenommenen, von Klaus Haacker betreuten Dissertation, die aufgrund "einer pfarramtlichen Tätigkeit im Rahmen missionarischen Gemeindeaufbaus" entstand (5). Durchgehend wird der praktische Ausgangspunkt sichtbar und konkretisiert sich in der Feststellung: "Die Weltevangelisation bleibt Dauerauftrag der Kirche" (307). Es ist so etwas wie ein Gegenentwurf zur erlebten Realität der Kirche mit sich vermindernden Mitgliederzahlen, eine Besinnung auf die Ursprünge und gleichzeitig eine Motivation zur Wahrnehmung des Auftrages der Kirche: das Wachstum des Gottesvolkes. Der Vf. nimmt die Leser und Leserinnen in ein neues Nachdenken über "das Wachsen des Wortes" hinein und läßt sie an einer Missionstheologie partizipieren, die die Mehrung der Glaubenden, die Annahme und Ausbreitung des Evangeliums und die Freude an der Rettung der Vielen thematisiert. Für skeptisches Nachdenken über Mißerfolge ist da kein Raum, weil nach dem Zeugnis der Apg jeder Mißerfolg und alles Leiden zur Stärkung der Glaubenden beiträgt (34, 327-329).

In der Einleitung gibt der Vf. kurz Rechenschaft über die Motivation und die Zielsetzung der Arbeit. Er geht von einer Fehlanzeige aus, daß über Gemeindeaufbau und Gemeindewachstum in der gegenwärtigen deutschsprachigen exegetischen Forschung (aber ebenso in der systematischen) kaum gearbeitet wurde (15 f.). Darum wird in einem nächsten Abschnitt die exegetische Literatur zur lk Theologie durchgesehen (16-29). Anschließend werden die beiden Monographien von P. Zingg, Wachsen der Kirche 1974 und A. Noordegraaf, Creatura Verbi 21984 besprochen (29-35), denen der Autor viel verdankt und auch in wesentlichen Punkten folgt. Sodann wird die einzuschlagende Methode und der Aufbau der Arbeit kurz angeleuchtet (35-38), wobei der Vf. richtig feststellt, daß "unter dem Gesichtspunkt einer ’Biblischen Theologie’... das naheliegende Motiv vom ’Wachstum des Gottesvolkes’ noch nicht aufgegriffen wurde" (36).

In einem ersten Hauptteil wird das Wortfeld "Wachsen des Gottesvolkes" in der Apg (39-55) nach linguistischen Gesichtspunkten untersucht, wobei sich der Vf. von Duhaceks Wortfeldforschung beeinflussen läßt und besonders die beiden Verben "wachsen" und "vermehren" bedenkt. Beider Wortfeld schließt im AT und in der Apg in der Sicht des Vf.s das Gottesvolk ein.

Im zweiten Hauptteil geht der Vf. der Traditionsgeschichte dieses Wortfeldes im AT (58-90), im Judentum (90-102) und im LkEv, speziell in den beiden Wachstumsgleichnissen von der Saat (Lk 8,4-15) und vom Senfkorn und Sauerteig (Lk 13,18-21) nach (103-132). Sind es im AT Aussagen, die das Wachsen und Mehren des Gottesvolkes bzw. dessen Sammlung betreffen, so zeigen die beiden Gleichnisse das Wachsen des Gotteswortes trotz widriger Umstände und die Durchdringung der Welt durch das Gottesreich an. Nach diesen Gleichnissen hat die Predigt eine gottgewirkte Dynamik (133), wächst das Gottesreich (131) auf die Vollendung zu, die in der Sammlung des endzeitlichen Gottesvolkes sich ereignen wird.

Die Gleichnisse werden somit als Wachstums- und Gottesreichsgleichnisse gleicherweise ausgelegt. Daran schließt sich eine kurze Betrachtung über Texte der Briefliteratur, die vom "Wachsen des Wortes" (Kol 1,5 f.), seinem Wirken (1Thess 1, 8 f.), seinem Laufen (2Thess 3,1), seinem Ans-Ziel-Kommen (Röm 15,19 vgl. Kol 1,25) sprechen (136-142). Leider ist Phil 1,12 hier vergessen, wo vom Gedeihen oder Fortschreiten des Evangeliums gesprochen wird. Die Stelle wird erst viel später (346) im Zusammenhang der Besprechung von K. Barths Sicht erwähnt.

Der dritte und eigentliche Abschnitt der Arbeit bespricht sämtliche in Frage kommenden Aussagen der Apg in ihrem Kontext (143-307). Hier werden in minutiöser Exegese die Texte Apg 1,41.47; 6,1.7; 9,31; 11,24b; 13,49; 18,10; 19,20; 21,20 durchgesprochen, wobei keineswegs nur die direkt das Wachstum angehenden Fragen behandelt werden, sondern auch eine Fülle anderer Dinge, die zum besseren Verstehen der Texte beitragen und ihren Zusammenhang erhellen. Die Textkritik erhält dabei ein eigenes Gewicht (252. 276), man erfährt etwas über Taufe und Geistempfang (159), über das Glaubensverständnis des Lk (186-188), über die heilsgeschichtlichen Inhalte des Wochenfestes (153-156), über die Sicht des "Volkes" bei Lk (256 f.), über die Lehre in den Häusern (169), über Barnabas (229) und die Mitarbeiter des Paulus (260 f.), über Antiochia am Orontes (220) und Antiochia in Pisidien (237), über die nicht sehr bekannten Familienbeziehungen der Sergii Pauli (239), über die Gründung der ersten Gemeinde in Rom (304-306), alles Angaben, die die Leser und Leserinnen zu weiterem Studium der Apg und des frühen Christentums anhalten können. ­ Weniger interessant finde ich den Vermerk, daß A. Ramsay vermutet hat, Paulus habe in Galatien Malaria gehabt (239).

Hat der Vf. in seinem dritten, dem eigentlichen Teil sich sehr verbreitet und auch Nebendinge besprochen, so bündelt er die Ergebnisse seiner Exegese im vierten Hauptteil in 19 Thesen, die alle erworbenen Erkenntnisse zusammenfassen und auf einen kurzen Nenner bringen (310-340).

Wichtige Feststellungen sind: Das Wachstum der Gemeinde erfolgt nicht nur durch die Verkündigung einzelner Charismatiker, sondern ebenso durch das Wirken der vielen Christen, die durch ihr Leben überzeugen (bes. 315 f.). Es ist ein Geschehen des Heiligen Geistes (330). Richtig stellt der Vf. fest, daß äußeres und inneres Wachstum zusammengehen müssen (332-335) und daß "Bedrängnis und Verfolgung... zu den bleibenden Kennzeichen der missionarischen Kirche" gehören (329).

In seinem kurzen systematischen Teil setzt sich der Vf. mit K. Barth, dem einzigen Systematiker auseinander, der dieses Thema besprochen hat und der besonders auf das innere Wachstum Gewicht legte. Der Vf. zeigt, daß die Botschaft der Apg ein anderes Wachsen im Blick hat (341-346).

Wichtig an diesem Buch ist, daß es ein vergessenes, unbeachtetes Thema aufgreift und die ntl. Forschung damit konfrontiert: die Mission. Es zeigt, daß es neben den theologisch brisanten Themen auch noch etwas anderes gibt. Aller kirchlicher Dienst und alle Theologie sollte die Ausbreitung und Mehrung der Gemeinde, der Glaubenden und des Glaubens selber im Auge haben. Wo dieser Gesichtspunkt verloren geht, droht die Theologie ihr Thema zu verlieren.

Weil sich dieses Buch aber mit einem Thema der Apg beschäftigt, das keine theologischen Probleme der Lehre oder der Ethik aufwirft, ist die Darstellung etwas langatmig und weicht immer wieder zu Nebenfragen aus. Das mag an der Sache liegen. Die Darstellung aber hätte gewonnen, wenn sie hätte gestrafft werden können.

Der Umgang mit der Literatur ist nicht immer sachgemäß. Es handelt sich nur um Kleinigkeiten, aber sie sollen dennoch notiert sein: a) Einige verarbeitete Werke, wie etwa Zahns Kommentar zur Apg, sind im Literaturverzeichnis vergessen worden. b) E. Haenchen kennzeichnet Apg 11,19-26 im Anschluß an Joh. Weiß als "farblose Erzählung". Das wird ihm, nicht auch Joh. Weiß, der noch viel härtere Töne anschlägt, als "Farbenblindheit" angekreidet (229). Überhaupt kommt E. Haenchen im Verhältnis zu anderen Autoren relativ schlecht weg. c) Der Vf. hat sich nicht Klarheit darüber verschafft, daß Mk und Q einerseits und Dtmk andererseits nach F. Kogler Alternativen sind (119).

Die wenigen Druckfehler, die mir aufgefallen sind, seien kurz notiert: S. 31 Z. 25 "Bezieung", statt "Beziehung"; S. 118 Z. 11 zweimal "die"; S. 211 Z. 11 popenesthai statt porenesthai.