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Ausgabe:

Juni/2008

Spalte:

619–623

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gertz, Jan Christian [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments. In Zusammenarbeit m. A. Berlejung, K. Schmid u. M. Witte.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. 557 S. m. 16 Abb. u. Ktn. 8° = UTB 2745. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-525-03613-6 (Vandenhoeck & Ruprecht); 978-3-8252-2745-6 (UTB).

Rezensent:

Hans-Christoph Schmitt

Dieses Lehrbuch geht davon aus, dass die alttestamentliche Wissenschaft sich derzeit »in einer Phase tiefgreifender Neuorientierungen« befindet. Es will in dieser Situation in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testamentes einführen und dabei diejenigen Informationen bereitstellen, »die für ein vertieftes Verständnis des Alten Testamentes im Studium, in der kirchlichen und schulischen Praxis und darüber hinaus für jeden sachlich angemessenen Umgang … grundlegend sind«. Dabei wird es nicht für »angemessen« gehalten, als Grundinformation »den bisherigen Konsens im Fach unabhängig von seinen Bestreitungen und Weiterführungen in der Fachdiskussion zu präsentieren und den Abstand zwischen Fachdiskussion und Öffentlichkeit somit weiter zu vergrößern« (15). Vielmehr will es dem Leser die Richtung weisen, in die sich die zukünftige alttestamentliche Fachdiskussion bewegen wird bzw. – genauer formuliert – in die sie sich nach Meinung der Autoren be­wegen soll.
Bestimmend für das Lehrbuch ist, dass es besonderes Gewicht auf die redaktionsgeschichtliche Forschung am Alten Testament legt. Verbunden ist damit eine – allerdings in den unterschiedlichen Teilen des Werkes unterschiedlich radikal ausgeprägte – Skepsis gegenüber dem historischen Quellenwert biblischer Texte. Besonders deutlich wird das im ersten Teil »Quellen und Methoden« (§ 1–2: 19–54; bearbeitet von A. Berlejung) behandelt. Hier wird die Auffassung vertreten, dass »biblische Texte … als Primärquellen für historische Fragestellungen weitgehend« ausscheiden, wobei vorausgesetzt wird, dass »historisch kritisch aus dem Alten Testament hypothetisch herausdestillierte … Texteinheiten, für die ein historischer Informationsgehalt in Anspruch genommen wird«, nie die gleiche historische Plausibilität gewinnen können wie die als Primärquellen anzusehenden datier- und lokalisierbaren archäologischen, epigraphischen und ikonographischen Befunde (23).
Dieser methodischen Grundsatzentscheidung entsprechend wird im zweiten Teil (§ 3–4: 55–185; bearbeitet von A. Berlejung) eine »Geschichte (mit Religionsgeschichte) des antiken Israel« entwi­ckelt, die sich primär an den archäologisch gewonnenen Befunden unter Zurückstellung der biblischen Aussagen orientiert. So wird im »Historischen Abriss« (§ 4) nicht mehr von – anhand der alttestamentlichen Überlieferung gewonnenen – Epochen der Geschichte Israels ausgegangen. An ihre Stelle treten vielmehr die Perioden der palästinischen Archäologie (Eisenzeit I, Eisenzeit II, babylonisch-persische Zeit, hellenistische Zeit). Dass – entgegen den oben referier­ten methodischen Prinzipien – die biblische Geschichtsdarstellung sich trotzdem als unentbehrlich erweist, zeigt sich jedoch daran, dass die Eisenzeit II mit ihren drei Abschnitten A (1000–926), B (926–722) und C (722–587) sich durchgehend an den aus den biblischen Texten rekonstruierten Daten orientiert.
Dennoch enthalten § 1–2 auch sehr brauchbare, über die traditionellen Lehrbücher hinausgehende Einführungen in die Hebrä­ische Epigraphik und in die Methoden der Archäologie und Ikonographie Palästinas. Auch zeichnet sich der »Historische Abriss« von § 4 gegenüber traditionellen Geschichten und Religionsgeschichten Israels dadurch aus, dass hier die für die jeweiligen Perioden relevanten archäologischen Befunde ausführlich dargestellt werden, und zwar jeweils differenziert nach »Wirtschaft und Gesellschaft« und »Religion und Kult«. Weiterführend ist auch die in § 3 vorgenommene Klärung von für Geschichte und Religionsgeschichte Israels grundlegenden Begriffen wie »Kanaan«, »Israel« und »Juda« bzw. von »Monotheismus«, »Monolatrie« und »Polyjahwismus«.
Im Übrigen zeigt sich, dass im »Historischen Abriss« entgegen der eingangs genannten methodischen Grundsätze doch immer wieder auf – durch die Primärbefunde nicht gestützte – biblische Aussagen zurückgegriffen werden muss: So wird hier eingeräumt, dass bei der historischen Beurteilung der Exodus-Tradition »weitgehend Konsens« darüber besteht, dass ein kleinerer Teil des Volkes Israel »in Ägypten war und von dort floh«. Ebenso »unstrittig« sei auch, »dass der Exodus nicht von der Person des Mose … gelöst werden kann«. Die »Fluchtgruppe« scheine »in den späteren Stämmen aufgegangen zu sein und das Bekenntnis ihrer Rettungserfahrung durch Jhwh denselben mitgeteilt zu haben« (92 f.). Nicht ganz plausibel wirkt allerdings, dass daneben noch erwogen wird, »den Auszug aus Ägypten nicht mit dem geographischen Ägypten zu verbinden, sondern mit dem herrschaftlichen, so dass bereits die Abwanderung aus den von Ägypten dominierten Stadtstaaten als Auszug aus Ägypten gedeutet worden wäre« (93).
Des Weiteren wird damit gerechnet, dass »das Richterbuch … historische Erinnerungen an eine Zeit bewahrt hat, in der einzelne Häuptlinge … zu ansehnlicher Macht kamen (Gideon Ri 6–8) und sich kleinräumige Stammesstaaten (Abimelech Ri 9) entwickelten« (94). Nach S. 98 könnte auch in der Darstellung Sauls »in Gibea und als Häuptling über Benjamin, Efraim und Gilead« eine historische Erinnerung enthalten sein. Auch wird die in der Davidüberlieferung vorliegende Erwähnung eines Stammeskönigreichs Geschur als historisch angesehen (95 f.).
Angesichts solcher – biblische Befunde bestätigenden – Ergebnisse der his­torischen Analyse ist man allerdings umso mehr über die Feststellung erstaunt, dass der alttestamentlichen Überlieferung über David und Salomo so gut wie »keine historisch gesicherten Informationen« (99) zu entnehmen seien. Dass die biblischen Angaben über eine Personalunion zwischen einem Stammeskönigtum über »Juda« und einem Stammesverbundkönigtum über »Israel« in der Zeit Davids und Salomos durch archäologische Be­funde falsifiziert seien, wird nirgendwo begründet. Teilweise korrigiert wird diese Position allerdings im folgenden literaturgeschichtlichen Teil des Werkes, wo zumindest zugestanden wird, dass man »Quellenmaterial aus der Zeit Salomos … hinter der Darstellung über den Bau von Palast und Tempel (1Kön 6–7), in einigen Baunotizen (1Kön 9) sowie in Listen zur Verwaltung (1Kön 4)« annehmen kann.
Schließlich wird auch an der Historizität einer »Reform des Jo­schija« festgehalten (vgl. dazu auch die Datierung der Anfänge des Deuteronomiums in die Zeit König Joschijas im literaturgeschichtlichen Teil des Werkes in § 7.2). Dabei habe Joschija der »Jhwh-allein-Bewegung« erstmalig »breiteren gesellschaftlichen Einfluss« verschafft und sich deren Programm »mit nationalen Ambitionen« zu Eigen gemacht (140 f.). Auch dieses Urteil steht im Widerspruch zu der eingangs formulierten Methodologie: »Einen archäologischen Nachweis dieser Reform« gibt es nämlich nicht (140).
Schon die wenigen hier aufgeführten Beispiele, in denen das Werk sich für die Historizität biblischer Überlieferungen trotz ihnen nicht entsprechender archäologischer Befunde entscheidet, zeigen, dass ebenso wie die biblischen Texte auch archäologische, epigraphische und ikonographische Befunde erst nach einer eingehenden kritischen Sichtung als historisch relevant beurteilt werden können. So ist die von dem Lehrbuch vertretene Auffassung, dass während der Königszeit sowohl im Norden wie im Süden mit der Verehrung eines »Götterpaars von Jhwh und Aschera« zu rechnen sei (123 f., vgl. auch 127 und 131), auf Grund einer m. E. zu unkritischen Auswertung der Inschriften von Kuntilet Adschrud und Chirbet el-Qom gewonnen worden. Schon S. 124, Anm. 127, hat die Vfn. nämlich selbst darauf hingewiesen, dass es unsicher ist, ob aus diesen primär der privaten Frömmigkeit zuzuordnenden Texten Schlüsse auf den offiziellen Kult des Nord- und Südreiches gezogen werden können. Hinzu kommen grammatische Beobachtungen, die nahelegen könnten, dass »Aschera« hier nicht als Göttin, sondern als Kultpfahl Jahwes zu verstehen ist.
Weniger deutlich tritt die historische Skepsis gegenüber dem Alten Testament im dritten – umfangreichsten – Teil »Die Literatur des Alten Testaments« (187–508) zu Tage. Er ist dem hebräischen Bibelkanon entsprechend in die drei Unterteile gegliedert: I. Tora und Vordere Propheten (§ 5–7, bearbeitet von J. C. Gertz), II. Hintere Propheten (§ 8–12, bearbeitet von K. Schmid) und III. Schriften (§ 13–23, bearbeitet von M. Witte). Alle Paragraphen dieses Teiles sind dabei in für den Leser sehr übersichtlicher Weise nach folgendem Schema aufgebaut: A. Bibelkundliche Erschließung, B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige, C. Entstehung der entsprechenden Texte, D. Theologie der entsprechenden Texte, E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte (die allerdings in den verschiedenen Teilen recht heterogene Stoffe ansprechen).
Im Folgenden können nur einige wenige Thesen des Werkes zur Entstehungsgeschichte der alttestamentlichen Schriften angesprochen werden. Von der Mehrzahl der entsprechenden Lehrbücher hebt sich dieses dadurch ab, dass es bei der Behandlung der Entstehung des Pentateuchs nicht mehr von der »Urkundenhypothese« ausgeht, was natürlich dazu führt, dass in ihm die von der bisherigen Forschung (u. a. von Gerhard von Rad) erarbeiteten theo­­logischen Zusammenhänge der Pentateuchquellen nur noch bruchstückhaft rezipiert werden können. Ein Zusammenhang zwi­schen Schöpfung, Vätergeschichte, Exodus und Sinai ist nach Meinung des Werkes erst durch die als eigenständige Quelle verstandene Priesterschrift (§ 7,1) hergestellt worden. Vorpriesterlich existierten lediglich eine selbständige Urgeschichte (§ 7,3), eine selbständige Vätergeschichte (§ 7,4), eine selbständige Josefsgeschichte (§ 7,5) und eine deuteronomistische Komposition der Geschichte des Volkes Israel vom Auszug bis zum Exil, für die allerdings eine sehr komplexe – und daher hier nicht zu referierende – Entstehungsgeschichte angenommen werden muss (§ 7,6). Sehr zurückhaltend ist das Buch in Hinblick auf die Aufnahme mündlicher Überlieferungen durch die alttestamentlichen Schriftsteller. So wird auf S. 284 die These vertreten, dass mit einer Tradierung mündlicher Überlieferungen höchstens über einen Zeitraum von vier Generationen gerechnet werden kann.
Hier stellt sich allerdings die Frage, inwieweit auch nach den Untersuchungen von D. M. Carr, Writing on the Tablet of the Heart, 2005, an dieser Skepsis gegenüber der mündlichen Überlieferung noch uneingeschränkt festgehalten werden kann. In Hinblick auf einen vorexilischen literarischen Pentateuchzusammenhang ist zudem beachtenswert, dass in diesem Lehrbuch für die Jakob-Isaakgeschichte, die Josefsgeschichte und die älteste Fassung der Exodus-Landnahmedarstellung jeweils eine Datierung bereits in die Zeit nach 722 v. Chr. angenommen wird. Auch hier legt sich die Frage nahe, ob zumindest diese Teile des vorpriesterlichen Pentateuchs nicht doch schon vorpriesterlich miteinander verbunden waren.
Das besondere Gewicht, das das Lehrbuch auf die redaktionsgeschichtliche Fragestellung legt, zeigt sich auch bei der Darstellung der Prophetenbücher in § 8–12. So ist es in der differenzierten Information über die literarhistorischen Probleme und über die Textschichtungen der einzelnen Prophetenschriften deutlich den entsprechenden Einleitungs-Lehrbüchern überlegen. Besonders beach­tenswert ist, dass diese detaillierten redaktionsgeschichtlichen Analysen teilweise auf frühe Schichten der prophetischen Überlieferung stoßen, die der jeweiligen mündlichen prophetischen Verkündigung relativ nahestehen (beispielsweise bei Jesaja). Gegen­über diesen literarhistorischen Fragen tritt allerdings die Behandlung der Theologie der Prophetenbücher etwas zurück. Vor allem bei den theologisch besonders einflussreichen Prophetien der Bücher des Amos, des Hosea, des Protojesaja, des Jeremia und des Ezechiel hätte man sich ausführlichere Darstellungen ge­wünscht.
Auch die Darstellung der »Schriften« in § 13–23 geht in besonderer Weise auf die redaktionelle Entstehung der Bücher des dritten Kanonteils ein und macht dabei vor allem darauf aufmerksam, dass die Wachstumsgeschichte dieser Bücher bis in die Spätzeit des Hellenismus reicht. So rechnet sie mit einem Wachstum des Psalters (§13), das erst im 2. Jh. v. Chr. seinen Abschluss findet. Dabei wird der Psalter verstanden als Lesebuch der persönlichen meditativen Frömmigkeit und der eschatologischen Hoffnung von nachexilischen jüdischen Kreisen. Mit einer späten eschatologisch-apokalyptischen Akzentsetzung durch die Hinzufügung von Spr 2,21 f. wird auch im Sprüchebuch (§ 15) gerechnet. Auch die Endgestalt des Hohenliedes (§ 17) könne als »jüdische Reaktion auf die Liebeslyrik der alexandrinischen Dichterschule« (456) interpretiert werden. Einen Einfluss hellenistischer Vorstellungen sieht das Lehrbuch auch im Esra-Nehemiabuch (§ 22), und zwar sowohl in Esr 7,12–26 als auch in Esr 4,8–22 (494). Schließlich wird auch in den Chronikbüchern (§ 23) zwischen einer »Grundschicht« und einer »Ergänzungsschicht« unterschieden (503). Dabei wird angenommen, dass einzelne Abschnitte der Chronikbücher bis in die Makkabäerzeit (2. Jh. v. Chr.) hinabführen, ihr Hauptbestand aber aus der mittleren bis ausgehenden Perserzeit (5./4. Jh. v. Chr.) stamme (506).
Nur noch sehr knapp werden im abschließenden Teil »Grundfragen einer Theologie des Alten Testaments« (509–526, bearbeitet von J. C. Gertz) behandelt, wobei nach einem forschungsgeschichtlichen Rückblick (§ 24) vor allem »Einheit und Vielfalt theologischer Aussagen im Alten Testament« (§ 25), das Verhältnis von »Religionsgeschichte und Theologie des Alten Testaments« (§ 26) und das Problem des »Alten Testaments als Teil der christlichen Bibel« (§ 27) angesprochen werden. Eingefügt sind zahlreiche Tabellen, Karten und Abbildungen, die die behandelten Befunde ansprechend veranschaulichen. Ein ausführlicher Anhang (527–554) mit chronologischen Tabellen, mit einem Verzeichnis von grundlegender Literatur zum Studium des Alten Testaments und mit einem Glossar zu grundlegenden Fachbegriffen ist beigegeben. Außerdem enthält das Buch ein ausführliches Sachregister, ein Bibelstellenregis­ter fehlt.
Als Versuch, neuere Forschungspositionen der alttestamentlichen Wissenschaft für das Studium didaktisch zu erschließen, ist dieses Lehrbuch sehr zu begrüßen. Dabei ist zu hoffen, dass die in ihm (vor allem im Bereich der Geschichte Israels) noch bestehenden inneren Widersprüche in späteren Auflagen beseitigt werden können.