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Ausgabe:

Juni/2008

Spalte:

612–614

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schroer, Silvia, u. Othmar Keel

Titel/Untertitel:

Die Ikonographie Palästinas/ Israels und der Alte Orient. Eine Religionsgeschichte in Bildern. Bd. 1: Vom ausgehenden Mesolithikum bis zur Frühbronzezeit.

Verlag:

Fribourg: Academic Press/Paulusverlag (in Zusammenarbeit m. d. Projekt Bibel + Orient Museum [Freiburg/CH]) 2005. 392 S. m. zahlr. Abb. u. Ktn. gr.8°. Geb. EUR 44,00. ISBN 3-7278-1508-6.

Rezensent:

Bernd Janowski

»Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht un­ergründlich nennen?« Diese Anfangssätze aus Th. Manns Jo­seph-Tetralogie kommen einem in den Sinn, wenn man den zu besprechenden Band Seite für Seite durchgeht und seine Bilder und Texte auf sich wirken lässt. Natürlich bestehen zwischen den Jo­sephs-Romanen und dem Eröffnungsband der Reihe IPIAO in fast jeder Hinsicht Differenzen, aber das Bewusstsein geschichtlicher Tiefe zeichnet beide Zugänge zur Vergangenheit gleichermaßen aus. Welche Zeitdimensionen, nämlich gut 12000 Jahre, im Blick auf die Geschichte und Vorgeschichte des Vorderen Orients zu durchmessen sind, wurde einem großen Publikum erst jüngst durch die Entdeckung des monumentalen Heiligtums am südostanatolischen Göbekli Tepe und den Bericht darüber durch K. Schmidt, Sie bauten die ersten Tempel. Das rätselhafte Heiligtum der Steinzeitjäger, München 2006, eindrucksvoll vor Augen geführt (»neolithische Revolution«, vgl. 52). Die nämliche Zeittiefe setzen auch Schroer/ Keel an, wenn sie für ihren Band das relevante Bildmaterial aus den Epochen des Natufiums (12000–10000), des Neolithikums (9400–5800), des Chalkolitikums (4500–3600) und der Frühbronzezeit (3500–2300/2000) zusammentragen, beschreiben und interpretieren.
Das Werk, das den »Charakter einer ›summa iconographica‹« (9) hat, versteht sich als eine »Religionsgeschichte in Bildern«. Was das bedeutet, machen Schroer/Keel getreu ihrer methodischen Leitidee einer »Kontextualisierung von Funden aus Palästina/Israel durch solche aus dem Alten Orient« (9) zunächst anhand einer forschungs­geschichtlichen Skizze (11–18) deutlich, die über das in­haltliche Profil des Projekts (»Bilder, nicht Texte«, »Palästina als Teil des Alten Orients«, »Konturen einer Religionsgeschichte«, »Beitrag zur Bibelwissenschaft«) und seine (Vor-)Geschichte bis hin zur »Freiburger Schule« (O. Keel, H. Keel-Leu, U. Winter, S. Schroer, Chr. Uehlinger, Th. Staubli u. a.) Auskunft gibt. Ebenso essentiell wie prekär für diese Art Religionsgeschichte, die eine umfassende Geschichte der Religion(en!) Palästinas/Israels material vorbereitet, ist die genauere Bestimmung des Verhältnisses von »Wort« und »Bild« (19–23). Im Unterschied zu den zu ihrer Zeit verbreiteten Bild­enzy­klo­pädien von A. Jeremias (Handbuch der altorientalischen Geistes­kultur 1913; Das AT im Lichte des AO 21927), H. Gressmann (AOB2), J. B Pritchard (ANEP 1954 und ANEP.Suppl. 1969 u. a., vgl. dazu 13 ff.) konzentriert sich IPIAO auf die ikonographische Dokumentation des religiösen Symbolsystems Palästinas/Israels und des Alten Orients und geht auch gegenüber O. Keel, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament (AOB 1972/51996), insofern andere Wege, als jetzt nicht mehr Bilder der ägyptischen und mesopotamischen Hochkulturen, sondern die Miniaturkunst Palästinas/Israels und deren Vergleich mit den Bild­werken Ägyptens und Mesopotamiens im Zentrum stehen. Ausgelöst wurde dieser stärker auf chronologischen und regionalen Differenzierungen basierende Paradigmenwechsel durch O. Keels systematische Studien von Ausgrabungsberichten von Bet Schemesch, Lachisch, Megiddo u. a. (seit 1975) und daran anschließende Einzelstudien zu Jes 6, Ez 1; 10; Sach; Hi 38–41, Hoheslied u. a. sowie durch S. Schroers Dissertation, In Israel gab es Bilder (OBO 74, 1987), die als Handbuch angelegt war und zugleich programmatischen Charakter hatte.
Diese Programmatik gibt nicht nur der indikativische Titel »In Israel gab es Bilder«, sondern auch die dezidierte Kritik an der »Verabsolutierung des Wortes« (19) gegenüber dem Bild zu erkennen, das als eigengeprägtes Zeichensystem in Erscheinung tritt und dementsprechend aus seiner traditionellen »Benachteiligung in den Altertums- und Religionswissenschaften« (20 f.) befreit werden muss (s. dazu jetzt auch die im Verlag W. de Gruyter erscheinende altertumswissenschaftliche Reihe »Image and Context«, ed. by F.Lissarrague et al.). Altorientalische, ägyptische, ugaritische, hethitische, phönizische und palästinisch-syrische Bilder sind nicht einfach zuverlässigere oder realitätsnähere Zeugnisse als die entsprechende Texte, sondern auf Grund ihrer symbolischen, repräsentativen (»wirkmächtigen«) und auch performativen Qualität Ar­tefakte sui generis. Als solche wollen sie wahrgenommen und »gelesen« werden – ebenso wie die Bildsprache (Metaphorik) etwa der Psalmen oder des Hohenlieds »gelesen« werden muss, wenn sie verstanden werden soll.
Der methodische Ansatz von IPIAO, der die entsprechenden Überlegungen von O. Keel, Das Recht der Bilder gesehen zu werden (OBO 122, 1992) aufgreift und fortschreibt, wird anhand von drei ausgewählten Beispielen (Siegreicher König, Kampf zwischen Wettergott und Mot, »Herrin der Tiere« und Baumgöttin, 23–25) sowie des bildhermeneutischen Grundbegriffs der »Konstellation« (vgl. 20.23 und O. Keel/Chr. Uehlinger, Göttinnen, Götter und Gottessymbole, 52001, 13 f.) erläutert und zum Ausgangspunkt für die An­lage und Organisation des Bandes gemacht. Das außerordentlich ansprechend dargebotene Bildmaterial (in Umzeichnungen von I.Haselbach und U. Zurkinden-Kohlberg), für dessen Auswahl vier Akzente leitend sind (Fokus auf religiösen Vorstellungen, Vergleichsstücke aus dem Alten Orient, relevante Themen aus den Nachbarkulturen, chronologische Anordnung), wird im Katalogteil nicht nur detailliert beschrieben, sondern auch hinsichtlich Datierung, Fundort (Karten!, vgl. die vordere Umschlagseite »Ortslagen Alter Orient«), archäologischem Kontext, Thema und biblischen Bezügen sorgfältig und umfassend kommentiert. Jede Epoche ist darüber hinaus mit einer Einleitung versehen, die für die Frühbronzezeit erwartungsgemäß sehr ausführlich ausfällt (155–196).
Bei einem Werk wie diesem mit seinen 262 präsentierten und be­sprochenen Bilddokumenten, das zum unentbehrlichen Handwerkszeug des Bibelwissenschaftlers gehören sollte, können natürlich nur ausgewählte Hinweise auf seinen Reichtum und seine Vorzüge gegeben werden. Wenn man beispielsweise die Abschnitte »The­men der Bildkunst« (40.58 ff.109 ff.175 ff.) und »Biblische Bezüge« (63 f.112 ff.189 ff.) herausgreift, so lässt sich zum einen eine über die Jahrtausende hin wachsende Zunahme der Themen und Bezüge und zum anderen eine signifikante Präsenz von Themen feststellen, die zum ersten Mal ins Licht der Geschichte treten. So ist etwa das Bildthema »Kontakt mit den Toten/der Totenwelt«, das auch im vorexilischen Israel seine Spuren hinterlassen hat (vgl. 1Sam *28), im Vorderen Orient zuerst im Neolithikum bezeugt (63 f.92 ff.). Interessant sind auch bereits in dieser Epoche auftretende, bis in späte biblische Texte (Hohelied) reichende »Bleibende Motivkonstellationen« wie »Frau und Löwe oder Panther« (65.85) u. a. Im Chalkolithikum treten dann zum ersten Mal anthropomorphe Bilder (zumeist von Frauen, 110 f.112 f.132 ff.), Köpfe und Gesichter von Menschen, Tieren und Mischwesen (11 f.140 ff.) sowie vereinzelte Pflanzendarstellungen auf (150 f.). Diese Bildthemen werden in der folgenden Frühbronzezeit weiterentwickelt (176 ff.) und um neue Themen bereichert. Dazu zählen »Themen vor dem Horizont ägyptischer Bildkunst« (178ff.212 ff.) wie Herrschaft, Königtum Tod u. a. und »Themen vor dem Horizont mesopotamischer Bildkunst« (181 ff.264 ff.) wie Jagd, Krieg, Recht, Tod, Herrschaft, Drachenkampf u.a. (vgl. auch die hintere Umschlagseite »Leitmotive der Ikonographie«). Die Wirklichkeit ist nunmehr komplexer geworden und bedarf zu ihrer Bewältigung konzeptioneller Orientierung, wie sie durch Texte, aber eben auch durch Bilder geschieht. Die biblischen Bezüge dieser Bildthemen bzw. ihr ferner Nachhall im Alten Testament liegen auf der Hand und werden von Keel/Schroer relativ ausführlich dargestellt (189 ff., vgl. auch das Bibelstellenregister, 384).
Der Effekt, der durch diese Form der Präsentation und Be­schreibung des Materials – besonders in den Abschnitten »Themen der Bildkunst« – erreicht wird, ist nicht zu unterschätzen. Denn zum ersten Mal ist es jetzt auch dem mit dem Material weniger Vertrauten möglich, epochenübergreifende Linien zu erkennen und Entwicklungen zu rekonstruieren. Zum Beispiel anhand des komplexen Bildthemas »Tod/Tote/Totenwelt« von den Anfängen im Neolithikum (Kontakt mit den Toten: 63 f.92 ff.) über die Be­stattungsbräuche im Chalkolithikum (1044 f.) bis zu den idealisierten Jenseitswelten (Ägypten) und Bankettszenen (Mesopotamien), die in neolithischer Zeit die Lebenden und die Toten im Tempel zusammenführen (180 f.185 f.250 ff.294 ff.). Ähnliches gilt für die großen Themen »Menschenbild«, »Königtum« oder »Kampf gegen Tiere«. Überall werden Kontinuität und Abbruch bzw. Wechsel und Neuentstehung von Themen und Motiven in einem Maß deutlich, wie dies bisher nicht möglich war. Natürlich hätte ein Sachregister geholfen, hier weitere Zusammenhänge aufzudecken, es wird aber durch das detaillierte Inhaltsverzeichnis, das Ortslagen- und das Bibelstellenregister recht gut aufgewogen.
Insgesamt liegt mit IPIAO Bd.1 ein Werk vor, das eine große Ma­terialfülle darbietet, von klaren methodischen Prämissen ausgeht und immer wieder zu überzeugenden Interpretationen ge­langt, kurz, das seinesgleichen sucht. Schroer/Keel wünschen wir jedenfalls weiter die Kraft, die Kreativität und die Begeisterung, mit der sie diese »summa iconographica« in Angriff genommen haben und hoffentlich auch zum guten Abschluss bringen werden. Schon jetzt dürfen sie unserer aller Anerkennung und unseres ausdrücklichen Danks für den grandiosen Eröffnungsband des IPIAO gewiss sein.