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Ausgabe:

Juni/2008

Spalte:

610–612

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Frevel, Christian [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Medien im antiken Palästina. Materielle Kommunikation und Medialität als Thema der Palästinaarchäologie.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. VIII, 276 S. m. Abb. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 10. Kart. EUR 54,00. ISBN 3-16-148512-2.

Rezensent:

Wolfgang Zwickel

Medien sind ein unverzichtbarer Teil unserer heutigen Welt. Wie aber war es in der Antike? Gab es damals auch schon Medien? Wie leistungsfähig waren sie, was konnten sie vermitteln? Und kann die Beschäftigung mit den Medien in der Antike, in diesem Fall konkret mit den Medien in Palästina, ein Beitrag zur Mediengeschichte und zur Theoriebildung in der Medienwissenschaft sein? Mit diesen höchst aktuellen Fragen beschäftigten sich einige Forscher auf einer Tagung im Jahre 2003, deren Vorträge in dem hier anzuzeigenden Band nun in überarbeiteter Form erschienen sind.
Dass das antike Palästina noch keine »Mediengesellschaft« darstellte, zeigt schon ein kurzer Blick in das Inhaltsverzeichnis des Bandes. Der Begriff Medien wird hier sehr weit gefasst: So finden sich neben Beiträgen über Siegel, Münzen und schriftliche Quellen auch solche über die Bestattungskultur und die griechischen Bauordnungen. Das Inhaltsverzeichnis macht damit aber auch deutlich, dass für die Vermittlung von Inhalten in der Antike sicherlich andere Wege benützt wurden als in der heutigen Zeit.
Der Band beginnt mit einem recht informativen und in die Diskussion glänzend einführenden Beitrag von Christian Frevel (»Medien der Alltagskultur der Antike – Eine Einführung«; 1–29). Der Beitrag von Christoph Uehlinger (»›Medien‹ in der Lebenswelt des antiken Palästina?«; 31–61) verweist u. a. darauf, dass das Verständnis von Kulturgütern als Medien eine recht junge Erscheinung in der Forschung ist, und bietet einige grundlegende me­dientheoretische Überlegungen zum Alten Orient. G. Lehmann (»Media and the Symbolic Texture of Material Culture. Critical Theory of Practice in Archaeology«; 63–83) beendet den eher theoretisch ausgerichteten ersten Teil des Bandes mit einigen grundlegenden hermeneutischen Überlegungen. Es folgen mehrere Beiträge, die die Thematik an konkreten Fundobjekten oder -gattungen entfalten.
St. Münger (»Medien und Ethnizität. Das Beispiel einer tanitischen Stempelsiegel-Gruppe der frühen Eisenzeit«; 85–107) be­schäftigt sich mit einer seiner Meinung nach aus Ägypten (Tanis) stammenden Siegelgruppe mit einem sehr beschränkten Motivkatalog. Die Siegel datieren in die 21. und 22. ägyptische Dynastie. Bemerkenswert ist dabei, dass die relative Häufigkeit von Siegelmotiven in Ägypten offensichtlich anders ist als in Palästina. Die beiden Regionen haben unterschiedlich intensiv auf das zur Verfügung stehende Bildre­pertoire zurückgegriffen – was wiederum den Charakter der Siegel als Medien deutlich aufzeigt. R. Wenning (»›Medien‹ in der Bestattungskultur im eisenzeitlichen Juda?«; 109–150) bietet einen enzyklopädischen Überblick über die Grabformen und ihre Ausgestaltungen im eisenzeitlichen Juda sowie – entgegen der Angabe im Titel – auch in der gesamten Region der südlichen Levante. Im Vergleich zu früheren Publikationen des Verfassers zum Thema »Grab« werden in diesem Beitrag die Grabbeigaben stärker thematisiert und teilweise statistisch ausgewertet. H. M. Cohen (»Language Gaps in Roman Palestine and the Roman Near East«; 151–169) beschäftigt sich mit den real gesprochenen Sprachen der Antike. Die Rechtstexte, die in diversen Höhlen am Toten Meer gefunden wurden, sind mehrheitlich aramäisch abgefasst. Griechisch wurde vor allem beim Schriftwechsel mit der römischen Verwaltung verwendet. Nicht das Lateinische, sondern die griechische Sprache wurde von den römischen Herrschern als Verwaltungssprache gefördert. Der Beitrag von U. Hübner (»Tradition und Innovation. Die Münzprägungen der Hasmonäer des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. als Massenmedien«; 171–187) bietet einen komprimierten Überblick über die Münzen der hasmonäischen Zeit. Wer sich mit Münzen der Epoche beschäftigt, findet hier grundlegende Äußerungen zu dieser Epoche. Etwas bedauerlich ist, dass nicht noch stärker auf die Bildmotive und ihre Bedeutung eingegangen wurde, denn gerade das Massenmedium Münze war ein ideales Medium der Antike, um bestimmte Inhalte zu verbreiten. In den Bereich der Architektur verweist der Beitrag von W. M. Thiel (»Vom Ornament zum Medium. Die kanonischen griechischen Bauordnungen und ihr Beitrag zur Hellenisierung Palästinas im 2. und 1. Jh. v. Chr.«; 189–235). Er zeigt auf, dass erst die seleukidischen Herrscher Antiochos III., Seleukos IV. und vor allem Antiochus IV. mit Hilfe der Bauornamentik eine Hellenisierung Pa­lästinas vorangetrieben haben und damit hellenistische Kultur in Palästina heimisch gemacht haben. Abschließend wirft J. M. Quack (»Medien der Alltagskultur in Ägypten und ihre Auswirkungen auf Palästina«; 237–268) gewissermaßen einen außenpolitischen Blick auf die Medien in Palästina, der wiederum sehr enzyklopädisch aufgebaut ist und alle relevanten Fundgattungen vermerkt. Bemerkenswert ist, dass an einigen Orten ägyptische Texte nach dem Verlust der ägyptischen Oberherrschaft als Zeichen der Befreiung offenbar zerschlagen wurden, während in Bet-Schean, wo es eine starke ägyptische Präsenz gab, die Stelen unbeschädigt erhalten blieben. Bei den beschrifteten Siegeln unterscheidet Quack zwischen solchen, bei denen die Hieroglyphen nur als Heilszeichen verstanden wurden, ohne dass man einen Text lesen konnte, und solchen, die in der lokalen Verwaltung im Einsatz waren und Ägyptischkennt­nisse voraussetzten. Die in Palästina völlig fehlenden Familienstelen erklärt er mit einem weniger entwickelten Totenkult.
Der Band enthält viele anregende Beiträge, die je für sich gelesen viele neue Einsichten vermitteln. Insbesondere finden sich viele Aufsätze, die in geradezu lexikographischer Vollkommenheit die Belege und Befunde auflisten und daher ein äußerst nützliches Nachschlagewerk sind. Es fällt auf, dass sich die an Realien ausgerichteten Beiträge schwerpunktmäßig auf die Zeit vom 2. Jh. v. Chr. bis zum 2. Jh. n. Chr. konzentrieren (Beiträge von Cotton, Hübner und Thiel), während die gesamte Eisenzeit mit nur zwei Beiträgen (Münger und Wenning) vertreten ist. Die der Tagung zu Grunde liegende Fragestellung nach den Medien in der Antike ist zwar in dem eher theoretisch ausgerichteten Einleitungsteil mit den Beiträgen von Frevel, Uehlinger und Lehmann intensiv behandelt worden, im zweiten Teil finden sich dagegen nur allenfalls ansatzweise entsprechende Antworten. Hier stellen die einzelnen Beiträge eher Puzzleteile dar, die noch zu einem Gesamtbild geordnet werden müssen. Es wird deutlich, dass es in der Antike Medien gab, unklar bleibt jedoch, ob sich die Menschen damals dieser Medien vor allem in der Eisenzeit bewusst waren. Ein wenig entsteht der Eindruck, dass erst ab dem 2. Jh. v. Chr. ein bewusster Einsatz von Medien zu beobachten ist, um Ideen zu vermitteln, sei es über Bauträger, über Münzen oder über Sprache.
Trotzdem ist den Mitarbeitern und Organisatoren der Tagung zu danken, dass sie moderne Fragestellungen in die Altertumswissenschaft einbeziehen und damit deutlich machen, dass man aus der Antike auch etwas für die Gegenwart lernen kann. Dieser Band sollte nicht der letzte zu dieser Thematik sein, sondern vielmehr ein erster Schritt, um die antike Medienwelt in Palästina besser zu verstehen.