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Ausgabe:

Juni/2008

Spalte:

608–610

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Dever, William G.

Titel/Untertitel:

Did God Have a Wife? Archaeology and Folk Religion in Ancient Israel.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2005. XVI, 344 S. m. Abb. gr.8°. Geb. US$ 25,00. ISBN 0-8028-2852-3.

Rezensent:

Wolfgang Zwickel

Schon der erste Satz des Buches bietet das grundlegende Programm des ganzen Bandes: »This is a book about ordinary people in ancient Israel and their everyday religious lives, not about the extraordi­nary few who wrote and edited the Hebrew Bible.« W. G. Dever, inzwischen der Altmeister unter den »Biblischen Archäologen«, widmet sich in seinem neuesten Band der Religionsgeschichte Israels, die er mit Hilfe archäologischer Funde aufzeigen will. Er versteht sich ganz bewusst nicht als ein an die biblischen Texte gebundener Interpret, sondern als ein Archäologe, der den Hintergrund der biblischen Texte beleuchten möchte. Die Archäologie ist für ihn Zeugnis der realen Welt, während die Textüberlieferung nur das Zeugnis einer elitären religiösen Gruppe ist, der es im Verlauf eines längeren Prozesses gelang, ihre Texte als Grundlage für die religiöse Überzeugung eines Volkes zu verewigen.
Obwohl nicht so gekennzeichnet, besteht das Buch aus zwei Teilen. Die Kapitel I–IV sind eher einführender und grundlegender Natur. In ihnen werden die methodischen Grundlagen dargelegt. Die Kapitel V–VIII stellen verschiedene Aspekte einer Religionsgeschichte des biblischen Israel dar, wobei die Frage nach einer Göttin eine zentrale Rolle spielt.
Kapitel I beschäftigt sich mit der Frage, was eigentlich Religion ist (»Defining and Contexualizing Religion«). Im zweiten Kapitel setzt D. sich in einem forschungsgeschichtlichen Überblick mit einigen Ansätzen zur Religionsgeschichte auseinander (»The History of the History: In Search of Ancient Israel’s Religion«). Charakteristisch ist dabei seine Unterscheidung der Frageweise von Archäologen, Historikern und Theologen (39): Ein Archäologe fragt, was zu einem bestimmten geschichtlichen Zeitpunkt ge­schah, ein Historiker interessiert sich stattdessen dafür, was da­mals diese Ereignisse bezwecken sollten, während ein Theologe sich mit der Frage beschäftigt, welche Bedeutung diese historischen Ereignisse heute haben. Dieses Kapitel bietet, weil es aus amerikanischer Sicht geschrieben wurde, einige interessante forschungsgeschichtliche Aspekte, die in einer eher europäisch zentrierten Sichtweise gerne übersehen werden. Im dritten Kapitel fordert D. vehement eine archäologisch orientierte Darstellung der Religionsgeschichte und der Volksfrömmigkeit ein. In diesem Kapitel beklagt er sich über die mangelnde Verwendung archäologischer Daten durch Bibelwissenschaftler. Hier zeigt sich allerdings recht schnell, dass D.s Literaturüberblick doch stark auf amerikanische Literatur be­schränkt ist. So wird etwa die grundlegende Arbeit von Chr. Frevel (Aschera und der Ausschließlichkeitsanspruch YHWHs. Beiträge zu literarischen, religionsgeschichtlichen und ikonographischen Aspekten der Ascheradiskussion, Weinheim 1995), in der reichlich archäologische Daten verwendet wurden, in dem ganzen Buch kein einziges Mal erwähnt; das gilt auch für jegliche andere einschlägige europäische Literatur, sofern sie nicht ins Englische übersetzt wurde. In Kapitel IV (»The Hebrew Bible: Religious Reality or Theological Ideal?«) erläutert D. sehr allgemein den Kult an­hand der biblischen Begrifflichkeiten.
Eine bemerkenswerte Darstellung, vielleicht der innovativste Teil des ganzen Buches, findet sich in Kapitel V: »Archaeological Evidence for Folk Religion in Ancient Israel«. Hier stellt D. eine Vielzahl von Ortslagen zusammen, an denen in irgendeiner Art und Weise religiöse Praktiken (»Volksfrömmigkeit«) nachgewiesen sind oder sein sollen. Bei manchen Orten muss man sicherlich kritisch nachfragen. So wird z. B. in Tel Dan unkritisch davon ausgegangen, dass die Rekonstruktion der Bamah durch Biran zumindest weitgehend zutreffend ist. Auch in Hazor erkennt D. – relativ unkritisch – für das 11. Jh. v. Chr. eine Kultstätte. Dafür fehlen einige an­dere Ortslagen wie z. B. Tell Qiri. Trotzdem ist an diesem Kapitel beachtenswert, dass es inzwischen (selbst bei einer etwas weniger optimistischen Zugangsweise) möglich ist, auf Grund der Archäologie ein reelles Bild der antiken Religion zumindest in Teilbereichen zu zeichnen.
In den beiden folgenden Kapiteln (»The Goddess Asherah and Her Cult« und »Ashera, Women«) bezieht D. diesen archäologischen Zugang dann konkret auf den Kult der Göttin Aschera. Hierbei versteht er Aschera als einen Namen für die »great Goddess of Canaan«, die mit dem Namen Aschera, Anat, Astarte, Elat oder Baalat wiedergegeben werden kann. Die Unterschiede negiert er. Charakteris­tisch ist dabei schon fast, dass er das ›Dictionary of Deities and Demons in the Bible‹ (Leiden u. a. 21999), das durchaus auch Unterschiede der weiblichen Gottheiten aufweist, bei den einschlägigen Nachschlagewerken nicht nennt. D. beobachtet eine Veränderung bei der »Großen Göttin« von der Spätbronzezeit zur Eisenzeit: Aus einer lasziven Begleiterin der Götter wird eine Muttergottheit, die Patronin für alle Mütter sein kann. Sie ist die unmittelbare An­sprechpartnerin für die Frauen, während der männliche Gott Jahwe eher als unnahbarer Gott erfahren wurde. So erhält die »Große Göttin« in D.s Sicht einen wesentlichen Anteil an der Religiosität der Volksfrömmigkeit im eisenzeitlichen Israel. Weitgehend ge­gen­wärtigen Konsens in der Forschung präsentiert D. dann in dem Kapitel, das er mit »From Polytheism to Monotheism« überschreibt: Der Monotheismus ist erst eine späte Erscheinung in der Religionsgeschichte Israels. Problematisch ist allerdings sein archä­ologischer Beweis für die Nachhaltigkeit der Reform. Er be­tont, dass bei den Grabungen für die persische Zeit bislang kein einziger Nachweis für einen Polytheismus erbracht wurde. Hier wäre zu prüfen, ob nicht Juda (und Samaria) zu weit von den Kulturzentren der damaligen Zeit, die an der Mittelmeerküste lagen, entfernt waren, um entsprechende Kunstwerke bzw. Kultgegenstände zu produzieren. Entwickelter Kult benötigt wirtschaftliche Grundlagen, und diese dürften zumindest in Juda zu dieser Zeit noch nicht gegeben gewesen sein.
Als deutscher Gelehrter hat man an manchen Stellen den Eindruck, dass D. »Eulen nach Athen trägt«. Sein vehementer Einsatz für eine historisch-kritische Lektüre der biblischen Texte, noch dazu auf dem Stand der 70er Jahre, ist nur auf einem amerikanischen Hintergrund verständlich. Gleiches gilt für manche religionsgeschichtlichen Äußerungen, wo der kritische Leser leicht den Eindruck gewinnt, dass das Buch nicht für die wissenschaftliche Öffentlichkeit, sondern für ein breites Publikum fern jeglicher Wissenschaft geschrieben wurde. Andererseits führt D. seitenlang Auseinandersetzungen mit verschiedensten Gelehrten, die sich mit der Aschera-Frage beschäftigt haben, und versucht dabei seine eigene Position abzugrenzen. Bedauerlich ist, dass D. die europä­ische Forschung, die gerade in dem Bereich der Religionsgeschichte in den letzten Jahren viel beigetragen hat, nicht oder allenfalls in Auswahl wahrnimmt. Nicht-englische Literatur fehlt, und das macht deutlich, wie wenig inzwischen selbst die ältere Generation amerikanischer Forscher noch die europäische Wissenschaft wahrnimmt, wenn sie ihre Beiträge nicht in englischer Sprache verfasst.
Das Buch hat manche anregenden Elemente, man würde sich aber von dem großen amerikanischen Gelehrten wünschen, dass er an den Stellen, wo er kritische Auseinandersetzung einfordert, selbst noch kritischer und reflektierter wäre. Manches ist schlichtweg zu einfach dargestellt und kann daher nicht voll überzeugen. Der Band nimmt eine Mittelposition ein: Er ist kein Handbuch, das man heranzieht, er ist aber auch nicht ohne Weiteres zu vernachlässigen. Er ist schlichtweg ein engagiertes, aber auch abgeklärtes Alterswerk eines hochverdienten Wissenschaftlers, der auf eine lange Erfahrung mit archäologischen Funden zurückblickt, seine Meinung einer breiteren Öffentlichkeit noch einmal präsentieren und damit auch die weitere Forschung beeinflussen will. Für all diejenigen, die D.s Werke seit Jahren kennen, ist vielleicht seine Einleitung der spannendste Teil des ganzen Buches: Hier zeigt er seine eigene religiöse Entwicklung auf, die sicherlich auf die Gestalt des Buches auch Einfluss genommen hat und den Menschen D. besser verstehen lässt.