Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2008

Spalte:

602–604

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Meyer-Blanck, Michael, u. Görge K. Hasselhoff

Titel/Untertitel:

Krieg der Zeichen? Zur Interaktion von Religion, Politik und Kultur.

Verlag:

Würzburg: Ergon 2006. 274 S. gr.8° = Studien des Bonner Zentrums für Religion und Gesellschaft, 1. Kart. EUR 42,00. ISBN 978-3-89913-490-2.

Rezensent:

Thomas Klie

Die Beiträge dieses Sammelbandes beschäftigen sich mit den interreligiösen, kulturellen und politischen Kontaktzonen zwischen den drei großen sog. monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Auch wenn hier vornehmlich die spätmoderne bundesrepublikanische Öffentlichkeit den Relevanzfilter darstellt, ist der thematische Bogen immer noch reichlich weit gespannt. Entstanden sind die insgesamt 14 Aufsätze im Zusam­menhang mit der Bonner Ringvorlesung »Krieg der Zeichen? – Zur Brisanz religiöser Interaktion« im Sommersemester 2005 und dem Symposion »Interaktion von Judentum, Christentum und Islam: Miteinander, gegeneinander, zueinander?« aus demselben Semes­ter. Die Fragezeichen in den Überschriften beider Vortragsreihen sowie in der Überschrift des Bandes deuten eine prozesshafte Denkbewegung an, die nicht einfach konfligierende Lagen entlang sattsam bekannter Dialogverläufe aufordnet. Die hohe Vorhersagewahrscheinlichkeit im Blick auf die Ergebnisse vieler konsensorientierter »interreligiöser Dialoge« und der Alarmismus, der ihre jeweiligen Anlässe begleitet, nötigen zu einer den Diskurs entschleunigenden, mehrperspektivischen und vor allem ergebnisoffenen Herangehensweise. Alle genannten Kriterien sind in diesem interessanten Buch erfüllt. Das Innovative zeigt sich hier darin, dass die Aporien eines substantialen bzw. eines funktionalen Religionsbegriffs vermieden werden zu Gunsten eines eher weiten, an den Strukturbedingungen von Religion orientierten Verständnisses, bei dem die Innensicht mit der Außensicht ins Gespräch gebracht wird. Es geht um die empirisch gegebenen Handlungs- und Zeichensysteme gelebter Religionen. Zu Wort kommen Religionswissenschaftler, Theologen und Kulturwissenschaftler, die die aus ihren jeweils fachlich gebundenen Religionsverständnissen heraus resultierenden Spannungen austragen und kommunizieren. Das gemeinsame Forschungsinteresse gilt dabei der analytisch zu isolierenden »religiösen Interaktion«, der pragmatischen Einsicht also, dass »Religion als symbolische Form im aktuellen Ge­brauch von Texten, Gesten und in der Alltagspraxis« als gesellschaftliche Realität immer neu entsteht und Geltung beansprucht (16).
Das Buch gliedert sich in vier Themenblöcke, denen die Herausgeber eine programmatische Einleitung vorangestellt haben: I Religionen in Interaktion, II Religion und Politik in Interaktion, III Zeichen des Krieges – Krieg der Zeichen, IV Religiöse Interaktion in Kultur und Bildung.
Den ersten Block eröffnet der Salzburger Kulturwissenschaftler Justin Stagl mit einem Plädoyer für einen positionell gebundenen interreligiösen Dialog, der die »methodologische Irreligiosität« be­wusst vermeidet. Dietrich Korsch präzisiert die Problemstellung aus systematisch-theologischer Perspektive mit seiner These von der durch den Monotheismus selbst beförderten Pluralisierung: Islam, Judentum und Christentum »müssen ein Modell ihrer Präsenz in der Gegenwart entwerfen, das die Durchsetzung der Wahrheit der Religion und den Erfolg in der Geschichte zu unterscheiden erlaubt« (41). Die theologischen und hermeneutischen Möglichkeitsbedingungen einer christlich-muslimischen Interaktion beleuchten Muhammad Kalisch und Felix Körner, während Manfred Hutter auf den doppelkulturellen Hintergrund von deutschen Muslimen reflektiert. Diese relativ kleine, aber sozial einflussreiche Gruppe könnte für eine intra- wie interreligiöse »Kultur der Anerkennung« sehr wohl die Rolle von Protagonisten übernehmen.
Überaus erhellend ist der verfassungsrechtliche Beitrag, mit dem der religionspolitische Abschnitt eröffnet wird. Udo di Fabio, Richter am Verfassungsgericht, macht am Beispiel des Gottesbezugs im Grundgesetz deutlich, dass dieser theologische Vorhalt keineswegs ein christliches Privileg darstellt, sondern dass damit die Bürger »jenes kulturell Andere auch sehen, aushalten und res­pektieren, solange die eigenen Regeln, dir wir als universale Freiheits- und Friedensgebote begreifen, nicht verletzt werden« (100). Wolfram Kinzig schließt direkt an diesen Gedankengang an, indem er nach dem Verhältnis zwischen der spezifischen Religiosität von Politikern und der Parteiräson bzw. realpolitischen Zwängen fragt. Seine lesenswerte religiöse Kurzcharakteristik deutscher Spitzenpolitiker (Schröder, Merkel, Fischer, Stoiber) kommt zu dem er­nüchternden Ergebnis, dass deren fraglos gegebenen konfessionellen Prägungen im politischen Tagesgeschäft eher in diffusen Formen in Erscheinung treten und nur selten die Stringenz eines ethischen oder politischen Kalküls zeigen. Mitherausgeber Mi­chael Meyer-Blanck widmet sich in seinem Beitrag der alltäglichen religiösen Interaktion: Seine kritische Relecture des Kruzifix- und Kopftuchstreits führt ihn zu der These, dass sich die »nach-postmoderne« gesellschaftliche Kommunikation offenbar nicht mehr mit der Reflexion be­gnügt, sondern dass die Geltungsansprüche pluraler Subjektivität heute eher »oberflächlich« als ein Streit um sichtbare Zeichen ausagiert werden. Sein semiotisches Plädoyer für einen »Abschied vom Prinzipiellen« setzt bei der Deutung strittiger religiöser Zeichen auf die Selbstdeutung der jeweiligen Akteure und auf die Pragmatik der jeweiligen Kommunikationsumstände.
Im dritten Abschnitt geht zunächst Richard Schröder der Frage nach, inwieweit die Gewalt-Geschichte des Christentums eine Nebenfolge seines Monotheismus’ ist. Am Beispiel der Kreuzzüge und der Hexenverfolgung des-truiert er die gängigen Klischees anhand historischer Quellen. Für den Bereich des Islam diskutiert Tilman Bayer die Gewalt-Thematik in Bezug auf die »islamistische Provokation«. Seine zehn Thesen führen ihn zu dem Ergebnis, dass die gegenwärtig beobachtbaren Fundamentalismen weniger eine intellektuelle als vielmehr eine kulturelle Herausforderung darstellen. Die Relevanz der von Mathias Schmoeckel rekonstruierten Partisanen-Theorie von Carl Schmitt für das Thema des Sammelbandes erschließt sich erst auf den zweiten Blick: Im Zentrum steht hier das moralische Recht des aktiven Dissidenten als Schlüsselfigur in ideologischen Konflikten. Das Verhältnis von Religion, Medien und Terror bestimmt Moshe Zimmermann als ein strukturell gewalttätiges. Die Medien verstärken heute den Effekt einer religiös motivierten Aggression um ein Vielfaches.
Die beiden Aufsätze im vierten und letzten Abschnitt thematisieren die religiöse Interaktion in Kultur (Albert Gerhards: »Überflüssige« Sakralbauten) und Bildung (Volker Ladenthin: Lernen in der religiösen Interaktion). In beiden Phänomenbereichen geht es um die Interdependenz von religiösen Zeichen und analoger gesellschaftlicher Wahrnehmung, um die Transformation von Sakralität und die Ko-Präsenz unterschiedlicher Konfessionen im öffentlichen Raum.
Die Abfolge und der Duktus der Beiträge in diesem Band belegen in eindrucksvoller Weise die in der Einführung angeführte These, wonach in den moderngesellschaftlichen Differenzierungsprozessen das Religionssystem weder einfach ignoriert noch naiv affirmiert werden kann (17). Fazit: Der Leser findet hier eine richtungweisende Publikation, die Maßstäbe setzt für den aktuellen Religionsdiskurs. Schade nur, dass es für ein Autorenverzeichnis nicht gereicht hat.