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Ausgabe:

Juni/2008

Spalte:

600–601

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Evangelische Akademien in Deutschland [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Christen und Muslime. Verantwortung zum Dialog.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006. 234 S. gr.8°. Geb. EUR 32,90. ISBN 3-534-18816-0.

Rezensent:

Heinz Klautke

Die von Innenminister Wolfgang Schäuble im September 2006 einberufene »Deutsche Islamkonferenz« und die Gesprächsrunden des EKD-Ratsvorsitzenden Bischof Wolfgang Huber mit Muslimen haben öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Deshalb ist es gut und wichtig, dass es schon davor Begegnungen und Gespräche mit Muslimen in Deutschland gegeben hat. Was in den Evangelischen Akademien an interreligiösen Dialog-Aktivitäten stattgefunden hat, stellt in Auswahl der vorliegende Band »Christen und Muslime. Verantwortung zum Dialog« dar.
Udo Steinbach spricht in seiner Einleitung zu dem Buch von Unausgewogenheit, die nachdenklich mache, wenn man die Zahl der muslimischen und nichtmuslimischen Autoren vergleicht. Er sieht darin eine Situation abgebildet, »in der es wohl eher die nichtmuslimische Seite ist, die den Dialog sucht«. Mit solcher Gegenüberstellung der Partner ist ein grundsätzliches Problem angesprochen: Kann im Dialog zwischen Minderheit und Mehrheit mit solchen Vergleichen eine Wertung erreicht werden? Die Initiative einer Minderheit braucht ein stärkeres Selbstbewusstsein als die der Mehrheit – die gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen erleichtern das nicht. Deshalb will ich mich besonders den muslimischen Beiträgen zuwenden.
Die Evangelischen Akademien erkennen für sich selbst nicht nur eine Verantwortung für den Dialog, sondern (so der Untertitel) mahnen eine »Verantwortung zum Dialog« an. Das ist ein anderer Zugang, werbend und herausfordernd, auf das Ziel des »Verstehen-Wollens« (so Fritz Erich Anhelm in seinem Vorwort) ausgerichtet.
Gut wäre es gewesen, das Umfeld der Beiträge im Tagungsbetrieb zu beschreiben: Aus welcher Zeit sie stammen, zu welchem Tagungsthema sie verfasst worden sind, wird nicht angegeben. Zeitliche Verweise wie »jüngst« auf S. 149 hängen damit in der Luft; auch kann man eine mögliche Entwicklung der Behandlung von Themen nicht verfolgen. So wirken sie wie aus dem Zusammenhang gerissene Zitate, die einem Gesprächsprozess nicht wirklich zugeordnet werden können. Kritik ist am Lektorat zu üben, das Ab­satzdoppelungen nicht ausgemerzt hat (130) und besonders mit den muslimischen Texten unaufmerksam umgegangen ist. Das erschwert das Lesen etwa von Bekir Albogas Text (60 ff.), wo Tran­skriptionen arabischer Ausdrücke reihenweise fehlerhaft und da­mit unverständlich wiedergegeben werden und die Ziffer 6 häufig als G gedruckt wird.
Dabei besitzt gerade der erste Hauptteil mit dem Generalthema »Distanz und Nähe unterscheiden« am ehesten die gewünschte Ausgewogenheit, indem drei muslimische und drei nichtmuslimische Autoren berücksichtigt werden. Bekir Albogas Beitrag zeigt die traditionelle Herangehensweise an Fragen der Gesellschaft: Be­zug auf koranische Texte, Rückgriff auf die islamische Ausbreitungsgeschichte und die Einbeziehung der modernen Türkei sind dabei die üblichen Methoden. Doch als integrierter und hier sozialisierter Türke hat er die Fähigkeit, dieses Thema in verständlicher Ausdrucksweise für nichtmuslimische Partner darzustellen. Wolf-Dieter Ahmed Aries als europäischer Muslim (so bezeichnet er sich selbst) benutzt souverän eine philosophische Diktion, um postsäkulare Gesellschaftssituationen in muslimischer Betrachtungsweise zu präsentieren. Zekeriya Beyaz aus Istanbul kann am we­nig­sten auf hiesige Argumentationen und hiesige Situationen eingehen, auch wenn er selbstkritisch feststellt, »dass muslimische Staaten für die Bedürfnisse des 21. Jahrhunderts noch nicht genügend aufgeklärt sind«. Er sieht einen »Ansturm christlicher Missionare« als Gefahr heraufziehen. Solche Unterwanderung macht er dafür verantwortlich, dass »bei unseren Leuten negative Gefühle gegen die Christen« wachsen. Auf diese Weise stellt er wohl die Gesprächslage des Mainstreams des organisierten Islam dar. Damit werden deutlich unterschiedliche muslimische Dialog-Partner vor­gestellt. Die nichtmuslimischen Dialog-Partner sind auf andere Weise unterschiedlich, aber das sind wir ja gewohnt und erwarten das auch.
Als Dialog ist im zweiten Hauptteil (»Konflikt und Konsens entfalten«) die Beschäftigung mit der »Islamischen Charta« zu verstehen, obwohl beide diesbezüglichen Beiträge ihrer Tendenz nach nicht als Rede und Gegenrede aufeinander bezogen sind, sondern mehr als allgemeine Berichte erscheinen. Bei Martin Affolderbach (71 ff.) klingen seine »Zwischen«-Zustandsbeschreibungen wie eine offiziöse kritische Würdigung und Auswertung, bei Nadeem Elyas (78 ff.) steht die Einordnung in die Integrationsdebatte im Vordergrund. Levent Tezcan (»Interreligiöse Kommunikation und Konflikt in Zeiten der Kultursensibilität«) behandelt die Konsequenzen der islamischen Präsenz in Deutschland. Besonders die »heikle wie unumgängliche Frage der Institutionalisierung« wirke sich bei der Suche nach Ansprechpartnern aus. »Die Moscheegemeinde wird in eine Kommunikation hineingezogen …, deren Erfordernissen sie aber als Institution nicht gewachsen ist«. Das jedoch ist für die Praxis des Dialogs eine Herausforderung.
Im dritten Hauptteil (»Potenziale erkennen und wahrnehmen«) schildert Hamideh Mohagheghi (im Iran gebürtig) die Entwick­lung des Diaspora-Islam zwischen Hinterhofdasein und gesellschaftlicher Anerkennung. Sie ist die einzige Frau, die in diesem Band zu Wort kommt, und beklagt fehlende politische Maßnahmen zur Integration. Sie fordert »eine bewusste und gegenseitige Wahrnehmung und ein Aufeinanderzugehen« von Minderheiten und Mehrheitsgesellschaft. Das bedeutet etwa, »dass wir uns nicht von den Weltgeschehnissen so weit treiben lassen, dass kein Vertrauen mehr möglich ist.« Hamed Abdel-Samad fragt nach der »Ra­dikalisierung in der Fremde« und der Rolle der Religion dabei, wobei er Ergebnisse von eigenen wissenschaftlichen Forschungen referiert.
In den nichtmuslimischen Beiträgen geht es häufig um die Klärung der Begriffe Aufklärung, Toleranz, (kulturelle) Identität und Integration. Udo Steinbach fragt: »Macht der Dialog angesichts von Krieg, Gewalt und Terror wirklich Sinn? Was kann er bewirken?« Auch der vorliegende Band gibt keine konkrete Handlungsanweisung, vermittelt keine Ergebnisse. Aber er weckt Hoffnung.