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Ausgabe:

Juni/2008

Spalte:

597–600

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Brück, Michael von

Titel/Untertitel:

Ewiges Leben oder Wiedergeburt? Sterben, Tod und Jenseitshoffnung in europäischen und asiatischen Kulturen.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2007. 318 S. 8°. Geb. EUR 19,90. ISBN 978-3-451-29599-7.

Rezensent:

Werner Thiede

Der Münchener Religionswissenschaftler Michael von Brück un­termauert mit diesem Werk seinen Ruf, ein ausgezeichneter Kenner asiatischer Religionen zu sein – und zugleich bei aller sachlichen Darstellung spürbar mit deren Botschaft zu sympathisieren. »Reinkarnation und Auferstehung?« lautet denn auch bezeichnenderweise das Schlusskapitel über »Symbole der Hoffnung«. So findet sich gegen Ende die These, die Reinkarnationslehre könne, obgleich sie aus biblischen Quellen nicht ableitbar sei, möglicherweise christliche Lehre werden – sofern sich nämlich der Nachweis führen ließe, dass sie als mögliche Explikation der Verkündigung Jesu verstehbar sei (293). Schließlich sei ja auch die Trinitätslehre zunächst weder in der Bibel noch in der älteren kirchlichen Tradition ausgeführt worden. Wohl jeder Exeget und Systematiker wird hier aber einwenden, dass der Vergleich von Reinkarnations- und Trinitätslehre mit Blick auf die Frage einer frühkirchlichen Verwurzelung stark hinkt, v. B.s Begründung für sein angepeiltes Plädoyer also argumentativ schwach bleibt. Ich vermerke dies gleich zu Beginn, um deutlich zu machen, in welchem Geist dieses Werk ge­schrieben ist: Die Mischung von bewunderungswürdigem Kennt­nisreichtum hinsichtlich östlicher Religionen und Kulturen, wie er sich so vielleicht nur einer echten Liebe zum Gegenstand verdanken kann, und von tendenziöser Darlegung wirkt streckenweise ambivalent.
Weniger brillant erfasst sind demgemäß die eschatologischen Sachverhalte auf dem Gebiet der christlichen Theologie und ihrer Geschichte. So lässt sich eben keineswegs einfach pauschal behaupten, dass in der jüdisch-christlichen Vorstellungswelt der ganze Mensch mit Leib und Seele sterbe (147): Das trifft weder auf Jesus (z. B. Mt 10,28) und Paulus (z. B. 2Kor 5,1 ff.) zu noch etwa auf Origenes, Augustin, Luther, Calvin oder Löhe, von der bis heute gültigen römisch-katholischen Dogmatisierung der Seelenunsterblichkeit 1513 ganz zu schweigen! Und der These, dass sich die Zurückweisung der »Wiedergeburtslehre«, wie v. B. die Reinkarnationstheorie in Äquivozität mit dem ganz anders gefüllten biblischen Terminus gern nennt, durch die frühe Kirche angeblich nur gegen eine bestimmte Vorstellung von Reinkarnation gerichtet habe, verkennt die grundsätzliche Ablehnung dieser Lehre durch die christliche Theologie (von seltenen spritualistischen Ausnahmegestalten abgesehen, die nur die Regel bestätigen!) bis zum heutigen Tage. Biblisch fundierte Anthropologie, Christologie und Soteriologie lassen eine reinkarnatorisch inspirierte gedachte Eschatologie nicht ernsthaft zu – entsprechende Versuche bei bestimmten Gnos­tikern, bei Rudolf Steiner und einigen postmodernen Synkretisten bleiben allzu willkürliche, den Quellen nicht gerecht werdende Konstrukte. Auch der Umstand, dass es durchaus eine abendländische Geschichte des Reinkarnationsgedankens gibt (Zander 1999; Thiede 2007), ändert an diesem Sachverhalt nichts.
V. B. denkt penetrant vom Standpunkt der »Einheit der Wirklichkeit« (so schon der Titel seiner Habilitationsschrift) her: »Die Wirklichkeit ist in sich differenzierte Ganzheit. Der Ganzheitsgrund ist Gott, der sich auf verschiedenen Manifestationsebenen, die relative Ganzheiten formen und miteinander reagieren, manifestiert« (301). Dieser Standpunkt eines spirituellen Monismus nützt v. B. spürbar bei der Erschließung östlicher Religiosität, trübt ihm aber den Blick bei der Erfassung und Darstellung der christlich-eschatologischen Tradition. »Auferstehung« ist für ihn die nicht-dualistisch gedeutete Erfahrung der Einheit von Mensch und Gott jenseits der Zeit, das Erwachen »zu einer zeitfreien Einheit, in der alle Dinge miteinander verwoben sind« (307) – oder mystisch-gnostisch formuliert: »das Erwachen der göttlichen Kraft in mir, jetzt« (313). »Ebenso ist Reinkarnation«, wie es weiter heißt, »das Erwachen zu einem höheren Bewusstsein, hier und jetzt.« Hoffnung suche, so suggeriert v. B., »die Einheit-in-allem« (314). Indes – dass neutestamentliche Rede von »Auferstehung« und »Hoff­nung« sich nicht auf einen solch monistisch-regressiven Nen­ner bringen lässt, dürfte weithin bekannt sein (und ist z. B. 1991 in meiner Dissertation gezeigt worden). Wenn v. B. den Auferstehungs- und Inkarnationsgedanken sogar als Argument für eine erneute materielle Manifestation psychischer Kräfte nach dem Tod, also für Wiederverkörperung auf der alten Erde anzuführen versucht (298 f.), dann ist das eine vielleicht religionsphilosophisch, nicht aber theologisch mögliche »Hypothese«. Denn »der biblischen Tradition implizit« (302) sind reinkarnatorische oder gar karmische Theorien eben grundsätzlich nicht!
Im wiederholten Anführen Meister Eckharts – etwa mit dem Satz, Gott schmecke sich selbst in allen Dingen – drückt sich gewiss passend das monistische Paradigma aus, doch lag bei dem christlichen Denker jedenfalls kein Reinkarnationsglaube vor! Es erinnert eher an gnostische Theorien denn an kirchliche Lehren, wenn die monistische Hypothese der »vollkommenen Interrelationalität« bzw. des »absoluten Jenseits von Raum und Zeit« als »mystischer Leib Christi« (303) ausgegeben wird. Und theosophisch statt theologisch mutet es an, wenn Gott und »Schöpfung« durchgängig monistisch interpretiert werden: »Die kontinuierliche Manifestation aber ist seine Selbstentfaltung in allen [sic!] Erscheinungen der Welt« (305). Das sind fromme »Gedankenexperimente« (ebd.) einer synkretistischen oder multiplen Spiritualität, die aber nur mehr wenig mit authentischem Christentum, d. h. mit seinen grundlegenden und noch in der heutigen Ökumene normativen Urkunden zu tun haben. Schade, dass der Theologe und Religionswissenschaftler v. B. in dieser Hinsicht weder theologisch noch religionswissenschaftlich auf dem Niveau bleibt, das er auf dem Gebiet östlicher Religiosität einhält.
Für seinen beeindruckenden Kenntnisreichtum auf letzterem Sektor kann er sich auf Unterweisungen durch namhafte Lehrer, sogar durch den XIV. Dalai Lama, sowie auf eigene Meditationserfahrungen berufen. Er neigt allerdings dazu, seine Erkenntnisse nicht nur darzulegen, sondern zu einer eigenen Lehre auszuformen – auch wenn er dabei gern hypothetisch formuliert. Er sympatisiert deutlich mit der buddhistischen ars moriendi, wobei er versucht, einige Elemente christlicher Sterbekunst in seine Sichtweise zu integrieren, ohne letzterer ein Eigengewicht zu verleihen. »Wer dieses Licht erkennt, ist befreit« (256) – damit ist bei ihm eben nicht die lux aeterna christlicher Totenliturgie gemeint, auch wenn er sie kontextuell erwähnt, sondern das »Klare Licht der Vollendung« (’od gsal) des tibetisch-buddhistischen Totenrituals.
Dieser Zielperspektive dienen die Ausführungen des in gut verständlicher, manchmal sogar schöner Sprache geschriebenen Bu­ches. Was man hier beispielsweise über Sterbe- und Bestattungskulturen, über das Requiem, aber auch über Angst und Angstbewältigungsstrategien im europäischen Raum lesen kann, ist ordentlich recherchiert. Gleichwohl wäre angesichts des Untertitels eine differenziertere Aufnahme christlicher Eschatologie notwendig gewesen. Stellt doch in unserem Zeitalter ein verlässliches Kennenlernen der eigenen, christlichen Eschatologie ein mindes­tens ebenso dringlich zu markierendes Desiderat dar wie eine sensible Begegnung mit fremdem Kulturgut.