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Ausgabe:

März/1997

Spalte:

254 f

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

Die Tosefta. Seder II: Moëd. 3: Sukka –­ Jom tob –­ Rosch ha-Schana. Übers. u. erkl. v. H. Bornhäuser u. G. Mayer.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1993. IX, 196 S. gr.8° = Rabbinische Texte, 1. Reihe, Bd. 2, 3. Lw. DM 310,­. ISBN 3-17-012694-6.

Rezensent:

Friedrich Avemarie

Seit der vorzüglichen Bearbeitung des Doppeltraktats Sanhedrin-Makkot durch B. Salomonsen 1976 war es um die von G. Kittel und K. H. Rengstorf begründete deutschsprachige Tosefta-Übersetzung einige Zeit still. Jetzt ist wieder Bewegung in das Unternehmen gekommen: Ediert von Günter Mayer, der als neuer Herausgeber der Reihe die Nachfolge des verstorbenen K. H. Rengstorf angetreten hat, ist nun ein Band mit drei weiteren Traktaten erschienen. Jom tob ("Feiertag") und Rosch ha-Schana ("Neujahr") hat Mayer selbst übersetzt, Sukka ("Laubhütte") wurde von Hans Bornhäuser bearbeitet, dessen Manuskript anscheinend schon seit längerem vorlag (schon 1935 hatte er eine Übersetzung des entsprechenden Mischnatraktates veröffentlicht), für die Drucklegung aber noch einmal aktualisiert wurde. Das Erscheinen dieses Bandes ist um so mehr zu begrüßen, als keiner der drei Traktate bislang in einer durchgehend kommentierten neusprachlichen Übersetzung zugänglich war.

Sukka befaßt sich mit den rituellen Elementen des Laubhüttenfestes: der Laubhütte, dem Feststrauß, dem Wasseropfer im Tempel, dem damit offenbar verbundenen ausgelassenen Treiben des Volkes, den Trompetensignalen und der Einteilung des priesterlichen Opferdienstes. In Jom tob, dessen Mischna-Pendant gewöhnlich mit dem Titel Bes.a ("Ei") zitiert wird, geht es um die im Vergleich zur Sabbathalacha weniger strengen Regeln für die Speisezubereitung am Feiertag. Rosch ha-Schana behandelt die je nach Anwendungskontext differierende Festlegung der Jahresanfänge im Zyklus der Kalendermonate, das Verfahren zur Ermittlung des Monatsanfangs und die synagogale Liturgie des Neujahrsfestes, vor allem das Blasen des Schofars.

Die Übersetzung folgt, von Ausnahmen abgesehen, der Textausgabe von Zuckermandel (worauf im Vorwort vielleicht doch hätte hingewiesen werden sollen). Da der eigentliche Übersetzungstext nicht sehr lang ist, liegt das Hauptgewicht bei dem ausführlichen Fußnotenteil. Dieser liefert die zum Verständnis halachischer Texte schon von jeher unerläßlichen Sach- und Begriffserklärungen, weist auf Textvarianten hin, erläutert griechische und lateinische Lehnwörter und notiert in breitem Umfang sprachliche, motivische und sachliche Anklänge im vorrabbinischen jüdischen Schrifttum, von der Septuaginta über Philo und Josephus bis zum NT.

Hier vor allem liegt die Stärke dieses Kommentars. Seite um Seite wird dem Leser bewußt, wie sehr das nach der Katastrophe des Jahres 70 allmählich Gestalt und Oberhand gewinnende rabbinische Judentum in lebendiger Kontinuität mit den vielfältigen Strömungen der Zeit des Zweiten Tempels steht. Eindrückliche Beispiele sind die Notizen vom Abfall der Priestersippe Bilga während der Diadochenherrschaft (61 f.; vgl. 2.Makk 3,4 mit 4,23 f. und JSHRZ I/3 z. St.), von Konflikten mit der Partei der "Boethosäer" in Kalenderfragen (153 f.), vom liturgischen Fehlverhalten eines Hohenpriesters, den das Publikum daraufhin mit Zitrusfrüchten bewarf (40 f.; vgl. Jos Ant 13,372), von der prächtigen "Doppelsäulenhalle" der Juden in Alexandria (48 f.), der halachischen Gewissenhaftigkeit Jerusalemer Frommer (104 f.) oder auch dem wunderbaren Wüstenbrunnen Num 21,17 ff. (35 f.; vgl. CD 6,3-10; 1Kor 10,4).

Daß dabei die nachtalmudische rabbinische Tradition außer Betracht bleibt, sollte man nicht als Nachteil empfinden. Die Stuttgarter Tosefta kann und will keinen Ersatz für Liebermans Tosefta ki-Fshutah schaffen, und im Grunde ist das nur zu begrüßen. Durch das, was sie stattdessen bietet, wird sie vielmehr auch den Benutzern des Liebermanschen Werkes noch eine willkommene Ergänzung an die Hand geben, sobald sich das Interesse dem vorrabbinischen Judentum zuwendet. Ein gewisser Mangel liegt jedoch darin, daß bedeutungsrelevante Textabweichungen nur unsystematisch berücksichtigt werden:

Ein (freilich extremes) Beispiel gibt Rosch ha-Schana I,9 Ende; hier wird unkommentiert nach Zuckermandel übersetzt: "so wird von der ersten [Ernte] der Zweite Zehnt entrichtet und von der zweiten [Ernte] wird der Armenzehnt entrichtet" (132). Der Kontext zeigt, daß hier Zweiter Zehnt und Armenzehnt vertauscht stehen müßten; das Versehen ist offenkundig. Zuckermandel und Lieberman notieren z. St., daß Hs. Erfurt (Zuckermandels Textbasis!) statt "Armenzehnt" ein zweites Mal "Zweiter Zehnt" liest. Zuckermandel emendierte, verschlimmerte damit das Verderbnis aber nur; vgl. Tosefta ki-Fshutah z. St. Der korrekte Text wäre Hs. Wien zu entnehmen: "so wird von der ersten [Ernte] der Armenzehnt entrichtet, und von der zweiten [Ernte] wird der Zweite Zehnt entrichtet."

Mustergültig ist das Register. Es umfaßt neben Schriftzitaten und rabbinischen Querverweisen auch sonstige frühjüdische Schriften (einschl. Qumran), das NT, pagane Literatur, Eigennamen, einen ausführlichen Sachteil, halachische Fachterminologie sowie griechisches und lateinisches Vokabular. Ein mehrseitiges Literaturverzeichnis rundet das Werk ab. ­ Der Fachwelt bleibt zu wünschen, daß bei einem so erfreulichen Neubeginn diesem Band recht bald weitere folgen!

An Versehen fielen auf: S. 15: Zwischen "tagsüber bewachen," und "sind tagsüber" ergänze "sind nachts verpflichtet und tagsüber frei; solche, die eine Stadt nachts bewachen,". ­ S. 38: Statt "den [früheren] Tempel" lies wohl "die Tempelhalle" (oder "den Hek-al"; es kommt hier auf die genaue Örtlichkeit an). ­ S. 106: Zwischen "Feldern [befinden]," und "da sagt" ergänze "und über die verstreuten [Holzstücke], die [sich] in einem Bereich [befinden];". ­ S. 121: Statt "darf sich mit Pottasche" lies "darf die Kleider (oder: die Geräte) mit Pottasche" (vgl. aber Tosefta ki-Fshutah z. St.!). ­ S. 130: Statt "fünf im Tischri und im Elul fünf" lies "fünf im Tischri und fünf im Ab-". ­ S. 133: Hinter "vor ihm.80.81" ergänze "Hat ihn das Gericht nicht geheiligt, so beginnt der Prozeß vor ihm nicht." ­ S. 140: Statt "" lies " N.N." (s. Anm. 60). ­ S. 141: Hinter "eingesetzt wurde," ergänze "selbst der Geringste unter den Geringen,". ­ S. 144: In Anm. 54 fehlen zwei hebr. Wörter. ­ S. 152: Zwischen "Bibelstellen" und "[, die] vom Horn [handeln]" ergänze "[, die] vom Gedenken [Gottes handeln,] zusammen mit". ­ S. 154: Hinter "genügt109." ergänze: "[Hörte einer] sechs teki’ot- und die drei teru’ot-, selbst mit Unterbrechungen, selbst den ganzen Tag über, so hat er der Pflicht genügt." ­ S. 156: "Schim’on b." ist zu streichen.