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Ausgabe:

März/1997

Spalte:

252–254

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Lange, Armin

Titel/Untertitel:

Weisheit und Prädestination. Weisheitliche Urordnung und Prädestination in den Textfunden von Qumran.

Verlag:

Leiden­New York­Köln: Brill 1995. XI, 345 S. m. 7 Abb. gr.8° = Studies on the Texts of the Desert of Judah, 18. ISBN 90-04-10432-1.

Rezensent:

Roland Bergmeier

"Eine Untersuchung zum Zusammenhang von weisheitlicher Urordnung und prädestinatianischer Geschichtsordnung in den Textfunden von Qumran" hatte der Untertitel der 1994 in Münster eingereichten Dissertation gelautet ­ der Sache, nach der gefragt wird, wohl angemessener. Denn Lange nimmt an, daß das Zerbrechen der sapientiellen Weltsicht vom Tun-Ergehen-Zusammenhang dazu führte, die sinnstiftende Ordnung der Welt als je und je offenbarungsbedürftig zu einer präexistenten Urordnung ins Jenseits zu erhöhen. Was anfänglich, in der späten Weisheit, nur eben in Spitzensätzen vorlag, entwickelte sich Schritt für Schritt, ablesbar an voressenischen Textbefunden der Qumranbibliothek, zum dualistisch prädestinatianischen System einer präexistenten Schöpfungsordnung.

Die Textfolge, die der Vf., ausgehend von Sir 33,7-15, als Entwicklungslinie interpretiert, beginnt mit der Weisheitsschrift 4QSapA, speziell 4Q417 2. Sie zeichnet die Urordnung als eine solche, die, auf himmlischen Tafeln bzw. in der "Vision der Erklärung" verborgen, nur Eingeweihten unter Menschen und Engeln offenbart wird. Das genannte Visionsbuch werde in den essenischen Texten entsprechend als "Buch hhgw" bezeichnet. Aus dem "Buch der Geheimnisse" (=Myst) untersucht Lange das Fragment 1Q27 1 und findet so die Vorstellung von der weisheitlichen Urordnung ins Eschatologische ausgedehnt. Bei den weitreichenden und umfangreichen Ausführungen hierzu scheint fast vergessen, daß die Rede von denen, "die die wun[derbaren] Geheimnisse festhalten", auf Ergänzung beruht (nach Zeile 2 eher "Geheimnisse des Frevels"). Voll entwickelt zeigt sich die präexistente Geschichtsordnung in der als voressenisch ausgewiesenen Zwei-Geister-Lehre 1QS 3,13­4,26, die, so S. 168, "in den Verfasserkreisen von Myst und 4QSap entstanden ist". Im 5. Sabbatlied 4Q402 4 diagnostiziert Lange sodann noch einmal einen kräftigen Schub der Historisierung der Urordnung: Hier ist aus dem sapientiellen AllGeheimnis eine transzendente Ordnung von Sein und Geschichte geworden.

Wenn das System dualistisch prädestinatianischer Urordnung so rein voressenisch war, wie der Vf. darlegt, müßte man eigentlich die Frage erörtern, warum wir allererst durch die Qumranfunde so davon Kenntnis bekommen konnten. Denn was vermögen nach alledem die authentischen Texte der Qumrangemeinde, des jahad, noch zu bringen? Sie können nur noch schrittweise das Systemganze integrieren und die einzelnen Aussagen funktionalisieren. "In kaum einem anderen Text," so S. 230., "zeigt sich das Ineinander von weisheitlicher Urordnung und prädestinatianischer Geschichtsordnung so deutlich" wie in 1QHa IX1-X4 (im wesentlichen Kolumne I der Erstedition Sukenik). Es dient dazu, die Niedrigkeit des Menschen aufzuzeigen und aufzufordern zum Lob des allmächtigen und allwissenden Gottes, der sogar die Sündhaftigkeit des Menschen als Teil der Schöpfungsordnung festgelegt habe (223). CD 2,2-13 ist demgegenüber sehr stark von der Zwei-Geister-Lehre beeinflußt:

"Anders als in den Hôdayôt werden in der Damaskusschrift die dualistischen und eschatologischen Komponenten der Vorstellung von der präexistenten Seins- und Geschichtsordnung in die Theologie des jahad integriert. Dies geschah, um die in der Gründungsgeschichte des jahad gemachten Erfahrungen theologisch zu verarbeiten" (298). 4Q180, "der Pescher auf die Epochen", belegt wie auch das Jubiläenbuch die "Verbindung von Thora und einer in Epochen gegliederten Geschichtsordnung" (280). Im Pescher Habakuk wird sogar der Zweck deutlich, zu dem das weisheitliche Theologumenon aufgenommen worden ist: "Man machte das Ausbleiben des Eschatons zu einem Teil der verborgenen göttlichen Seins- und Geschichtsordnung selbst" (295).

Schließlich nimmt der Vf. an, daß das Ergebnis seiner Untersuchungen auch bei der Kontroverse um die Wurzeln der Apokalyptik ein Wort mitzureden hat. In Blick auf die Alternative Weisheit oder Prophetie ergreift der Vf. für die Position von Rads Partei, "daß die Apokalyptik sich unter Aufnahme prophetischer Traditionen aus der Weisheit entwickelt hat" (306).

Wie man unschwer erkennen kann, hat in dem hier zu besprechenden Buch ein grundgelehrter Qumran-Fachmann das Wort ergriffen. Schade, daß der Vf. die philologische Sorgfalt, mit der er die hebräischen Texte bearbeitet hat, so daß selbst ein fehlendes vacat als Schreibfehler diagnostiziert wird (166, Anm. 187), nicht auch der deutschen Sprache und dem veröffentlichten Buchtext hat angedeihen lassen! Überdies wäre eine gründliche Redaktion des Ganzen notwendig gewesen, um den durch zahllose Wiederholungen gedehnten Text zu straffen und Präzision und Stringenz der Darstellung dem hohen Niveau des wissenschaftlichen Gehalts anzugleichen. So hat man gelegentlich den Eindruck, die einzelnen Kapitel seien je für sich entstanden, nicht als Bestandteil eines großen Bogens der Darstellung.

Vorbildlich im Methodischen und kompetent in der Sache wird über die Textfunde von Qumran informiert, über Unterscheidungsmerkmale zwischen essenischen und voressenischen Texten sowie über Geschichte und Theologie der Qumrangemeinde. Nicht erhellend finde ich hierbei, die Vorläufergruppe des jah.ad einerseits in Erfüllung von Jer 31,31 als "neuen Bund" bezeichnet zu sehen, andererseits auf ebendiesen "neuen Bund" die Bemerkung CD 1,9 zu beziehen: "Und sie waren BlindeŠ" Ungeschickt angelegt erscheint die Einführung in die Problemstellung der Arbeit und in die Forschungsgeschichte erst von S. 30 an.

Darüber hinaus muß ich monieren, daß der Vf. meine Dissertation, die schon 1974 die Themenfelder "weisheitliche Determination" und "qumranspezifische Prädestination" bearbeitet hatte (vgl. ThLZ 107, 1982, 40 f.), nicht zur Kenntnis genommen, geschweige denn die dort vorgelegten Differenzierungen nach Antithetik und Dualismus im strengen, nach Determination und Prädestination im engeren Sinn realisiert hat. So entwickelt der Vf. tatsächlich ein "Gedankengebäude" (297), bei dem nicht immer klar wird: Ist es das der Verfasserkreise der untersuchten Texte oder des Vf.s, der die Texte untersucht.