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Ausgabe:

März/1997

Spalte:

241 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Blenkinsopp, Joseph

Titel/Untertitel:

Sage, Priest, Prophet. Religious and Intellectual Leadership in Ancient Israel.

Verlag:

Louisville, Kent.: Westminster John Knox Press 1995. XI, 191 S. gr.8° = Li-brary of Ancient Israel. ISBN 0-664-21954-3.

Rezensent:

Thomas Krüger

Mit dieser Studie liegt der erste Band der von Douglas A. Knight herausgegebenen "Library of Ancient Israel" vor, die sich zum Ziel setzt, mit einer Reihe von sozialgeschichtlichen Einzeluntersuchungen als Ergänzung und Korrektiv zu herkömmlichen Darstellungen der "Geschichte Israels", die vor allem die Ereignisse der "nationalen" Geschichte und die führenden Persönlichkeiten im Blick haben, ein Bild der Kultur und Gesellschaft des "alten Israel" zu entwerfen, in dem das alltägliche Leben der großen Mehrheit der Bevölkerung stärker zum Zuge kommt.

B.s Untersuchung der religiösen und intellektuellen Autoritäten faßt sozusagen die "Schnittstelle" zwischen einer an den führenden Persönlichkeiten orientierten Geschichte "von oben" und einer an der Alltagswirklichkeit der "kleinen Leute" interessierten Geschichte "von unten" ins Auge. Denn Weise, Priester und Propheten füllen nach B. (im Anschluß an Max Weber "id-ealtypisch" verstandene) soziale "Rollen" aus, die in Wechselwirkung zwischen ihren Trägern und deren "Publikum" (sowie zwischen den Trägern verschiedener "Rollen") definiert werden und sich durch neue geschichtliche Herausforderungen verändern.

Nach einer Einleitung, die Ansatz und Fragestellung der Ar-beit sowie das Problem der Quellen skizziert, behandelt B. in drei Kapiteln "Sage", "Priest" und "Prophet" und faßt die Er-gebnisse seiner Studie kurz zusammen. Hinweise auf weiterführende (englischsprachige) Literatur sowie Register zu Texten und Stichworten schließen den Band ab. In den drei Hauptteilen seiner Arbeit geht B. jeweils vom atl. Quellenbefund aus und nimmt dort vorliegende, relativ späte Rollenkonzepte wie etwa das Bild eines jüdischen "Intellektuellen" in hellenistischer Zeit bei Jesus Sirach oder das deuteronomistische Prophetenverständnis zum Ausgangspunkt der historischen Rückfrage nach älteren Entwicklungsstadien. Für die historische Rekonstruktion zieht er neben Erwägungen zur Literaturgeschichte des AT auch Vergleichsmaterial aus der Umwelt des alten Israel sowie soziologische Theorien heran. Besondere Aufmerksamkeit widmet er den spezifischen "Weltsichten" und "intellektuellen Traditionen" von Weisen, Priestern und Propheten und ihren geschichtlichen Veränderungen. Sozial- und Theologiegeschichte werden so eng miteinander verbunden und aufeinander bezogen.

Obwohl erst bei Jesus Sirach (und vielleicht in Qoh 12,9 ff.) "Weisheit" als Profession historisch greifbar wird, nimmt B. (gegen R. N. Whybray) an, daß es bereits in staatlicher Zeit professionelle "Weise" gegeben habe, welche den ursprünglich von Stammesältesten geschaffenen und getragenen "moralischen Konsens" im Dienste des staatlichen Systems weiterentwickelten und umformten und dabei neben der Sammlung von Sprüchen in Prov 10 ff. auch in der Rechtsüberlieferung tätig waren. Die Konzeptualisierung der Weisheit als Frau in Prov 1-9 interpretiert B. als "Rationalisierung" im Sinne Max Webers (46). Sie reflektiere ebenso wie das Ideal der "weisen Frau" in Prov. 31 ein patriarchales Milieu, enthalte aber "a potentially subversive challenge to male dominance" (48). Die Bücher Hiob und Qohelet dokumentieren nach B. die Entstehung einer Tradition eigenständiger und unabhängiger "Intellektualität" auf Seiten der wohlhabenden Oberschicht (Hiob) und professioneller Weisheitslehrer (Qohelet).

Professionelle "Priester" gab es nach B. bereits in vorstaatlicher Zeit. Ihr Status und ihre Funktionen waren in staatlicher Zeit und in der Zeit des zweiten Tempels Veränderungen unterworfen. Die Überlieferungen über Zadok, Aaron und Levi sowie "Priester und Leviten" lassen auf Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen schließen. Aus der Priesterschrift rekonstruiert B. die Grundelemente priesterlicher "Weltsicht".

Im Bereich der Prophetie sieht B. eine Entwicklung von so-zial randständigen "ekstatischen Gruppen", wie sie u.a. in der Elisa-Überlieferung greifbar werden, zu Propheten in staatlichen Diensten auf der einen und "dissidenten Intellektuellen" wie Amos, Hosea, Jesaja und Micha auf der anderen Seite, die sich selbst nicht als "Propheten" bezeichnen und sich kritisch zu "Propheten" äußern. Sie seien durch "a tradition of social and political protest" miteinander verbunden und dokumentierten "a common activity rather than... a specific profession" (144). In den Reformbestrebungen Hiskias und Josias, in der deuteronomistischen Überlieferung sowie in der literarischen Entwicklung des Korpus der Prophetenschriften zeigt sich nach B. die (selektive) Rezeption und "offizielle Anerkennung" ehemals "dissidenter" prophetischer Traditionen.

In Anbetracht der offenen und divergenten Diskussion in der Forschung zu fast allen Fragen der Geschichte Israels und der Literatur- und Theologiegeschichte des AT kann von einem Entwurf wie dem vorliegenden nicht mehr als eine gut begründete Hypothese erwartet werden. B. selbst ermuntert seine Leserinnen und Leser, "to check the suggestions made and conclusions reached against a close personal reading and study of the biblical texts" (184).

Hierzu wäre auch der gleichzeitig mit B.s Studie erschienene Band von Lester L. Grabbe, Priests, Prophets, Diviners, Sages: A Socio-Historical Study of Religious Specialists in Ancient Israel (Valley Forge, Pa.: Trinity Press International, 1995) mit heranzuziehen. Insbesondere die von B. bei "Weisen" und "Propheten" angenommene Emanzipation einzelner "Intellektueller" von institutionellen Rollen- und Traditionsvorgaben, die zur Entwicklung "dissidenter Subkulturen" führt (wofür auf Seiten der Priesterschaft vielleicht die Entwicklung der Qumran-Gemeinschaft zum Vergleich herangezogen werden könnte), verdient m. E. eine intensive weitere Diskussion.