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Ausgabe:

März/1997

Spalte:

237–239

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Jonas, Hans

Titel/Untertitel:

Gnosis und spätantiker Geist. II,1.2: Von der Mythologie zur mystischen Philosophie. Hrsg. v. K. Rudolph.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1993. XVI, 410 S. gr. 8° = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 159. Lw. DM 128,­. ISBN 3-525-53841-3.

Rezensent:

Hans-Martin Schenke

Es ist also doch wahr, was ich zunächst gar nicht recht glauben konnte, daß mit dieser Neuauflage von "Gnosis und spätantiker Geist II" (II,1 in 1. Auflage 1954 [vgl. ThLZ 85, 1960, 657-661], in 2. Auflage 1966) dieses große Werk von H. Jonas zur Gnosis doch noch seinen Abschluß gefunden hat ­ genauer gesagt: einen "gewisse(n) Abschluß" (225). Da sowohl der Autor als auch der Verlag damit zufrieden zu sein scheinen, traut man sich kaum zu fragen, ob sich ein Verehrer von Hans Jonas dennoch erlauben darf, seine eigene Mitfreude an diesem wissenschaftsgeschichtlichen Ereignis von Zweifeln daran, ob das, was gemacht worden ist, wirklich gut und nützlich war, trüben lassen darf. Denn das, wodurch sich die jetzt vorliegende Gestalt II,1.2 von der seit langem bekannte Gestalt II,1 im wesentlichen unterscheidet, sind ja nur die hinzugefügten Kapitel 6: "Fragmente zu Plotin" (224-327) und 7: "Parerga zum Thema Gnosis" (328-379). Und das heißt, da man das erwartete richtige Plotin-Kapitel auch jetzt nicht hatte, wurde hier gesammelt und eingestellt, was sich an alten Entwürfen und anderweitigen Darstellungen zu Plotin aus der Feder von Jonas finden (und verwenden) ließ. Und anstelle des auch noch ausstehenden Abschnitts über Evagrius Ponticus und die Mönchsmystik hat man nun (in Kapitel 7) gar ganz etwas anderes genommen.

Beim andächtigen Lesen dieser neuen Teile hat mich eben die Frage verfolgt und nicht wieder losgelassen, ob nicht doch Jonas’ "Unvollendete Symphonie" einen höheren Grad von Vollkommenheit aufgewiesen hat als das jetzt so vollendete Werk. Der schließlich entscheidende Trost in diesem Konflikt ist freilich dann doch das durch einschlägige Bemerkungen von Verlag und Hg. vermittelte und glaubhafte Wissen darum, daß Hans Jonas, der das Erscheinen seines Werks in dieser neuen Ganzheit freilich nicht mehr erlebt hat, es selbst so gewollt bzw. nicht ungern gesehen hat. Und in hohen Maße lohnend ist die Lektüre dieser neuen bzw. neu zusammengestellten Teile allemal. Insonderheit das Plotin-Kapitel enthält ja wunderschöne Edelsteine, nur eben "roh" und nicht so geschliffen und angeordnet, daß sie ohne weiteres in die leer gebliebenen Stellen des "Kolliers" passen. Andererseits geben die dortigen Ausführungen sehr wohl eine Vorstellung davon, welchen Glanz die Steine hätten ausstrahlen können, wenn der "Juwelier" sie noch hätte schleifen und wirklich einpassen können. Und schließlich ist auch der Inhalt des "Fremdkörpers" Kap. 7 an sich interessant, so daß man unter den gegebenen Umständen für die hiesige Auswahl und Zusammenstellung des sich sonst nur verstreut Findenden nicht undankbar sein wird.

Wenn man also das Werk schließlich doch annimmt, wie es ist, wird man auch Einsicht üben müssen in seinen notwendig redaktionellen Charakter, in dem es sich uns präsentiert. Neben der Stimme von Jonas ist da nun auch noch die Stimme des Hg.s erheblich mit im Spiele. Auch daß sie erst mitten drin einsetzt, nämlich erst am Übergang von den alten (auch im alten Druck bleibenden) zu den neu hinzugefügten Teilen, ist, so merkwürdig das auch aussieht, nicht unverständlich. Aber ein wirkliches Problem könnte in der Frage liegen, ob bzw. in welchem Grade die Stimmen der beiden Forscher, die hier reden, die aufeinander angewiesen waren und auch einander mochten, wirklich zueinander passen, vorausgesetzt, daß der Eindruck richtig ist, daß der eine, der Redaktor, die Wahrheit mehr im "diesseitigen" Bereich der Mannigfaltigkeit sucht, während es dem anderen, dem "Evangelisten", den Blick nach oben gerichtet, allein um das Eine und Wesentliche zu tun ist. Wenn das nämlich stimmen würde, könnte manches von dem Vielen, was der Hg. in seinen "Vorbemerkungen" sagt (224-251), so interessant und verdienstlich das an sich auch ist, zur Legitimation dessen, was er dann den Autor selbst sagen lassen will, nicht unbedingt nötig gewesen sein.

Es kommt noch hinzu, was für mich persönlich auch ein Thema für sich ist: das unverwechselbare "Timbre" dieser Stimme des Autors selbst. Das Einmalige und Faszinierende ist eben auch die Art, wie Jonas ausdrückt, was er zu sagen wünscht. Ich kann das eigentlich weniger beschreiben als bekennen, und schon gar nicht erklären. Ganz unmittelbar bewußt geworden ist mir dieses Phänomen, als ich ihn im Juni 1992 das letzte Mal lebend gesehen, gehört und gesprochen habe ­ anläßlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Freie Universität Berlin.

Wenn ein anderer und er denselben Sachverhalt bezeichnen, dann ist das eben nicht mehr dasselbe. Wissenschaft und Kunst, nämlich (natürliche) Kunst das Ausdrucks, können offenbar durchaus zusammengehen, jedenfalls tun sie das bei ihm. Entsprechend ist er nicht mehr er selbst, wenn er bloß "zitiert" wird ­ es sei denn, das wird sehr sorgsam und in ganzen eigenständigen Sinneinheiten gemacht. Schon deshalb möchte ich mich hier auch dem Versuch einer "Zusammenfassung" dessen, was Jonas in Kap. 6 und 7 nun noch sagt, widersetzen. Nötig ist so etwas ja auch schon deswegen nicht, weil so gut wie alles "Neue" anderswo schon vor langer Zeit veröffentlicht (und besprochen) worden ist. Allerdings dürfte es geboten sein, wenigstens mitzuteilen, um welche Einzelthemen es eigentlich geht.

Kap. 6 ist aus folgenden vier Stücken zusammengesetzt: "Plotins Stellung zur Welt und Abwehr der Gnosis"; "Plotins Tugendlehre: Analyse und Kritik"; "Plotin über Ewigkeit und Zeit"; "The Soul in Gnosticism and Plotinus". Zur Abrundung des Plotin-Kapitels hat der Hg. noch eine Auswahlbibliographie zu "Plotin und die Gnosis" entworfen (322-327). Kap. 7 hat folgende drei Teile: "Typologische und historische Abgrenzung des Phänomens der Gnosis"; "The ’Hymn of the Pearl’: Case Study of a Symbol, and the Claims for a Jewish Origin of Gnosticism"; "Gnosis, Existentialismus und Nihilismus". Wo die Einzelstücke der Kapitel 6 und 7 herstammen, erfährt der Benutzer durch diesbezügliche "Nachweise" (die auf den Seiten 380 f. folgen).

Weil das mit der Sprache von Jonas so ist und es entsprechend bei ihrer Wiedergabe auf jeden Kasus und jedes Komma ankommt, habe ich für ein Phänomen des vorliegenden Buches freilich keinerlei Verständnis. Was ich meine, könnte man schamhaft mit den Worten ausdrücken: die neu gesetzten Teile hätten noch einmal (mehr) Korrektur gelesen werden müssen. Was gewöhnlich, falls überhaupt nötig, als Anhang an den Schluß einer Rezension gestellt wird, gehört hier zur Sache selbst. Es betrifft in gleicher Weise deutsche, englische und griechische Wörter, außerdem die Kommasetzung und die Worttrennung beim Zeilenbruch. Glücklicherweise erkennt der Leser diese "Unebenheiten" im Stolpern meist selbst, auch so etwas wie das Fehlen der Negation "not" (345 Z. 12). Aber durch die so hinderlichen Skandala kommt es nicht zum Genuß der Sache, und die nötigen Verbesserungen geben den neuen Seiten das Aussehen von Korrekturfahnen. Aber wer kann schon ahnen, daß auch einmal, infolge von Homoioteleuton ("Krise"), ein ganzes Textstück, etwa von der Länge einer Zeile, fehlt (338 Z. 30). Natürlich hat die Sache gelegentlich auch komische Züge; so, wenn die Nag Hammadi-Schrift VII,5 sich als: die "Drei Seelen des Seth" benannt findet (240 Z. 19). Aber hier verunstaltet der Hg. nur seinen eigenen Text. Und das ist noch etwas anderes als der nachlässige Umgang mit dem Text eines anderen, zumal wenn dieser selbst sich nicht mehr an der Korrektur beteiligen konnte. Und man liest also mit besonderer Wehmut auf S. 255 in den Vorbemerkungen des Hg.s die Worte: "außerdem wollte er (Jonas) noch die Korrekturen mitlesen."

Schließen wollen wir unsere Vorstellung von "Gnosis und antiker Geist II,1.2" aber mit der versöhnlichen Heraushebung eines Zuges von Vollkommenheit. Die Ergänzung dieses 2. Bandes hat nämlich auch zur Erstellung eines ausführlichen Registers geführt, wie ja auch Bd. I schon seit der dritten Auflage von 1964 ein solches aufwies. Es wurde in Zusammenarbeit mit Carsten Koch erarbeitet und unterteilt sich wie das von Bd. I in: Namen- und Sachregister (382-401) und: Stellenregister (402-410).