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Ausgabe:

April/1997

Spalte:

395 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Bechmann, Ulrike, u. Mitri Raheb [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Verwurzelt im Heiligen Land. Einführung in das palästinensische Christentum.

Verlag:

Frankfurt/M.: Knecht 1995. 240 S. 8°. Kart. DM 20,­. ISBN 3-7820-0729-8.

Rezensent:

Olaf Schumann

Trotz einer mehr als 150jährigen Geschichte enger Beziehungen zwischen palästinensischen und deutschen christlichen Gruppen und Kirchen ist die Kenntnis über das palästinensische Christentum unter Christen und Christinnen in Deutschland immer noch ­ falls überhaupt vorhanden ­ sehr dürftig. Mit ihrem äußerlich bescheidenen, aber inhaltlich reichhaltigen und informativen Büchlein haben die beiden Hgg., U. Bechmann (katholische Theologin in Bayern) und Mitri Raheb (in Deutschland promovierter lutherischer Theologe in Bethlehem) zusammengetragen, was an Grundwissen über die Geschichte des Christentums in Palästina und seine vom heutigen Kontext, einer ­ zum Zeitpunkt des Erscheinens ­ 28jährigen Zeit der Besatzung durch Israel, vorgegebenen Probleme von Belang ist.

Im Teil I: Wer sind diese Christen? führen Paul Löffler (13-27), Mitri Raheb (28-35), Rafiq Khoury (36-50) und Paul E. Hoffman (51-76) knapp in die Kirchen- und Konfessionsgeschichte Palästinas, in die Demographie und Statistiken, in das Selbstverständnis der palästinensischen Christen sowie in die politische Situation ihrer Heimat im 20. Jh. ein.

Teil II: Theologie im palästinensischen Kontext, führt in eins der zentralen Anliegen des Buches ein: eben die Begründung einer kontextuellen Theologie in Palästina. Nach einer kurzen Einführung in die Thematik durch Bechmann (79-86), in der sie besonders auf die auch in Deutschland durch ihre deutschsprachigen Veröffentlichungen bekannt gewordenen drei Theologen Na’im Stifan Ateek, Mitri Raheb und Elias Chacour eingeht, legt Ottmar Fuchs einen Aufriß über prinzipielle Themen und Probleme vor: "Kontextuelle Theologie: verwurzelt im Leben- und Leidenszusammenhang der Kulturen" (87-118). Seine Ausführungen nehmen keinen speziellen Bezug auf Palästina. Er begründet jedoch das Recht einer jeden Glaubensgemeinschaft, die durch spezifische geschichtliche Erfahrungen und kulturelle Ausprägungen eine eigene Identität entwickelt hat, diese zum "ersten Buch" ihres Glaubens zu machen. "Ohne dieses erste Buch hat das zweite Buch, die Bibel, keinen Sinn, wenn man insgesamt glaubt, daß seine Botschaft etwas mit dem Leben der Menschen zu tun hat" (108). Erinnerungen an Ernst Käsemanns viel diskutierten Vortrag auf der Faith and Order-Konferenz in Montreal 1963 werden wach, wenn Fuchs für die "Vielsprachigkeit und Vielkulturigkeit des christlichen Glaubens und der Kirchwerdung" als legitimen Prozeß eintritt und damit jeder Art von "abstufendem Zugriff einer kulturellen Ausformung des Christentums auf eine andere" eine Abfuhr erteilt (109). Raheb, der sich bereits an anderen Orten wiederholt und grundsätzlich um die Konzeption einer kontextuellen palästinensischen Theologie bemüht hat, beschränkt sich hier auf praktische Probleme ­ zunächst auf ein Thesenpapier, in dem es besonders um Fragen der Pädagogik geht: "Zusammenarbeit von ChristInnen, MuslimInnen und JüdInnen im Nahen Osten" (119-124), sowie die Beschreibung einiger von Palästinensern initiierten und geleiteten "Zentren der Theologie, des Dialogs und der Begegnung" (125-133) und deren Aktivitäten, nämlich Al-Líqa’, Sabeel (hier hätte auch dessen spiritus rector, Na’im S. Ateek, Erwähnung verdient), und das Gästehaus al-Gubran. Schließlich berichtet Rainer Zimmer-Winkel über den ersten Palästinenser auf dem Stuhl des Lateinischen Patriarchen in Jerusalem, Michel Assaad Sabbah, der Ende Dezember 1987, wenige Tage nach dem Beginn der Intifada, von Papst Johannes Paul II. in dieses Amt ernannt wurde ("In pulchritudine pacis", 134-140).

Teil III wendet sich der Rolle und Bedeutung christlicher Frauen in Palästina zu. Die Frauenbewegung in Palästina in diesem Jahrhundert, dargestellt von Rana Khoury (143-160), macht deutlich, wie es besonders die politischen Entwicklungen gewesen sind, die halfen, die Mauern zwischen Musliminnen und Christinnen in Palästina zu verringern und damit der palästinensischen Frauenbewegung im Unterschied zu den benachbarten arabischen Ländern eine besonder Prägung zu geben.

Die Auseinandersetzung um den Weltgebetstag der Frauen aus Palästina 1994, die besonders in Deutschland zu beschämenden Entgleisungen geführt hat, wird von Bechmann noch einmal in ihren wesentlichen Punkten und erfreulich sachlich zusammengestellt (161-173). Dem Vorwurf, der Gottesdient sei ein "Beten gegen Israel", hatte die israelische Rechtsanwältin Felicia Langer geantwortet: "Dies ist nicht antiisraelisch, dies ist Anti-Besatzungspolitik" (170). Das müßte eigentlich auch in Deutschland verstehbar sein. Besonderes Interesse in diesem Teil des Buches dürfte dann noch das Interview finden, das Bechmann mit Hanan Ashrawi führte (177-188), der Leiterin der palästinensischen Verhandlungsdelegation in Madrid und Washington, besonders ihre Gedanken zur Bedeutung der Frauen bei der Gestaltung der palästinensischen Gesellschaft und, aus Palästina und Israel, im sich anbahnenden Friedensprozeß.

Der christliche Beitrag im Bildungs- und Sozialwesen in Palästina ist schließlich das Thema von Teil IV. Daß die christlichen Schulen für lange Jahrzehnte praktisch die einzigen im Lande waren, die Allgemeinbildung vermittelten ­ dies allerdings in großer Zahl­, verweist auf die Besonderheit des früheren palästinensischen Schulwesens und der von ihm vermittelten Bildung (Hans-Jürgen Abromeit zum Beitrag christlicher Schulen in Palästina, 191-207).

Die weitere Entwicklung seit der Landesteilung und unter israelischer Besatzung beschreibt Viola Raheb in zwei Beiträgen (Das Schulwesen in Palästina, 208-215 und Der Einfluß der Politik auf das Bildungswesen in Palästina, 216-227). An ihren Ausführungen können die immensen Aufgaben ermessen werden, die auf die für den Aufbau eines neuen palästinensischen Bildungswesens Verantwortlichen zukommen. ­ Auf die Bedeutung christlicher Sozialarbeit verweisen schließlich beispielhaft Maged Nassar mit einem Bericht über die Klinik des griechisch-katholischen Konvents in Beit Sahour (228-233) und ein von Raheb geführtes Interview mit "einem Mediziner in Palästina" (234-238). ­ Für Interessenten/-innen an weiteren Informationen findet sich auf S. 239 noch eine Liste mit Kontaktadressen.

Das vorliegende Buch will vor allem informieren. Das ist vorzüglich gelungen. Hilfreich wäre allerdings eine Liste deutschsprachiger Literatur aus den letzten Jahren gewesen, die die an dieser Thematik Interessierten zu weiterer Lektüre hätte anleiten können. Dazu verhelfen nun, wenn auch etwas umständlich, die Anmerkungen zu einzelnen Beiträgen. Besonders erfreulich ist jedoch ­ trotz vieler noch offener Wunden ­ die Sachlichkeit der Darstellung, die von der Hoffnung getragen wird, daß nach jahrhundertelanger Fremdbestimmung, die mit dem Einmarsch der Osmanen 1517 begann, nun endlich die Aussicht auf Selbstbestimmung und Entfaltung eigener Identität sich zu verwirklichen scheint. Die Bereitschaft, auf dieser Voraussetzung die Zukunft mit den Nachbarn, vor allem auch mit Israel, gemeinsam zu gestalten, klingt aus jedem Beitrag deutlich heraus. So kann dem Buche nur gewünscht werden, daß es einen großen Leserkreis findet und daß in Zukunft mehr Christen und Christinnen aus Deutschland den Weg zu ihren Glaubensbrüdern und -schwestern im "Heiligen Lande" finden.