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Ausgabe:

April/1997

Spalte:

391–394

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Menges, Evelyne Dominica

Titel/Untertitel:

Die kirchliche Stiftung in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Untersuchung zur rechtlichen Identität der kirchlichen Stiftung staatlichen Rechts mit der kanonischen Stiftung.

Verlag:

St.Ottilien: EOS Verlag 1995. LXXVIII, 358 S. gr.8° = Münchner theologische Studien. III. Kanonistische Abt., 48. geb. DM 80,­. ISBN 3-88096-348-7.

Rezensent:

Hans-Peter Hübner

Die Stiftung erfreut sich jedenfalls bei Privatpersonen und Unternehmen zunehmender Beliebtheit; mehr als früher verspüren sie den Wunsch, Teile ihres Vermögens einem ­ steuerlich begünstigten ­ gemeinnützigen Zweck zuzuführen. Aber auch Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, wie z. B. Sparkassen, haben die Stiftung als eine geeignete Rechtsform zur Verfolgung bestimmter öffentlicher Zwecke entdeckt. In den letzten Jahren ist es deshalb in der Bundesrepublik Deutschland in beachtlichem Maße zur Neuerrichtung von Stiftungen gekommen, die neben den traditionellen sozialen Zwecken wie des Gesundheitswesens, der Behindertenfürsorge oder Altenpflege der Wissenschafts- und Forschungsförderung, der Kunst-und Kulturpflege, Zwecken der Jugendhilfe und des Sports, dem Umwelt- und Naturschutz und aktuellen gesellschaftspolitischen Problemen wie z. B. der AIDS-Bekämpfung gewidmet sind. Der jährliche Zuwachs an neuen gemeinnützigen, selbständigen Stiftungen des bürgerlichen oder öffentlichen Rechts dürfte bundesweit mit etwa 50 bis 100 zu beziffern sein. Gegenüber diesem Wachstum sind für den kirchlichen Bereich, in dem das Stiftungswesen seinen Ursprung hat, seit Beginn des 19. Jh.s eher rückläufige oder stagnierende Tendenzen zu konstatieren. Seitdem die Kirchengemeinde nicht mehr allein als geistliche Gemeinschaft anerkannt, sondern mit eigener Rechtspersönlicheit ausgestattet ist, besteht grundsätzlich kein Bedürfnis mehr für die Aufrechterhaltung und die Errichtung von Kirchenstiftungen (Kirchenfabrik) als Träger von Vermögensrechten; da die Pfarrbesoldung heute ganz überwiegend aus Kirchensteuermitteln erfolgt, ist die Pfründestiftung zum Anachronismus geworden ­ eine Entwicklung, welcher etwa der neue Codex Iuris Canoni von 1983 durch die Aufhebung der Rechtsgrundlagen für die Errichtung von Pfründestiftungen und die hieraus resultierende Aufgabe des Grundsatzes "nullum officium sine beneficio" Rechnung trägt.

Der Bedeutungsschwund bei den Kultusstiftungen kann auch nicht durch kirchliches Stiftungswirken auf den Aufgabenfeldern Erziehung, Bildung und Mission (Apostolat) und Diakonie (Caritas) aufgefangen werden. Andererseits kann angesichts des geschätzten Bestandes von immerhin 40000 rechtsfähigen kirchlichen Stiftungen im Bereich der Katholischen Kirche und 15000 rechtsfähigen kirchlichen Stiftungen im Bereich der EKD ­ in Übereinstimmung mit der Vfn. des zu besprechenden Buches (17) ­ nicht davon ausgegangen werden, daß die kirchliche Stiftung "in unserer säkular gewordenen Welt weithin ein Schattendasein" führte.

Vor diesem Hintergrund versteht sich die vorliegende Arbeit, die aus einer am Kanonistischen Institut der Ludwig-Maximilians Universität München entstandenen Dissertation hervorgegangen ist, auch als eine an die kirchlichen Einrichtungen adressierte Ermutigung, von der Rechtsfigur der kirchlichen Stiftung Gebrauch zu machen (XIV, 332). Das Buch ist den Stiftungen der Katholischen Kirche gewidmet und bildet deshalb das begrüßenswerte Pendant zu der grundlegenden Arbeit von Wilhelm-Albrecht Achilles über "Die Aufsicht über die kirchlichen Stiftungen der evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland", Tübingen 1986 (= Jus Eccl. Bd.32, besprochen im 112. Jahrgang dieser Zeitschrift 1987, 850, von P. v. Tiling). Die Vfn. hat sich zur Aufgabe gemacht, im Wege eines Rechtsvergleichs das Verhältnis zwischen der kirchlichen Stiftung nach der staatlichen Rechtsordnung einerseits und nach dem kanonischen Recht andererseits zu ermitteln.

Zum Ausgangspunkt für ihre Untersuchungen nimmt sie die Goch-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Oktober 1977 (BVerfGE 46,73 = KirchE 16,191). In diesem Fall ging es um die Anerkennung eines katholischen Krankenhauses in Nordrhein-Westfalen, dessen Träger nach staatlichem Recht eine rechtsfähige Stiftung des Privatrechts ist, als kirchliche Stiftung (2 und 7 f.). Das Bundesverfassungsgericht gelangte dabei zu der Feststellung, daß im Zweifel davon auszugehen sei, daß nach staatlichem Recht nur diejenige Stiftung als kirchliche Stiftung qualifiziert werden kann, die auch nach der kirchlichen Rechtsordnung einen kirchlichen Status besitzt. Dem Nachweis, inwieweit diese These von der rechtlichen Identität gerechtfertigt ist, dienen die auf eine Übersicht zum Wirkungskreis von Stiftungen der Katholischen Kirche (15 ff.) folgenden Untersuchungen.

In einem ersten Schritt vergleicht die Vfn. die Stiftungsbegriffe beider Rechtsordnungen miteinander. Im Unterschied zum evangelischen Kirchenrecht, das insoweit durchweg auf die Begriffsbildung der staatlichen Rechtsordnung verweist, kann das kanonische Recht auf einen eigenständigen, in einer langen Rechtstradition und dem staatlichen Stiftungsrecht vorausgehenden Stiftungsbegriff vorweisen. Die Vfn. kommt zu dem Ergebnis, daß für eine Stiftung nach beiden Rechtsordnungen die Strukturelemente Zweck, Stiftungsmasse und nichtverbandsmäßige Organisation charakteristisch sind (51 ff.).

Im nächsten Hauptteil des Buches werden die staatlichen und kirchlichen Rechtsquellen des Stiftungswesens vorgestellt. Im staatlichen Verfassungsrecht und im Staatskirchenvertragsrecht ist die kirchliche Stiftung im Sinne des staatlichen Rechts auf die beiden Grundpfeiler des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und der Kirchengutsgarantie gegründet.

Die in das Grundgesetz als vollgültiges Verfassungsrecht inkorporierten einschlägigen Bestimmungen der Art.137 III und 138 II der Weimarer Reichsverfassung finden sich wortgleich oder sinngemäß in den Länderverfassungen wieder oder werden dort in Bezug genommen. Bestätigt werden diese Garantien im auch in den neuen Bundesländern fortgeltenden Reichskonkordat sowie in den Länderkonkordaten und Kirchenverträgen. Die Vfn. schließt sich in diesem Zusammenhang der richtigen Auffassung an, daß das Preußische Konkordat von 1929 ungeachtet des Untergangs des staatlichen Vertragspartners in den preußischen Teilen der neuen Bundesländer weitergilt (67 f.). In gebotener Ausführlichkeit wird die eigentliche Bedeutung der Goch-Entscheidung referiert. Danach genießen nicht nur die organisatorisch verbundenen Teile, zu denen auch kirchliche Stiftungen des öffentlichen Rechts gehören, den Schutz des den Kirchen garantierten Selbstbestimmungsrechts, sondern alle der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform, also auch ihre privatrechtlich ausgestalteten Stiftungen. Zu Recht sieht die Vfn. in den landesrechtlichen Regelungen, die für kirchliche Stiftungen des Privatrechts eine staatliche Stiftungsaufsicht vorsehen, staatliche Genehmigungsvorbehalte für die Veräußerung oder Veränderung von Kulturgütern normieren und staatlichen Behörden die Entscheidungskompetenz hinsichtlich der Bewertung einer Stiftung als kirchlich einräumen, nicht durch die Schranke "des für alle geltenden Gesetzes" abgedeckt. Dies begründet sie im Sinne der "Jedermann-Formel" mit dem Argument, daß von der staatlichen Aufsicht eine kirchliche Stiftung des Privatrechts härter betroffen ist als eine weltliche Stiftung des Privatrechts, weil jene außerdem noch der kirchlicherseits gebotenen kirchlichen Stiftungsaufsicht unterstellt ist. Überzeugender ist wohl der Hinweis auf die Entbehrlichkeit der staatlichen Stiftungsaufsicht, solange eine funktionsfähige kirchliche Aufsicht besteht, die in äquivalenter Weise die Kontrolle der (gemeinnützigen) Erfüllung des Stiftungszwecks wahrnimmt (90 ff.).

Zumal ein Bundesstiftungsgesetz nicht existiert, beansprucht die Darstellung des regional geltenden staatlichen und kirchlichen Stiftungsrechts, die auf die Ausführungen zu den einschlägigen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches und der Codices der Lateinischen und der Katholisch-Orientalischen Kirchen folgt, weiten Raum (111-202). Im Rahmen dieser Rezension kann nur erwähnt werden, daß in allen Bundesländern staatliche Stiftungsgesetze vorhanden sind, wobei in den neuen Bundesländern mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern das wenige Wochen vor der staatlichen Vereinigung verabschiedete Stiftungsgesetz der ehemaligen DDR vom 13. 9. 1990 weitergilt, und in allen diesen Gesetzen, abgesehen von Berlin und Hamburg, das Institut der kirchlichen Stiftung Aufnahme gefunden hat.

Im Anschluß an die Behandlung des Stiftungssatzungsrechts, das in beiden Rechtsordnungen im wesentlichen die gleichen Inhaltserfordernisse normiert (222 ff.), macht die Vfn. deutlich, daß staatliches und kanonisches Stiftungsrecht nicht beziehungslos nebeneinander stehen, sondern vielmehr insofern miteinander verzahnt sind, als das staatliche Recht auf kirchliche Regelungen verweist und umgekehrt auch das kanonische Recht im Wege der Rezeption oder Kanonisation an das "ius civile" anknüpft (225 ff.).

Im letzten Hauptteil arbeitet die Vfn. die Definitionsmerkmale einer kirchlichen Stiftung nach den einzelnen Länderstiftungsgesetzen heraus. Mit Ausnahme des rheinland-pfälzischen Gesetzes ist ihnen das Erfordernis der (mindestens überwiegenden) kirchlichen Zwecksetzung gemeinsam. Aufgrund der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes vom 28. 12. 1984 ist auch das in Art. 36 BayStiftG enthaltene Begriffsmerkmal der "religiösen Zwecke" angesichts des kirchlichen Auftrags umfassend, d. h. unter Einbeziehung von Unterrichts-, Bildungs-und Wohltätigkeitszwecken, zu interpretieren (259 ff.). Unterschiedlich ausgestaltet ist die erforderliche organisatorische Zuordnung der Stiftung zur Kirche (271 ff.).

Schließlich wird aufgezeigt, wie um des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts willen in den Länderstiftungsgesetzen sichergestellt wird, daß den Kirchen keine kirchlichen Stiftungen aufgedrängt werden (311 ff.). Während in Bayern und Baden-Württemberg die Anerkennung als kirchliche Stiftung nur auf Antrag der betreffenden Kirche erfolgen kann (Antragsmodell), hat die überwiegende Mehrzahl der Länderstiftungsgesetze das Antragsrecht uneingeschränkt jedermann belassen, wobei die staatliche Genehmigung der kirchlichen Stiftung jedoch der kirchlichen Anerkennung oder Zustimmung bedarf (Anerkennungsmodell).

Insgesamt gesehen, bestätigen die sorgfältig dokumentierten Ausführungen, die sich zuweilen hätten straffen lassen, schlüssig die grundsätzliche rechtliche Identität der kirchlichen Stiftung staatlichen Rechts mit der kanonischen Stiftung. Allerdings vermißt man einen wenigstens knappen Abriß der Geschichte des kirchlichen und staatlichen Stiftungswesens. Die Nutzbarkeit des Buches für die Bedürfnisse der Praxis wird verdienstvoll gefördert durch das Quellenverzeichnis und das ausführliche Quellenregister.