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Ausgabe:

April/1997

Spalte:

385–387

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Barth, Thomas

Titel/Untertitel:

Elemente und Typen landeskirchlicher Leitung.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1995. 333 S. gr.8° = Jus Ecclesiasticum, 53. Lw. DM 98,­. ISBN 3-16-146445-1.

Rezensent:

Werner Hofmann

In verschiedenen Landeskirchen haben neue Überlegungen begonnen, wie ihre Leitungsstruktur den Herausforderungen der Gegenwart angepaßt werden kann. Zur rechten Zeit erscheint in der verdienstvollen Reihe "Jus Ecclesiasticum" eine Arbeit über Elemente und Typen landeskirchlicher Leitung. Seit dem hervorragenden Werk von Herbert Frost, Strukturprobleme evangelischer Verfassung, das 1972 erschien, wurde kein Versuch mehr unternommen, das Geflecht landeskirchlicher Leitungsstrukturen zu durchleuchten. Es ist schade, daß der Vf. nur die westlichen Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland berücksichtigen konnte, zumal eine Übersicht über das Verfassungsrecht der östlichen Gliedkirchen noch nie erstellt wurde. Die Regelungen im Bereich der westlichen Gliedkirchen sind aber bereits so komplex, daß der Vf. aus verständlichen Gründen von einer Gesamtdarstellung abgesehen hat. Leider hat der Vf. auch davon abgesehen, den Einfluß der kirchlichen Gerichtsbarkeit auf die Leitung der Kirchen wenigstens ansatzweise darzustellen. Auch hier liegt bereits viel Material für eine eigene wissenschaftliche Arbeit vor.

Da das evangelische Kirchenrecht für den Bereich des kirchlichen Verfassungsrechtes keine allgemein gültigen Grundaussagen kennt, kann das Verfassungsrecht nur konkret dargestellt werden. Erst aufgrund der konkreten Verfassungslage und der Verfassungspraxis kann herausgearbeitet werden, welche Übereinstimmungen vorhanden sind. Der Vf. hat sich dieser Aufgabe mit großer Akribie unterzogen und die Verfassungen der westdeutschen Kirchen bis auf den Grund durchleuchtet. Es ist ein Werk entstanden, dessen Genauigkeit überzeugt. Der Aufbau des Werkes richtet sich nach der herkömmlichen Gliederung kirchlicher Leitungsorgane in Synode, leitende Geistliche und ständige Leitung und Verwaltung. Jeder dieser großen Teile beginnt mit einer sorgfältigen zusammenfassenden Darstellung der geschichtlichen Entwicklung.

Die Synoden sind heute ein selbstverständliches Element kirchlicher Verfassungsstrukturen. Dies ergibt sich nicht ohne weiteres aus der Geschichte. B.weist überzeugend nach, daß die Synoden geschichtlich eine junge Erscheinung sind und sich nur bis zur Mitte des 19. Jh.s zurückverfolgen lassen. Bezweifeln möchte ich die These, daß unter dem Eindruck der staatsrechtlichen Umwälzungen nach 1918 als Nachfolge des entfallenden Summepiskopus ernstlich nur die Synode in Betracht kam.

Meines Erachtens war bereits vor 1918 die Verselbständigung der Kirche so weit gediehen, daß sich bereits alle Organe moderner Kirchenverfassung herausgebildet hatten und von daher ein viel weniger revolutionärer Übergang erfolgte, als gemeinhin angenommen wurde. Die Synoden haben sich in der kurzen Zeit ihrer Geschichte so stark etabliert, daß der Versuch von Ernst Kinder, sie auf den Status einer Vertretung der hörenden Gemeinde zurückzuschrauben, keinen Erfolg mehr haben konnte, obwohl Kinder wichtige Elemente lutherischer Theologie vortrug. Die weitere Darstellung von B. zeigt, daß hinsichtlich der Grundstruktur der Synoden konfessionelle Unterschiede keine Rolle spielen. Die Synoden möchten überall ein getreues Spiegelbild der in der Landeskirche vorhandenen Strömungen und Richtungen sein.

Die Synodalen sollen nicht Vertreter selbstmächtiger Gruppen, sondern zu gemeinsamem Dienst Gewählte sein. Das in den meisten Synoden bestehende Übergewicht der Laien gegenüber den Theologen entspricht guter Tradition und zweckmäßiger Praxis. Hier kommt die Zuordnung von Amt und Gemeinde zum Tragen. Schwierig und unterschiedlich gelöst ist die Frage, in welchem Umfang weitere hauptamtliche kirchliche Mitarbeiter in den Synoden etabliert werden sollten. Im Sinne eines "gegliederten Amtes" könnten sie in den Reihen der Theologen ihren Platz finden. Ihre Einordnung in die Gruppe der Laien beschwört die Gefahr einer Funktionärssynode. Aus diesem Grunde sollte auch die Vertretung der kirchlichen Werke und Dienste durch hauptamtliche Kräfte beschränkt werden. Die Wahlen zur Synode bilden weiterhin vielfältigen Diskussionsstoff. Auch mittelbare Wahlen sind demokratisch legitim. Die Vorstellung der Beteiligung des Kirchenvolkes in der Form der Urwahlen ist sehr sympathisch. Daß Urwahlen nur noch in Württemberg praktiziert werden, hat sicher nicht nur praktische Gründe. Die fast zwanghafte Notwendigkeit, in Verbindung mit Urwahlen Kirchenparteien zu etablieren, schreckt ab, weil Kirchenparteien dem Bemühen, immer wieder zur Einheit zu kommen, zuwiderlaufen.

Die Stellung der Synoden im Leitungsgefüge der Kirchen ist unterschiedlich ausgeprägt. B. weist nach, daß die jeweiligen Aussagen über das Wesen der Synode und auch die Zuschreibung von vielen Kompetenzen nicht dazu führen, den Synoden den Charakter von "Superleitungsorganen" zuzuerkennen. Je umfassender man eine synodale Leitung zu realisieren suchte, desto schneller stößt man an tatsächliche Grenzen, die sich aus der Größe und vor allem aus der fehlenden Permanenz ergeben. Hierin liegt auch der größte Unterschied zu den Parlamenten, weshalb der Ausdruck Kirchenparlament tunlichst vermieden werden sollte. Erfreulich klar arbeitet Barth auch weitere Unterschiede heraus, so das Bemühen, zwischen "Wahrheit und Mehrheit" nicht zu vorschnellen Lösungen zu kommen. Das Kapitel Synode wird abgerundet durch eine sehr sorgfältige Darstellung des Haushalts- und Gesetzgebungsrechtes der Synoden einschließlich der Beschränkung durch den Bekenntnisvorbehalt.

Auch die Beschreibung des Bischofsamtes beginnt mit einer guten geschichtlichen Darstellung. Das Bischofsamt ist nach lutherischer Auffassung grundsätzlich kein anderes Amt als das des Pfarrers. Es unterscheidet sich damit erheblich vom katholischen Bischofsamt. Diese Abgrenzung war wohl auch der Grund für die Vermeidung des Bischofstitels in den Kirchenverfassungen der Weimarer Zeit. Erst im Kirchenkampf und nach dem zweiten Weltkrieg setzte sich die Bezeichnung Bischof weithin als genuine kirchliche Bezeichnung durch und wurde sehr schnell selbstverständlich. Verständlich ist allerdings auch, daß die ausgesprochen synodal verfaßten Kirchen an der Bezeichnung "Präses" für den Inhaber des leitenden geistlichen Amtes festhielten, während die Bezeichnung "Kirchenpräsident" doch wohl inzwischen anachronistisch geworden ist.

Die Ausgestaltung des Amtes des leitenden Geistlichen in den einzelnen Kirchenverfassungen ist sehr unterschiedlich. Dennoch lassen sich einheitliche Linien erkennen. In allen Landeskirchen werden die leitenden Geistlichen durch die Synoden gewählt und zwar mit qualifizierter Mehrheit. Dadurch soll eine breite Zustimmung zur Person und eine gute Vertrauensgrundlage geschaffen werden. Unterschiede gibt es allerdings hinsichtlich der Amtszeit, wobei diese Unterschiede eher mehr theoretischer Natur sind. Als eigenes Organ obliegt den Bischöfen und Präsides die geistliche Leitung der Kirchen, also insbesondere die Leitung durch die Wortverkündigung. Darüber hinaus ist von Bedeutung die gesamtkirchliche Seelsorge und die Visitation, sowie ­ allerdings eingeschränkt ­ das Recht, Kundgebungen herauszugeben. Schließlich gehört zur geistlichen Leitung auch das grundsätzliche Recht zur Ordination. Die Organstellung der leitenden Geistlichen ermöglicht ihnen auch die Vertretung der Kirche nach außen. Mit Recht wird gesagt, daß die leitenden Geistlichen die wirksamsten Öffentlichkeitsarbeiter ihrer Kirchen sind. Die darüber hinausgehende Teilhabe der leitenden Geistlichen am Machtgefüge einer Kirche leitet sich nicht von der geistlichen Leitung, wohl aber vom Vorsitz in anderen kirchenleitenden Organen ab.

Das Kapitel "Ständige Leitung und Verwaltung" leidet darunter, daß die Vielgestaltigkeit landeskirchlicher Regelungen jede systematische Ordnung fast unmöglich macht. Nur den Vf. trifft daran keine Schuld. Er ist redlich bemüht, den Leser zutreffend zu informieren. Ob die Typisierung in "kombinatorische Kirchenleitung","senatorische Kirchenleitung", "episkopal behördliche Kirchenleitung" und "synodal gemischte Kirchenleitung" ganz zutreffend ist, wobei Nordelbien nochmals als eigener Typus auftaucht, lasse ich dahingestellt. Jede Kirche benötigt eine Kirchenleitung als ständiges Leitungsorgan, das die Entscheidungen trifft, die nicht von der Synode oder vom leitenden Geistlichen getroffen werden. Die Zusammensetzung im einzelnen kann durchaus differieren. Wer versucht ist, die unterschiedlichen Entscheidungen der verschiedensten Kirchenleitungen in den letzten Jahrzehnten zu beurteilen, wird zu dem Ergebnis kommen, daß die Fehlerquote bei den Entscheidungen jeweils gleichmäßig verteilt ist, unabhängig von der jeweiligen Zusammensetzung der Kirchenleitung. Es gibt kein Ordnungsprinzip, das fehlerfreies kirchenleitendes Handeln garantiert. Rechtspolitisch kann nur gefordert werden, Kirchenleitungen vernünftig zusammenzusetzen, damit sie in der Lage sind, Entscheidungen nach sorgfältiger Vorbereitung in vertretbarer Zeit zu fällen.

B. unternimmt nicht den Versuch, auf der Grundlage seiner Ermittlungen und Feststellungen Folgerungen abzuleiten, wie landeskirchliche Leitungen auszusehen haben. Die geschichtliche Entwicklung und die doch sehr unterschiedliche Situation in den verschiedenen Kirchen verbietet es, ein Generalrezept zu verabreichen, sofern es ein solches geben sollte. Alle in der Kirche Tätigen, die mit Verfassungsfragen zu tun haben, werden das Werk von Barth als unentbehrliche Grundlage benötigen.