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Ausgabe:

Februar/1999

Spalte:

173 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hübner, Hans

Titel/Untertitel:

An Philemon. An die Kolosser. An die Epheser.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1997. XII, 277 S. 8 = Handbuch zum Neuen Testament, 12. Pb. DM 59,-. ISBN 3-16-146775-2.

Rezensent:

Petr Pokorny

Der neue Band des HbNT kann für die ganze Reihe zum Modell ihrer Innovation werden. Die Auslegung ist knapp und liest sich gut, besonders was den Kommentar zum Philemonbrief und Kolosserbrief betrifft. Der Epheserbrief ist so hymnisch auf der einen Seite und so spekulativ auf der anderen, daß seine Auslegung immer als ein relativ komplizierter Meta-Text mit zahlreichen Exkursen gestaltet werden muß, falls die Probleme nicht vereinfacht werden sollen.

Im Unterschied zu den älteren Kommentaren dieser Reihe wird nicht nur über die bedeutendste Sekundärliteratur zu den einzelnen Büchern, sondern auch über ihre Teile bzw. ihre Exkurse berichtet (z. B. Licht und Finsternis, 228-232). H. bietet zudem umfangreiche Informationen über den positiven Ertrag anderer moderner Kommentare, die er oft zitiert bzw. auf sie hinweist, wobei er nur selten gegen die für ihn unannehmbaren Thesen seiner Vorgänger polemisiert. Oft aber bietet er eine Übersicht der verschiedenen Auffassungen zu Texteinheiten (z. B. Kol 2,12), und zwar dort, wo er die Alternativen für erwägenswert hält. Das ist nicht nur nützlich, sondern notwendig. Sollte das Handbuch ursprünglich einem relativ breiten Kreis der klassisch gebildeten Leser dienen, ist es jetzt doch zum Kommentar für Pfarrer und Altphilologen geworden, wobei die Informationen für die gebildeten Laien andere Reihen, wie z. B. das NTD bieten, wo ein Kommentar zum Kolosser- und Epheserbrief von U. Luz (einschl. Galaterbrief von J. Becker) erschienen ist (NTD 8/1). Auf der anderen Seite handelt es sich hier im Unterschied zum Römerbrief-Kommentar von Ernst Käsemann, der seinem Umfang nach eine Ausnahme bildet, um einen erheblich sparsameren Text.

Die philologische Orientierung der Reihe wurde beibehalten, wenn auch die grammatische Analyse nur einen geringeren Teil des Kommentars bildet, als es in der Bearbeitung von M. Dibelius (H. Greeven) der Fall war. Die rhetorische Analyse scheint mir jedoch zu kurz zu kommen. Allerdings, wenn wir das einleitende Kapitel aufmerksam lesen, finden wir dort das Entscheidende zu diesen Fragen in knappen Stellungnahmen. Auch die religionsgeschichtliche Orientierung des Handbuchs ist unverändert: Es werden zahlreiche Parallelen aus der antiken Literatur zitiert, wenn man auch von der kontinuierlichen Wiedergabe der öfter zitierten zeitgenössischen Texte (wie es in dieser Reihe früher üblich war) abgesehen hat. - Eine begrüßenswerte Neuerung sind die zahlreichen hermeneutischen Erwägungen (143.238. 267-270, zur Interpretaion der Gestalt des Teufels 277), die im Exkurs "Hermeneutica sacra: Verstehen - Glauben" (148-149) eine zusammenfassende Begründung finden.

In den drei Briefen sieht H. Texte, die von drei Autoren stammen, nämlich von Paulus, von dem Verfasser des Kolosserbrief (AuctCol), einem Deuteropaulus, und einem (AuctEph) Tritopaulus. Diesem Befund entspricht auch die Datierung: Philemon in der Lebenszeit des Paulus, der Epheserbrief gegen Ende des ersten Jahrhunderts und der Kolosserbrief dazwischen - nach dem Tode des Paulus und vor dem Fall Jerusalems. Der Grund ist deutlich: Der AuctEph hat den Kolosserbrief gekannt und sich von ihm inspirieren lassen. In diesem Sinne ist er wirklich ein Tritopaulus. Theologisch hat er m. E. derselben Paulusschule angehört wie der AuctCol und kann sogar sein Altersgenosse gewesen sein, der die theologische Inspiration im (offensichtlich erfolgreichen) Kolosserbrief gefunden und in einer neuen Situation ekklesiologisch entfaltet hat. Tritopaulus muß also in chronologischer Sicht keine dritte Generation gewesen sein (zu dem Problem s. M. Gese, "Das Vermächtnis des Apostels. Die Rezeption der paulinischen Theologie im Epheserbrief", WUNT 2/99). Das würde H. jedoch kaum bestreiten. Instruktiv sind auch die abschließenden Ausführungen zu der Art, auf welche die beiden Briefe das paulinische Erbe neu interpretiert haben (272-277).

Mit dem pseudepigraphen Charakter des Kolosser- und Epheserbriefes setzt sich H. durch den Nachweis der theologischen Kontinuität zwischen Römerbrief, Kolosserbrief und Epheserbrief auseinander, die viel mehr wiegt als die Kontinuität der Einzelangaben und Personalnotizen zwischen dem Philemon- und dem Kolosserbrief (11). Der Nachweis des Paulinismus des Kolosser- und des Epheserbriefes gehört zu den Höhepunkten des Kommentars (124). Der Leser möchte vielleicht mehr über die damalige Beurteilung der Pseudepigraphie wissen, was völlig berechtigt ist. H. bleibt jedoch bei der übergeordneten Frage der theologischen Reflexion als eines applizierten Zeugnisses. - In der Auslegung des Philemonbriefs legt H. den Lesern die Hypothese von P. Lampe vor (ZNW 1985), wonach Onesimus kein flüchtiger Sklave war. Er habe Paulus als Vermittler ausgesucht, der zwischen ihm und seinem Herrn vermitteln sollte (33-35).

Was den Kolosserbrief betrifft, ist der religionsgeschichtlichen Beurteilung der kolossischen "Häresie" ein ausgewogener (was die Möglichkeit der Rekonstruktion der Lehre der Gegner betrifft, leicht skeptischer) Exkurs gewidmet (94-97), in dem H. die Polemik des AuctCol mit der "Philosophie" aus Kol 2 als Kampf um die Geschichtlichkeit Jesu (nicht nur um das Kreuz Christi) versteht. Ähnlich instruktiv ist auch der Exkurs von der heiligen (kultischen) Ehe zu Eph 5,22-23 (250-252), in dem H. die Ehemetaphorik als Bild des Verhältnisses zwischen Jesus und der Kirche vor allem von dem alttestamentlichen Bild der Ehe zwischen Jahwe und Israel ableitet (als indirekte Stütze dient der Verweis auf Apk 19,7 f.), wobei die hellenistischen Parallelen, die z. B. Sap 6,9-12 beeinflußt haben, als bedeutende Vorstellungselemente zur besseren Verständlichkeit des theologischen Anliegens dienten: der Hervorhebung der kosmisch-soteriologischen Rolle der christlichen Gemeinde als Kirche.

Das Hauptanliegen des Kommentars ist also in einer engen Verbindung der religionsgeschichtlichen Untersuchungen mit der theologischen Deutung zu sehen, wobei H. die vielen Ausdrücke des Verstehens im Sinne des existentiellen, gläubigen und ereignishaften Verstehens interpretiert. Ich würde vielleicht noch stärker den inneren Kampf um die Deutung einer kosmischen Christologie und Soteriologie hervorheben, die in Kol 1, 15-20 und in Eph 1,20-23; 2,14-17a zu Wort kommt und durch kommentierende Zusätze neu interpretiert wird, aber das sind keine bedeutenden Unterschiede. Ein m. E. sehr wichtiges Anliegen von H. kann nur einigen Konnotationen entnommen werden: Er deutet an, daß der AuctEph bisher nicht voll ausgenutzte Voraussetzungen zu einer umfassenden Neuinterpretierung des Evangeliums geschaffen hat, indem er zu diesem Zweck ein nachalttestamentliches Weltbild benutzt hat.

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß es sich um einen außerordentlich gelungenen Band handelt.