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Ausgabe:

April/1997

Spalte:

377 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Jüngst, Britta

Titel/Untertitel:

Auf der Seite des Todes das Leben. Auf dem Weg zu einer christlich-feministischen Theologie nach der Shoa.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1996. 246 S. 8°. ISBN 3-579-02024-2.

Rezensent:

Walter Rebell

Die zu besprechende Arbeit wurde im Sommer 1995 von der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen und hat als Zielsetzung, feministische Theologie und jüdisch-christliches Gespräch aufeinander zu beziehen; gesucht wird nach einer Theologie, die den Antijudaismus nicht nur vermeidet, sondern von ihrer grundlegenden Struktur her gar nicht benötigt und dazu auf das Gespräch zwischen Jüdinnen und Christinnen zurückgreift.

Man muß der Vfn. recht geben, wenn sie davon ausgeht, daß sich beide Bereiche ­ feministische Theologie und jüdisch-christliches Gespräch ­ weitgehend getrennt voneinander entwickelt haben und dringend der Zusammenführung bedürfen. Zwar sind Frauen, worauf Leonore Siegele-Wenschkewitz in ihrem Vorwort hinweist, beim Aufbau des jüdisch-christlichen Dialogs in der Bundesrepublik Deutschland von Anfang an aktiv gewesen, aber bei den institutionalisierten Gesprächen, wie sie heute stattfinden, ist weibliche Kompetenz nicht gefragt, feministische Theologinnen spielen hier keine Rolle. Umgekehrt zeigt die Vfn., daß die feministische Theologie selber ­ da, wo sie nicht im Kontakt mit dem Judentum ist ­ antijudaistische Tendenzen aufweisen kann. Referiert wird die entsprechende Debatte unter den Feministinnen, und es wird belegt, wie Gespräche zwischen christlichen und jüdischen Frauen hier durchaus Änderungen eingeleitet haben.

Ein Buch wie dieses, das eine Zusammenschau zweier immer noch marginaler theologischer Denkansätze bietet, war sicherlich notwendig. Allerdings ließe sich mit der Vfn. über die Durchführung ihres Programms streiten. Sie selber hat folgenden Weg gewählt: Zentral setzt sie die Erfahrungen von Frauen an, ihr Leiden an Unterdrückung und Ohnmacht. Um konkret zu werden und undifferenzierte Verallgemeinerungen zu vermeiden, begibt sie sich in drei Debatten hinein: 1. Rassismus in feministischer Theorie und Praxis in den USA; 2. die Rolle von Frauen im Nationalsozialismus; 3. die Antijudaismusdebatte in der feministischen Theologie. Das Material, mit dem die Vfn. arbeitet, ist, wie sie selber sagt, "ausgesprochen disparat und bunt": Sie greift bei der Beschreibung von Frauenerfahrungen auf Interviews und soziologische Studien zurück, verdeutlicht die Wahrnehmung jüdischer Frauen in einem kunstgeschichtlichen Überblick, läßt durch das Zitieren literarischer Werke Frauen aus unterschiedlichen Kontexten selber zu Wort kommen und zieht auch biblische Erzählungen heran.

Wie bereits angedeutet, über dieses Vorgehen ließe sich streiten. Man könnte sich auch vorstellen, eine solche Arbeit stärker biblisch-exegetisch anzulegen, um dann zu systematisch-theologischen Schlußfolgerungen zu kommen ­ natürlich unter Einbeziehung der Erfahrungsdimension, darin bin ich mit der Vfn. einig. Aber so, wie sie arbeitet, ist keine methodische Stringenz erkennbar. Diese hätte man durchaus auch noch anders erreichen können: durch ein theoriegeleitetes soziologisches oder psychologisches Vorgehen. Doch so, wie die Arbeit sich darbietet, geht sie stark von bunt zusammengewürfelten Eindrücken aus, die zwar Appellcharakter haben, aber möglicherweise nicht entscheidend in die Diskussion um die Erneuerung der theologischen Paradigmata eingreifen können.

Nicht unter die angeführte Kritik fällt der Schluß des Buches (188 ff.); hier stellt die Vfn. ihren feministischen Zugang zum Buch Ruth vor, wobei sie zunächst darlegt, welches ihre hermeneutischen Regeln sind (die sich weitgehend an die von E. Schüssler-Fiorenza anlehnen). Manches an diesem Programm wird kritisch zu diskutieren sein, anderes sollte, auch von der etablierten Bibelwissenschaft, ohne weiteres akzeptiert werden, z. B. eine Forderung wie diese: "Kreative Ritualisierung und Aktualisierung: Frauen erzählen biblische Geschichten aus feministischer Perspektive neu, schaffen eigene Rituale, um die entdeckten Vorschwestern und ihre Visionen zu vergegenwärtigen und zu feiern." (191).