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Ausgabe:

April/1997

Spalte:

359–361

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Bürgel, Rainer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Raum und Ritual. Kirchbau und Gottesdienst in theologischer und ästhetischer Sicht.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995. 160 S. m. 26 Abb. 8°. Kart. DM 28,­. ISBN 3-525-60390-8.

Rezensent:

Hartmut Mai

Wie dem Vorwort des Hg.s Rainer Bürgel zu entnehmen ist, handelt es sich bei diesem Band hauptsächlich um den Abdruck der Referate, die 1993 auf dem 21. Evangelischen Kirchbautag in Köln unter dem Gesamtthema "Raum und Ritual" gehalten wurden. Kennzeichnend für das Anliegen der Veranstalter und die darauf eingehenden Bemühungen der Referenten waren grundsätzliche Reflexionen über den gegenwärtigen, zumindest in Deutschland von fortschreitender Säkularisation geprägten kulturellen Kontext, in dem bis heute christliche Gottesdienste mit ihrem unverwechselbaren theologischen Anspruch gefeiert werden. Die Referate zeigten insgesamt, in welch hohem Maß und mit welchem Aufwand gesellschaftliches und individuelles Leben ritualisiert sind, und wie nötig es ist, daß die Kirche sich in der Gestaltung ihrer Gottesdienste in ihren Räumen dazu in ein reflektiertes Verhältnis setzt, indem sie ihre eigenen Rituale überprüft. Dazu gehört auch die Klärung des Verhältnisses von liturgischem Handeln und Raum. Dieses darf sich nicht mit der Funktionalität begnügen, sondern schließt eine mit dem religiösen Empfinden korrespondierende Architekturästhetik ein.

Die Photos vom Tagungsgeschehen in der Kölner Trinitatiskirche deuten wenigstens an, daß es den Veranstaltern auch um die Erprobung von Lösungen ging. Mehr als die fachlichen Ausführungen werden den Teilnehmern der Abschlußgottesdienst in der Trinitatiskirche (157) und die Aufführung des im Vorwort erwähnten Oratoriums "Auf dem Rand der Mauer", von Heinz Martin Lonquich und Klaus Lüchtenfels eigens für die romanische Basilika St. Maria im Kapitol geschaffen und dort aufgeführt, im Gedächtnis geblieben sein.

Um so mehr ist es zu begrüßen, daß die in den Referaten gegebenen Denkanstöße dank der Drucklegung in Erinnerung gerufen und weitervermittelt werden.

Die Vielfalt der Gesichtspunkte, die unter dem Gesamtthema zur Sprache kommt, läßt sich schon an den aufgegriffenen Themen erkennen. Der Würzburger Kultursoziologe Wolfgang Lipp behandelt das Thema "Der öffentliche Stadtraum und das religiöse Fest" (11-23). Er verfolgt die Entwicklung der städtischen Festkultur in ihrer Relation von sakraler und profaner Komponente von der Antike bis in die Gegenwart. Sodann sucht er nach Wegen, wie von den modernen Festen aus, die den "Lebensvollzug des sich selbst genießenden profanen Alltagsmenschen" zum Inhalt haben, mit Hilfe einer auch von den Kulturpolitikern ernst genommenen Kirche wieder der Zugang "zur göttlichen, in Gott aufgehobenen Seite" gefunden werden kann.

Wolfgang Marx, Philosoph in Bonn, geht auf die Öffentlichkeit des sakralen Raums ein und benennt "Elemente einer Ästhetik religiöser Raumgestaltung" (25-38). Grundlage bildet die Feststellung, daß äußere Zeichen unersetzbare Orientierungspunkte darstellen. Die Baukunst dient hierbei als "Stütze und Zentrum sakralen Geschehens". Als Aktionsräume für Rituale müssen Sakralräume den Handlungsablauf sowohl ermöglichen als auch in ihrer Gliederung darstellen und als "Stimmungsraum" ästhetische Bedingungen für den einzelnen und für die Gemeinschaft zur "konzentrierten Versenkung in die unverfügbare, übergeordnete Instanz" schaffen.

Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Peter Beier, schreibt "Über die Schwierigkeiten der Protestanten, mit Räumen umzugehen" (39-45). Ihm geht es um einen Ausweg aus der durch die reformatorische Kritik am überlieferten Sakralbau erwachsenen Defizite, indem er ein ausgewogenes Verhältnis von Sinngebung und Zweckerfüllung postuliert. Abschließend schreibt er: "Höchste Zweckmäßigkeit ist ein Qualitätsmerkmal, sofern der Zweck erkennbar ist und sich im Bau und im Raum selbst verwirklicht."

Die Relation zwischen gottesdienstlichem Raum und liturgischem Handeln werden sowohl aus evangelischer Sicht (Walter J. Hollenweger, 47-55) als auch aus katholischer Sicht (Klemens Richter, 57-76) behandelt. Während der evangelische Autor sehr persönlich nach neuen Formen lebensnaher Gestaltung sakramentaler Handlungen sucht, steht sein katholischer Partner voll hinter der mit der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils einschließlich ihrer Konsequenzen für den Kirchenbau eingeschlagenen Richtung.

Mit eindrucksvollen Beispielen der Inkulturation christlichen Gottesdienstes in die religiös-kulturelle Tradition südafrikanischer Kirchen macht Theo Sundermeier in seinem Beitrag "Christliche Riten in nichtchristlichem Kontext" (77-92) bekannt. Neben spontanen Aufbrüchen innerhalb von Europa übernommener liturgischer Ordnungen stehen die neuen Riten unabhängiger Kirchen, in denen sich christliche Inhalte teilweise an überlieferte heilige Orte und Vorstellungen binden. So kann "afrikanisches Symbolhandeln und christliche Glaubensüberzeugung zu einem gelungenen Ganzen verschmelzen".

Zwei weitere Beiträge befassen sich bei unterschiedlichem Ansatz mit den Beziehungen zwischen Raum, Kunst und Religion. Hans Busso von Busse wählt die von ihm entworfene und 1992 eingeweihte Paul-Gerhardt-Kirche in Stein-Deutenbach bei Nürnberg als Hauptbeispiel für seinen Beitrag "Raum und Ritus ­ Das Kunstwerk Liturgie erwartet Baukunst, Gedanken zur Schönheit und Spiritualität des Kirchenraumes" (94-214). Der Architekt bekennt sich zur Baukunst als einen Weg, dem modernen Menschen das Mysterium des Glaubens zu veranschaulichen. Die Rahmenbedingungen sind weit genug gefaßt, wenn er schreibt: "Die Frohe Botschaft und das auf sie bezogene liturgische Handeln sind der weite Rahmen, in welchem das Raum-Denken des Architekten nach Ordnung und Struktur, nach Form und Ausdruck sucht." Die Ableitung der Raumordnung aus einer Mitte legt sich dem Architekten für den protestantischen Kirchenbau nahe, wie auch die oben genannte Kirche eine Zentralanlage mit dem Altar in der Mitte ist.

Bei Wulf Herzogenrath, Kunsthistoriker und Mitglied des Arbeitsausschusses des Evangelischen Kirchbautages, ("Die Räume der Religion und der Kunst", 115-135) findet man Ähnlichkeiten zwischen intimen zeitgenössischen Museumsräumen und Kirchenräumen, die sich aus der Suche nach einer neuen, ästhetischen Sakralität herleiten. Die mit vollem Recht als beispielhaft hervorgehobene Kapelle des Exerzitienhauses von Kloster Gerleve bei Münster ist ein durch Grundriß und Ausstattung zur Meditation hinführender Zentralraum (Entwurf Paul Kleihues, Altar und Kreuz von Erwin Heerich unter Mitwirkung von Pater Rupert). Anhangweise wurde ein Beitrag von Hans-Georg Soeffner aus seinem 1992 erschienenen Buch "Die Ordnung der Rituale" übernommen (139-149). Man legt den Band aus der Hand in der Überzeugung, daß die vielen, im einzelnen weiter zu diskutierenden Aspekte zum Thema "Raum und Ritual" letztlich verdeutlichen sollen, wie die Christenheit heute und künftig mit ihren Gottesdiensten in ihren Räumen dazu beitragen kann, daß der an Räume und Riten gebundene Mensch zur Gottesbegegnung findet.

So bleibt am Schluß nur der Wunsch, daß auch über den 22. Evangelischen Kirchbautag, der im September 1996 erstmals seit 1954 wieder auf dem Boden zweier ostdeutscher Landeskirchen stattfinden wird, ein solcher Band ins Auge gefaßt wird. Er sollte dann wie die Bände früherer Tagungen wieder als Tagungsbericht erkennbar werden. So entstünde dann auch ein wertvolles Dokument zur kirchlichen Zeitgeschichte.