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Ausgabe:

April/1997

Spalte:

348 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Pottenstein, Ulrich von

Titel/Untertitel:

Dekalog-Auslegung. Das erste Gebot. Text und Quellen. Hrsg. von G. Baptist-Hlawatsch.

Verlag:

Tübingen: Niemeyer 1995. IX, 64*S., 662 S. gr.8° = Texte und Textgeschichte, 43. Lw. DM 394,­. ISBN 3-484-36043-7.

Rezensent:

Jens Haustein

"Das größte Summenwerk des deutschen Mittelalters stammt von dem Wiener Hofkaplan Ulrich von Pottenstein (Ý 1416 oder 1417)" (V). Die Einleitung zur Ausgabe stellt die bislang bekannten Daten zu Ulrichs Leben und beruflichem Werdegang zusammen: Geboren um 1360 ist Ulrich 1396 als Pfarrer von Pottenstein, 1404 von Mödling und ab 1412 als Dechant und Pfarrer von Enns (bei Linz) urkundlich belegt. In der Zeit in Enns entsteht die Übersetzung der Cyrillus-Fabeln, die erste deutsche Prosafabelsammlung, die sich seinem katechetischen Werk methodisch und vom Aufbau her insofern an die Seite stellen läßt, als auch dieses ausgehend von einer Tugend-Laster-Opposition moraltheologisch ausgerichtet ist (13*-15*).

Ulrichs ’Summe’ besteht aus vier Teilen, die sich auf 70 Kapitel verteilen: die Auslegung des ’Paternoster’ (Kap. 1-13), die des ’Ave Maria’ (Kap. 14-20), die des ’Credo’ (Kap. 21-42) und die des ’Magnificat’/,Dekalog’ (Kap. 43-70). Dieses nirgendwo vollständig überlieferte Werk (insgesamt rd. 1.200 Folioblätter) ist aus elf unterschiedlich umfänglichen Handschriften bekannt; nur zwei überliefern die Dekalog-Auslegung. Diese ist, da als eine Art Nachschlagewerk für "weite Gebiete des christlichen Glaubens und religiösen Lebens" (18*) gedacht, von Ulrich selbst mit einem Register versehen, über dessen Handhabung er ausführlich Auskunft gibt (3 f. u. 6-55). Das nach lateinischen Lemmata geordnete Register wird man als Indiz dafür verstehen dürfen, daß sich Ulrich mit seinem voluminösen Werk über den Kreis der frumen vnd verstanden layen, denen er mit seiner sinngemäßen Übersetzung (vmbred) hilfreich sein möchte, im Grunde an die ganze christliche Gemeinde, also auch an die Kleriker richtet.

Die am Leithandschriftenprinzip ausgerichtete, auf dem Kalocsaer Codex Nr. 629 beruhende Edition der Dekalog-Auslegung bietet in ihrem ersten von drei Textbänden die Auslegung des 1. Gebots samt den maßgeblichen lateinischen Quellen, die Ulrich benutzt hat, das ’Decretum Gratiani’, die ’Summa theologiae’ des Thomas von Aquin und v. a. die (bislang ebenfalls nicht edierte) ’Summa de vitiis et virtutibus’ des Gulielmus Peraldus (vgl. 27*-40*).

Die Auslegung des 1. Gebots umfaßt die Kap. 43-49; entsprechend der Tugend-Laster-Opposition folgen drei Kapiteln über Glaube, Hoffnung und Liebe, drei (bzw. vier) über Völlerei, Geiz (sowie unrechtmäßig erworbenen Reichtum) und Hochmut. Die drei Tugenden sind nach Auffassung Ulrichs in besonderer Weise geeignet, zur Einhaltung des 1. Gebots anzuhalten, überhaupt den Menschen zu Gott hinzuführen (wie umgekehrt beispielsweise die Absenz der Hoffnung bei Ketzern und Zweifelnden von Gott entfernt; vgl. Kap. 44, A). Die drei Laster hingegen führen in die Abgötterei: dem Hochmütigen ist eytle ere, dem Geizigen der phenning und dem Gefräßigen der pauch vnd des pauches lust wichtiger als Gott (Kap. 46, A).

Es ist ein großes Verdienst der Forschergruppe um Georg Steer (Eichstätt), mit dieser Edition (und den hoffentlich bald folgenden weiteren Bänden) ein Werk zugänglich gemacht zu haben, in dem in der Absicht, den nuez der sele, des hayles und der ewigen saelichait beim Leser befördern zu wollen, in einer nicht wieder überbotenen Fülle katechetisches Wissen in der Volkssprache zusammengestellt wurde und das so zu einem beeindruckenden Zeugnis der Laienunterweisung im 15. Jh. geworden ist.