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Ausgabe:

Mai/1997

Spalte:

511–513

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Ott, Martin

Titel/Untertitel:

Dialog der Bilder. Die Begegnung von Evangelium und Kultur in afrikanischer Kunst.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 1995. 505 S. m. 26 Abb. gr.8° = Freiburger theologische Studien, 157. Kart. DM 68,­. ISBN 3-451-23743-1.

Rezensent:

Henning Wrogemann

Diese Untersuchung führt anschaulich vor Augen, daß sich christliche Theologie, zumal im Kontext der sog. Dritten Welt, nicht nur durch das geschriebene Wort artikuliert, sondern sich viel eher in anderen Medien Ausdruck verschafft. Dazu gehören neben Liedern und Tänzen verschiedenste künstlerische Gestaltungen, unter ihnen nicht zuletzt Bilder. Eine Theologie des Bildes tritt hier an die Seite, wenn nicht sogar oft an die Stelle einer Theologie des geschriebenen Wortes. Ott unternimmt den Versuch, am Beispiel der Arbeiten des KuNgoni Art Craft Centre in Malawi eine solche Theologie, die sich in Bildern ausdrückt, aufzuschlüsseln.

Um dies zu leisten, bedarf es eines langen Anmarschweges. Im 1. Teil seiner Untersuchung ("Inkulturation: Ursprung und Auftrag") nähert sich Ott in drei konzentrischen Kreisen seinem Thema. Im 1. Kap. wird die Debatte um die Inkulturation des Evangeliums nachgezeichnet. Dieses Kap. gibt einen guten Überblick über verschiedene Positionen, wenn auch die Berücksichtigung protestantischer Autoren recht schmal ausfällt. Darauf folgt in Kap. 2 eine Übersicht zu Versuchen christlicher Kunst im afrikanischen Kontext. Hier werden Beispiele aus ganz Schwarzafrika, von Nigeria bis Tansania, von Kamerun bis Südafrika angeführt. Im 3. Kapitel schließlich gibt O. einen geschichtlichen Abriß zum KuNgoni Art Craft Centre, in dem erstmals dessen Künstler und deren Werke aufgeführt werden.

Nach diesem Einleitungsteil unternimmt O. im 2. Teil ("Religion und Geschichte: Das kulturelle Erbe Malawis als Herausforderung zur Inkulturation") einen tiefer ansetzenden Anlauf. Das Kap. 1 gibt einen Überblick zur Religionsethnologie Malawis. Hier werden verschiedene Rituale der Stammesreligionen Malawis skizziert und Strukturen dieser Religionen erklärt, ohne deren Kenntnis ein Verstehen der spezifisch malawischen Ikonographie, derer sich die christlichen Künstler des Landes bedienen, nicht möglich wäre. Insbesondere die Regenrituale, die Institution des Maskenbundes, die rites de passages und die Heilungsrituale werden dargestellt. Das 2. Kap. enthält eine kurzgefaßte Geschichte des Christentums in Malawi.

Erst im 3. Teil seiner Arbeit ("Inkulturation im Bild: Afrikanische Theologie als Ikonographie") wendet sich O. der Darstellung und Interpretation des Bildmaterials und der Skulpturen zu. Rechnet man das 1. Kap., das die Anfänge der Annäherung christlicher Künstler zu Motiven und Trägern der traditionalen Kultur und Religion nachzeichnet, den "Vorarbeiten" zu, so kommen diese auf ca. 240 Seiten, während die Untersuchung des Bildmaterials die verbleibenden 200 Seiten des Textes füllt. Die Darstellung und Interpretation der Bilder in den Kapitel 2-5 folgt, so scheint es, dem Grundaufbau traditioneller Dogmatik: Zunächst werden Bilder zum Thema "Schöpfung", dann zu den Themen "Gott", "Jesus Christus" und schließlich "Gemeinschaft/Kirche" vorgestellt. Unverzichtbar ist dabei die im Anhang beigefügte Auswahl von 26 Fotographien einiger besprochener Werke, die, obgleich einige der Abbildungen leider von sehr schlechter Qualität sind, dennoch einen lebendigen Eindruck von der Arbeit der malawischen Künstler vermitteln.

Auch nur einzelne Teile aus der Fülle des Materials herauszugreifen, würde hier zu weit führen. Im folgenden sollen daher einige Hinweise darauf gegeben werden, was das Besondere der von Ott dargestellten Bildtheologie ausmacht:

1. O. versucht zu zeigen, wie sich die Inkulturation des Evangeliums im Kontext afrikanischer Stammesreligionen als "Dialog der Bilder" vollzieht. Das spezifisch Neue einer solchen Bildtheologie besteht darin, daß es hier zu einer echten Begegnung zwischen Ausdrucksformen und Symbolen aus dem Bereich traditionaler Religion und aus dem des Christentums kommen kann. Dabei wird das "Bildmaterial" der traditionalen Religion nicht als "Steinbruch" genutzt, so daß nur solche Motive, die "passen", in den christlichen Kontext integriert und somit allein schon durch die Auswahl entstellt werden. Auch geht es nicht darum, die Motive äußerlich und ornamenthaft zu gebrauchen, um das, was man christlicherseits immer schon wußte, den christlichen "Kern" gleichsam, mit einer afrikanischen "Schale" zu versehen. Vielmehr können im Bild oder in der Skulptur Motive aus beiden religiösen Traditionen zusammengestellt werden, und zwar so, "wie sie sind", und d. h. eben nicht: bereits durch die andere religiöse Tradition gedeutet.

Die spezifische Art und Weise, in der die Künstler beide Bildfelder in einem Werk zusammenbringen, läßt zwar erkennen, worauf es ihnen ankommt. Die Zusammenschau und die Zuordnung beider Bildfelder ist dadurch jedoch gerade nicht definiert, sondern sie muß vom Betrachter selbst geleistet werden! Inkulturation findet auf diese Weise als ein dynamischer Prozeß im Betrachtungsvorgang des Rezipienten statt! Welche Beziehungen gesehen und welche Zuordnung letztlich leitend sein werden, das bleibt offen. Das Bild definiert nicht, sondern es setzt etwas im Betrachter frei. Gerade darin besteht die besondere Chance einer solchen Bildtheologie. Sie ermöglicht wechselseitige Offenheit, die jedoch nicht zu Beliebigkeit führt.

2. Deutlich wird dies z. B. an einer Kirchentür, die beidseitig bearbeitet ist. Auf der Außenseite der Eingangstür einer Kapelle ist die Schöpfungsgeschichte des malawischen Mythos dargestellt, während auf der Innenseite darin in einem weitgehend parallelen Bildaufbau neben anderen Ergänzungen die Figur des auferstandenen Christus eingefügt ist (Abb. 10, 11). Beide Seiten interpretieren sich auf diese Weise gegenseitig, ohne daß es zu einer Vermischung beider kommt. Der Betrachter muß einen Weg von außen nach innen gehen, wobei er zunächst das Bild mit der malawischen Schöpfungsgeschichte ohne christliche Deutung zu Gesicht bekommt und dann erst, nach dem Eintreten in die Kapelle, das Pendant in christlicher Deutung. Der Betrachter sieht nicht beides auf einmal, er oder sie muß die Beziehungen im Vorgang der Betrachtung selbst herstellen. Daß es dabei nicht um eine eher äußerliche Form von "Kunst" geht, erhellt schon allein daraus, daß es sich um die Tür einer Kapelle handelt, in der der christliche Gottesdienst vollzogen wird. Ähnlich ist es mit Kunstwerken, die als Altarbild, als Ambo oder als Kanzel dienen: Inkulturation findet hier genau am richtigen Ort, nämlich im Zusammenhang des lebendigen, gottesdienstlichen Geschehens statt ­ was andere Orte nicht aus, sondern einschließt. Inkulturation geschieht in actu.

3. Die Künstler des KuNgoni Art Craft Centre lassen die traditionale Religion durch die darstellerische Aufnahme ihrer Mythen, Riten und Symbole zu Wort kommen. Sie nehmen damit eine entscheidende Rolle in der Vermittlung zwischen der traditionalen Religion und dem Christentum wahr. Dies wäre, so zeigt O., kaum möglich gewesen, wenn sie sich nicht darauf eingelassen hätten, sich in die traditionale Religion zu enkulturieren. So pflegen viele Künstler intensive Kontakte zu den Vertretern der traditionalen Religion und haben sich beispielsweise in den Nyao-Maskenbund initiieren lassen, der neben den Regenritualen "die wichtigste Institution in der Malawikultur" ist (143).

Der Zusammenhang zwischen Inkarnation und Inkulturation wird hier besonders sinnfällig veranschaulicht: Wie Jesus Christus Mensch wurde, um als das fleischgewordene Wort den Menschen nahe zu sein, so kann die Inkulturation des Evangeliums gelingen, wenn Christen diese kenotische Bewegung nachvollziehen: "Die existentielle Inkarnation ist die Voraussetzung und der Ausdruck einer gelingenden Inkulturation, auch in der christlich-afrikanischen Kunst" (439). Der initiierte christliche Künstler ist ­ in diesem Beispiel ­ die "Nahtstelle" der Inkulturation.

4. Daß Inkulturation der christlichen Botschaft zugleich durch Kontinuität und Diskontinuität zu den vorgegebenen, hier: traditionalen Religionen gekennzeichnet ist, stellt O. deutlich heraus. Inkulturation bedeutet nie ein unproblematisches, sondern ein kritisches Verhältnis zwischen Evangelium und Kultur. Diese Kritik richtet sich gleichermaßen auf das Christentum in seiner bisherigen Ausdrucksgestalt wie auf die vorgegebenen religiösen und kulturellen Traditionen. O. weist an Hand einiger Kunstwerke nach, wie Selbstkritik traditionaler Religion und die kritische Kraft des Evangeliums zu einer neuen Wahrnehmung problematischer und segensreicher Aspekte der traditionalen Religionen führen.

Insgesamt handelt es sich ­ trotz einiger in der Methodik begründeten Wiederholungen ­ um ein sehr informatives, gut zu lesendes und an manchen Stellen durchaus spannendes Werk. So werden beispielsweise verschiedene christologische Entwürfe afrikanischer Theologien (Christus als Baum, als Bruder der Afrikaner, als Ahne, als neuer Priester, Häuptling, Prophet, Heiler usw.) anhand des Bildmaterials kurz und prägnant gesichtet, erläutert und in ihrer Bedeutung für den spezifisch malawischen Kontext problematisiert. Die Stärke dieses Buches liegt, wie könnte es bei diesem Thema anders sein, in der Anschaulichkeit, mit der hier das Thema Inkulturation anhand einer Bild-Theologie im afrikanischen Kontext aspektreich entfaltet wird.