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Ausgabe:

Februar/1999

Spalte:

166–168

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Parry, Donald W. u. Stephen D. Ricks [Eds.]

Titel/Untertitel:

Current Research and Technological Developments on the Dead Sea Scrolls. Conference on the Texts from the Judean Desert, Jerusalem, 30. April 1995.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1996. X, 279 S. gr. 8. Lw. hfl 145.-. ISBN 90-04-10662-6.

Rezensent:

Alexander Maurer

Der vorliegende Band enthält Beiträge aus Anlaß einer Konferenz, die von zwei Mormonen-Organisationen in den USA organisiert und finanziert wurde (IX-X), was die Gelegenheit bietet, auf das deutlich zunehmende Engagement von Mormonen in der Qumranforschung hinzuweisen.

F. M. Cross, Notes on the Doctrine of the Two Messiahs at Qumran and the Extracanonical Daniel Apocalypse (4Q246) (1-13), und F. García Martínez, Two Messianic Figures in the Qumran Texts (14-40), behandeln den Befund zu den Messiassen in den Qumrantexten. Während Cross für "a consistant doctrine of only two messiahs - one of Aaron and one of Israel" (2) plädiert, die ihren Ausgang bei der Diarchie aus Sach 4,14 nimmt, erneuert García Martínez seine Sichtweise, wonach neben diesen menschlichen Messiassen auch himmlische Größen in Qumrantexten als Messiasse anzusprechen sind.

Sicher richtig ist die Feststellung von Cross, wonach immer der königliche gemeint ist, wenn nur ein unspezifizierter Messias genannt wird (z. B. 1QSa II, 11-13). Solche Texte dürften aus einer Zeit stammen, als die Existenz eines adäquaten Hohenpriesters (des Lehrers der Gerechtigkeit) die Erwartung eines priesterlichen Messias für die Essener noch nicht nötig machte (vgl. H. Stegemann, Some Remarks to 1QSa, to 1QSb, and to Qumran Messianism, in: RdQ 17, 1996, 479-505). Die Ausweitung der Bezeichnung "Messias" auf nicht-menschliche Figuren (García Martínez) dürfte dagegen sicher problematisch sein angesichts dessen, daß etwa Engel (Michael, ferner nennt García Martínez Melchisedek, den Fürst des Lichts und den Propheten der Endzeit) nicht als "gesalbt" vorzustellen sind und die herangezogenen Belege (die Bilderreden des Henochbuchs sowie 4. Esra) erst nach 70 n. Chr. entstanden sind. Beide, Cross und García Martínez, behandeln intensiv 4Q246 psDand, allerdings ohne die Möglichkeit einer nicht-messianischen Interpretation des dortigen Sohn-Gottes-Titels ernsthaft in Erwägung zu ziehen (vgl. A. Steudel, The Eternal Reign of the People of God - Collective Expectations in Qumran Texts (4Q246 and 1QM), in: RdQ 17, 1996, 507-525).

E. Tov, Scribal Markings in the Texts from the Judean Desert (41-77), bietet eine systematische Untersuchung der textexternen Schreiberzeichen in den Handschriften von Qumran. Seine Erklärung dieser Zeichen ist weithin überzeugend, etwa was diejenigen zur Markierung von Abschnittsanfängen oder -enden betrifft.

Im Fall von 1QS VII,25 ist allerdings tatsächlich zu betonen, daß es sich wie am Rand der Zeilen 1QS V,1 und IX,1 um die Kennzeichnung des Beginns einer größeren Textpartie handelt, der am Ende dieser markierten Zeile leider zerstört ist (vgl. die Gestaltung des Textübergangs nach 1QS VIII,1 bei J. Maier, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer I: Die Texte der Höhlen 1-3 und 5-11, UTB 1862, München, Basel 1995, 186). Bezüglich der textexternen Elemente in 1QJesa hat kürzlich O. H. Steck eine für die alttestamentliche Jesaja-Forschung wie für die Qumranforschung wichtige Untersuchung vorgelegt: Die erste Jesajarolle von Qumran (1QIsa), SBS 173/1+2, Stuttgart 1998.

E. Ulrich, Multiple Literary Editions: Reflections toward a Theory of the History of the Biblical Text (78-105), stellt dar, wie die ca. 200 biblischen Qumranhandschriften unsere Vorstellung von der Textgeschichte des Alten Testaments bereichert haben. Denn diese Textzeugen zeigen, daß für die frühe Textgeschichte mit "Multiple Literary Editions" zu rechnen sei, die auf "the deliberate activity of a series of creative scribes" (88) zurückgingen. Wenn man erkenne, daß LXX, der samaritanische und der masoretische Text nicht geschlossene Texttypen oder Rezensionen im engeren Sinn darstellten (96), sondern Sammlungen bzw. Anthologien aus Schriftrollen unterschiedlichen Überlieferungscharakters, dann dürfe - und für diese Klarstellung ist Ulrich zu danken - das Zielobjekt der Textkritik nicht der masoretische Text der mittelalterlichen rabbinischen Tradition sein, sondern es müsse der Text sein, wie er sich als noch nicht endgültig fixierter in seiner Frühzeit konkret darstellte. Dementsprechend sieht Ulrich in der Handschrift 11QPsa, die nicht-kanonische Psalmen neben kanonischen enthält, letztere zum Teil in anderer Reihenfolge als der masoretische oder LXX-Text, "a truly biblical manuscript, though a variant edition, of the Psalter" (105).

D. W. Parry, 4QSama and the Tetragrammaton (106-125), untersucht die 17 - nur zum Teil erhaltenen - Vorkommen von "Gottesnamen" in 4QSama. Die Handschrift hat in vier Fällen davon weder eine Entsprechung in LXX noch im masoretischen Text, was Parry dahingehend interpretiert, daß 4QSama weder dem masoretischen noch dem LXX-Text entspricht, allerdings jener hebräischen Texttradition angehöre, die der LXX zugrundeliegt (dafür sprechen sieben Übereinstimmungen gegen den masoretischen Text). Und schließlich läßt sich auch anhand von 4QSama eine Tendenz des masoretischen Samueltexts gegen-über der LXX-Version verifizieren: die deutlich häufigere Verwendung der Elohim-Bezeichnung (ho theos) gegenüber dem Tetragramm (ho kyrios) im masoretischen Samueltext.

T. Elgvin, Early Essene Eschatology: Judgment and Salvation according to Sapiential Work A (126-165), stellt den letzten umfangreichen, durch sieben Qumranhandschriften repräsentierten Text vor, der noch nicht vollständig und offiziell ediert wurde. Er sieht darin "a didactic book (sic!) that provides instruction for man’s relation to his fellowman and to God" (127), das terminologisch 1QS, der Damaskusschrift und den Hodajot nahestehe, inhaltlich besonders Teilen der Henochliteratur.

In der üppigen Beschreibung irritieren merkwürdige Vorstellungen: Das Werk wird als "book" bezeichnet, und zwischen einem "wider Essene movement" und dem Yachad unterschieden (133), was allerdings Selbstbezeichnung der Essener ist. Und was stellt sich der Autor wohl unter Schreiber- und apokalytischen Kreisen des 3. und 2. Jh.s vor, mit denen der Verfasser von Sapiential Work A in Kontakt gestanden haben soll? Der Beitrag bietet eine Fülle von Informationen über Aussagen des Werkes zu Weisheit und Offenbarung sowie Eschatologie und Endgericht. Hinsichtlich ihrer Bewertung wird die endgültige und vollständige Publikation durch D. Harrington und J. Strugnell, daneben auch Elgvin, sicher weitere Aufschlüsse ermöglichen.

D. M. Pike, The Book of Numbers at Qumran: Texts and Context (166-193), informiert über die unter den Qumrantexten erhaltenen Numeri-Fragmente und über die Numeri-Zitate, textlichen Anspielungen sowie halachisches Bezugsmaterial in von Essenern verfaßten Qumrantexten.

D. R. Seely behandelt The Barki Nafshi Texts (4Q434-439) (194-214), näherhin die Form der Texte (202: "sectarian text[s] with wisdom elements") und ihr Verhältnis untereinander (4Q434a Grace after meals und 4Q439 gehören nicht zum selben Werk, im Unterschied zu den anderen Handschriften, die alle Textüberschneidungen aufweisen). Die Hauptaufgabe für eine endgültige Edition dürfte darin bestehen, einen Komposittext aus den verschiedenen Handschriften zu rekonstruieren.

S. R. Woodward, G. Kahila, P. Smith, Ch. Greenblatt, J. Zias und M. Broshi stellen eine Analysis of Parchment Fragments from the Judean Desert Using DNA Techniques (215-238) vor. Mittels einer DNA-Analyse der Lederfragmente kann ermittelt werden, von welcher Tierart das Material stammt (meist Ziegen). Weitere Analysen sollen erlauben, das Leder bestimmten Populationen zuzuordnen (geschlossenen Herden), so daß Auskünfte über seine Herkunft möglich würden. Ob bestimmte Fragmente vom selben Tier stammen - was für die Handschriftenrekonstruktion sehr wichtig sein könnte -, können die vorliegenden Untersuchungen aber noch nicht klären. Solche Aussagen müßten auch mit Vorsicht behandelt werden, denn es können vom selben Tier stammende Lederbögen in verschiedenen Handschriften verarbeitet worden sein, und die Lederbögen einer Handschrift stammen in der Regel ja auch sicher von mehreren Tieren.

Auf S. 239-250 stellen D. W. Parry und S. W. Booras The Dead Sea Scrolls CD-ROM Database Project vor. Das Datenmaterial dieser CD-ROM besteht im wesentlichen aus von S. J. Pfann gesammelten Transkriptionen der Qumrantexte und vom Ancient Biblical Manuscript Center zur Verfügung gestellten Photographien. Englische Übersetzungen und Literaturhinweise kommen ebenso hinzu wie Programme, die die Konkordanzarbeit mit den gespeicherten Texten ermöglichen (wahlweise in Originalsprache oder Übersetzung). Der Vorteil dieses Vorhabens wird hauptsächlich darin bestehen, daß diese CD-ROM preislich weit unter dem liegt, was man für das vergleichbare Produkt der Gemeinschaftsarbeit von Oxford University Press und E. J. Brill zahlen muß. - Den Band beschließen ausführliche Indices: ein Stellen- (253-267), ein Sach- (268-274) sowie ein Autorenregister (275-279).