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Ausgabe:

Mai/1997

Spalte:

502–504

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Fischer, Dorothee

Titel/Untertitel:

Wort und Welt. Die Pneuma-Theologie Romano Guardinis als Beitrag zur Glaubensentdeckung und Glaubensbegleitung.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1993. 414 S. gr.8° = Praktische Theologie heute, 12. Kart. DM 59,­. ISBN 3-17-012686-5.

Rezensent:

Anton A. Bucher

Ziel dieser umfang- und kenntnisreichen Studie über Guardinis Relevanz für die Praktische Theologie, speziell die Religionspädagogik, ist es, die "Behauptung" einzulösen, "daß diese pneumatheologische Grundstruktur im Werk Guardinis, das beständige Rechnen des Denkens mit der Dynamis des Gottesgeistes, einer heutigen Glaubensvermittlung ­ in der Theorie und dann auch in der Praxis ­ erneuernde Perspektiven öffnen kann" (15). Dieses Unternehmen, als Dissertation beim Religionspädagogen Professor Dr. Bitter (Bonn) durchgeführt, ist spannend, aber auch aufwendig, bedingt es doch, das umfangreiche und vielfältige Werk Guardinis unter pneumatheologischem Gesichtspunkt zu rekonstruieren. Ferner bedingt es, die aktuelle religionspädagogische Diskussion so weit aufzuarbeiten, daß mögliche innovative Elemente als solche sichtbar werden können.

Dieser Aufgabe stellt sich die Vfn. in vier umfangreichen Teilen. Im ersten, "’Christliche Weltanschauung’ und ihre Grundkategorien" überschrieben, erörtert sie Guardinis Sicht der Welt als letztlich geheimnisvolle, gnadenhafte "Tat-Sache" (50), sodann seine Sicht der Offenbarung, und nicht zuletzt seine philosophisch akzentuierte Gegensatzlehre, in der ­ was religionspädagogisch bedeutsam ist ­ die Dignität des Lebendig-Konkreten angemahnt wird. Der zweite Teil beinhaltet Guardinis Sicht der menschlichen Person, deren Urbild in der dialogisch bestimmten Trinität liegt. Zentral ist das achte Kapitel, in dem "Gnade als Selbst-Mitteilung Gottes durch die Inexistenz (Innewohnen, A. B.) seines Geistes" beschrieben wird (172), ferner als "die Inexistenz des Geistes Jesu Christi im inneren Tiefenraum des Menschen", woran sich die praktisch-theologisch immer wieder zu bedenkende Einsicht anschließt, "daß man niemanden in die Gnadenexistenz hineinführen kann, indem man ihn mit den Inhalten des von Christen Geglaubten bekannt macht" (196); vielmehr handelt es sich dabei um ein "vollkommen unverfügbares Geschehen" ­ das signalisiert Grenzen religionspädagogischer Machbarkeit.

Im dritten Teil erörtert F. Kirche als "Gemeinschaft der Gnade"; auch schildert sie Guardinis Auseinandersetzung mit bedeutenden Denkern und Theologen, von Augustinus bis Kierkegaard. Zu Ende geführt wird dieser Teil mit Guardinis Interpretationen neuerer Dichter, in die freilich kulturpessimistische Töne eingeflossen sind, die sich auch in F. s Studie niederschlugen, etwa wenn Rilkes Werk unter der Überschrift "Die Selbstzerstörung der Person" zur Sprache kommt. Zusammenfassend wird "die Verhülltheit der Gnade am ’Ende der Neuzeit’" (Guardini 1950) beklagt; allerdings fragt F. selber, ob die Personalität im Mittelalter in der Tat adäquater gewesen sei (295).

Der vierte Teil ist für Religionspädagogen und -pädagoginnen am interessantesten; er beinhaltet den Versuch einer an Guardini zurückgebundenen religionspädagogischen Konzeptbildung. Als Grundlage dafür wird Guardinis Personverständnis herangezogen, sodann nach Elementen der Selbsterfahrung junger Erwachsener gefragt (294). Wiederum kommt F. zu einem pessimistischen Befund; bei den Jugendlichen sei "die Immanenz des transzendenten Gottes... verblaßt", die Welt werde von ihnen zusehends als "morbid" empfunden (302). Hier wäre es freilich hilfreich gewesen, weit mehr jugendsoziologische Befunde heranzuziehen, vor allem die aus der Religionspädagogik nicht mehr wegzudenkenden strukturgenetischen Theorien der religiösen Entwicklung, die eine Phase der Selbstbestimmung als notwendigen Entwicklungsschritt herausgestellt haben, die man nicht voreilig als epochale Glaubensverdünnung interpretieren und in die Nähe von "empörerischem Autonomiewillen" (286) rücken sollte.

Anregender als diese "Elemente der Selbsterfahrung junger Erwachsener" ist der Exkurs über Werbicks Versuch einer elementaren Theologie, die sich an den Stufen der Identitätsentwicklung nach Erikson orientiert und geeignet erscheint, Guardinis Theologie humanwissenschaftlich und praktisch-theologisch zu ergänzen (308).

Hinsichtlich der "Glaubensentdeckung und Glaubensbegleitung" sind die Kapitel 12 und 13 am relevantesten. Gefordert wird zunächst eine "Deutung des Alltäglichen aus dem Ewigen heraus", konkreter: "Erfahrungsfähigkeit für Sinngestalten in der Welt" (315), wozu ein liebendes und dienendes Sehen erlernt werden muß ­ Guardini hat dies unübertrefflich beschrieben (321). In der Religionspädagogik ist dies, unter dem Stichwort "Kräfteschulung", freilich schon längst bekannt und weit mehr konkretisiert als hier. Grundsätzlich wichtig und richtig, aber wiederum nicht neu, ist die Bedeutsamkeit der Dinge und Gegenstände, mit denen "absichtslos-sorgfältig" (324) umzugehen sei, und nicht zuletzt die Relevanz der Symbole, bei Guardini in seiner Philosophie des Lebendig-Konkreten fundiert (364), ferner die Bedeutsamkeit von Mystagogie, von liturgischem Feiern, bekennendem Erzählen etc.

Zusammengefaßt: Die Arbeit bietet eine breite und fundierte Einführung in das Werk Guardinis, das bekanntermaßen die Praktische Theologie, speziell die Liturgik, ungemein befruchtet hat. Dieses vom Pneuma-Begriff her zu lesen und zu rekonstruieren, ist originell und innovativ. Die religionspädagogischen Konsequenzen jedoch sind eher allgemein gehalten, zwar plausibel, wenn auch nicht gänzlich neu. Wirkliches religionspädagogisches Neuland hätte die Studie betreten, wenn konkret dargelegt worden wäre, wie beispielsweise in der Gemeinde "Leben gemeinsam unter dem Aspekt von Vorsehung betrachtet" werden kann (390) bzw. wie heute der Geist Gottes, ein Stiefkind in der religiösen Erziehung, konkret zur Sprache gebracht werden kann, ähnlich konkret, wie es eine Philosophie des Lebendig-Konkreten nahelegt und Guardini die "Heiligen Zeichen" beschrieb.