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Ausgabe:

Mai/1997

Spalte:

499–501

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Siregar, Emmanuel

Titel/Untertitel:

Sittlich handeln in Beziehung. Geschichtliches und personales Denken im Gespräch mit trinitarischer Ontologie.

Verlag:

Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag. Freiburg-Wien: Herder 1995. 410 S. 8°= Studien zur theologischen Ethik, 64. Kart. sFr 68.­. ISBN 3-7278-0995-7 und 3-451-23648-6.

Rezensent:

Werner Brändle

Der Untertitel dieser sehr anspruchsvollen Dissertation gibt vor, eine trinitarische Ontologie als Gesprächspartner für eine moraltheologische Begründungsstrategie bereits zur Hand zu haben. Doch erweist sich diese Ankündigung ­ verständlicherweise ­ als etwas zu hoch gegriffen. Der Vf. versucht, den Entwurf einer trinitarischen Ontologie ­ in Anlehnung an den Entwurf von Klaus Hemmerle ­ zur Begründung seiner moaraltheologischen Idee fruchtbar zu machen. Überhört man diese statusbedingten Fanfarenklänge, die freilich immer wieder in der Abhandlung durchtönen, so erweist sich diese Arbeit nicht nur als eine äußerst kenntnisreiche und präzise Darstellung wichtiger philosophischer Positionen unseres Jahrhunderts, sondern eben auch als der verdienstvolle Weg, trinitätstheologisches mit diskursethischem Denken ins Gespräch zu bringen. Oder mit den Worten S.s selbst formuliert: "Wenn menschliches Leben nur in der Dynamik gegenseitiger Seins-Gabe zu seiner eigentlichen personalen Seins-Natur finden kann, dann kann und darf es sich erst dann als vollendet bezeichnen, wenn sich die gemeinte relationale Dynamik des Geistes für alle Menschen vollzogen hat... Hier ergibt sich eine trinitätsontologisch fundierte Diskursethik, in der die ursprüngliche Theorie kommunikativen Handelns nun genuin göttlichen Ursprungs ist" (335).

Der von S. befolgte Weg ist also der, moraltheologisches Handeln trinitätstheologisch zu begründen, wobei sich S. ­ entgegen seinen voreiligen Fanfarenklängen ­ durchaus der Schwierigkeiten des Weges, des Zieles als auch der damit gemachten Prämissen bewußt ist. S. versucht zwischen der Skylla einer traditionellen Ontologisierung anthropologischer Sachverhalte und der Charybdis einer vorschnellen Funktionalisierung spekulativer Aussagen über Gott hindurchzukommen. Daß das ­ in Analogie zu innertrinitarischen Relationen ­ sowohl eine Dynamisierung von bisherigen ethischen Normbegriffen als auch eine Relationisierung des Personseins und damit eine Sprengkraft für das (demokratisch intendierte) Verständnis von Kirche enthält, wagt S. wenigstens konsequenterweise anzudeuten. Jedoch ­ und dies sei auch noch vorab kritisch angemerkt: S.’ Abhandlung muß wohl zwangsläufig abstrakt verfahren, weil sie einen Begründungszusammenhang für sittliches Handeln erstellen will; da solches Handelns sich aber nur konkret bewähren kann, sehnt man sich bei der Lektüre immer wieder nach Beispielen bzw. konkreten Situationsbeschreibungen für ein solches Handeln. Die Plausibilität der angestrebten Einheit von Konstitution und Vermittlung kommunikativen christlichen Handelns hätte dadurch entschieden gewonnen.

Um sein Ziel möglichst unverkürzt ­ will sagen: ohne allzu große Reduktionen gegenüber der metaphysischen Tradition ­ und mit wissenschaftlichem Niveau zu erreichen, macht sich S. die Mühe, die religionsphilosophischen Entwürfe M. Müllers (= Teil I: Sein und Geschichte, 28-117), M. Theunissens (= Teil II: Sein und Person, 118-204) und K. Hemmerles ( Teil III: Trinität und Sein, 206-292) in ihren Grundzügen aufzuarbeiten. Dabei verbindet er mit der sachgemäßen Deskription dieser jeweiligen Positionen und ihrer bewußten Abfolge zugleich die logische Prämisse, daß diese Methode zugleich auch die Notwendigkeit und Plausibilität einer trinitarisch verfaßten Moraltheologie bzw. einer ontologischen Rückverbundenheit ethischer Urteilsbildung zwangsläufig aufweisen könne.

Zur Unterstützung dieses Verfahrens werden die auftretenden inhaltlichen und methodischen Probleme nicht nur benannt, sondern in ihrer Problemgeschichte zur Sprache gebracht. D. h., um z.B. die sozialontologischen und dialogphilosophischen Aspekte im Blick auf eine ontologisch verankerte Intersubjektivität im Sinne Theunissens aufzuzeigen, beschreibt S. auch die Entwürfe Husserls und Bubers ­ wohlgemerkt aus der Perspektive Theunissens. Damit versagt er sich durchaus einer kritischen Erörterung dieser Entwürfe zugunsten der Erreichung seines gesteckten Zieles; ebenso verfährt er bei der Darlegung der Position M. Müllers. D. h. hier wird die für die ganze Abhandlung fundamentale Problematik ­ ob nach Nietzsche und bestimmter analytischer Einwürfe noch eine Metaphysik möglich ist ­ an Hand der metaphysischen Systeme Kants, Hegels und Heideggers aus der Perspektive Müllers kurz beschrieben. Der behutsame und in sich durchaus kunstvolle Aufbau der Arbeit wird für den Leser dadurch durchsichtiger, daß S. durch Einführungen bzw. Zusammenfassungen in die jeweils großen Teile seiner Arbeit über den erreichten Problemstand und das weitere Vorgehen ausführlich Rechenschaft ablegt.

Das Zentrum der Arbeit bilden zweifellos die Ausführungen zu Hemmerles trinitarischer Ontologie, denn hier sieht S. die gesuchte Grundlegung seines Zieles: "die ethische Ausfaltung des innertrinitarischen Seinsprinzips" (276). Christologisch gewendet heißt dies für S.: "Sein-in-Christus meint nun nicht nur die vertikale Heilswirklichkeit, sondern auch den horizontalen Daseinsanspruch" (288): Trinitarisches Ethos wird als Ethos christlichen Selbst- und Weltvollzugs verstanden.

Man ist froh, daß S. im letzten Teil seiner Abhandlung (Teil IV: Sittlich Handeln in Beziehung, 294-360) noch kurz auf die beiden leitenden und das Ganze tragenden Kategorien ­ Analogie und Partizipation ­ zu sprechen kommt. Man wünschte sich, daß gerade auch in den Darlegungen zu Hemmerle diese Kategorien in ihrer philosophischen und theologischen Problematik näher entfaltet worden wären. Eine solche kritische Anmerkung will jedoch keineswegs die enorme Leistung der präzisen Darlegung zu den einzelnen Entwürfen schmälern.

Abgesehen davon, daß die fundamentale Prämisse der Untersuchung von S. ­ ob eine trinitarische Ontologie überhaupt möglich und notwendig für eine theologische Begründung sittlichen Handelns ist ­ letztlich nicht erörtert wird, ist diese Untersuchung in ihrer begrifflichen Präzision und methodischen Stringenz für das gegenwärtige Gespräch zwischen Theologie und Philosophie ein beachtenswerter Beitrag; für die weitere Arbeit an einer Explikation trinitätstheologischer Grammatik (vgl. I. U. Dalferth, dessen Arbeiten leider nirgends berücksichtigt sind) und Heuristik enthält sie wichtige Hinweise. Gerade für die evangelische Theologie zeigt diese Arbeit, wie wichtig der Dialog zwischen Philosophie und Theologie ist, um sachgemäße trinitätstheologische bzw. systematisch-theologische Urteile bilden zu können.