Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/1997

Spalte:

488–490

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Pöhlmann, Horst Georg, Austad, Torleiv, u. Friedhelm Krüger

Titel/Untertitel:

Theologie der Lutherischen Bekenntnisschriften.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus/Kaiser 1996. 212 S. 8°. Kart. DM 68,­. ISBN 3-579-02615-1.

Rezensent:

Gunther Wenz

"Warum noch lutherische Kirche?", fragte Hans Asmussen im Jahre 1949 in einem gleichnamigen Buch, das mit dem Untertitel "Ein Gespräch mit dem Augsburgischen Bekenntnis" versehen ist (H. Asmussen, Warum noch lutherische Kirche? Ein Gespräch mit dem Augsburgischen Bekenntnis, Stuttgart 1949). Fünfzehn Jahre vor Erscheinen der genannten Publikation hatte der Autor auf der Barmer Bekenntnissynode vom 29.-31. Mai 1934 als Sprecher des Theologischen Ausschusses die Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche samt einer begründenden Erläuterung vorgetragen, welche gemäß Synodalbeschluß den verbindlichen Kontext der Barmer Erklärung bilden sollte. Nach Kriegsende wurde er auf der ersten Kirchenversammlung in Treysa sogar zum Präsidenten der Kirchenkanzlei der EKD bestimmt, welches Amt er allerdings bereits nach drei Jahren infolge kirchenpolitischer Richtungsstreitigkeiten aufgeben mußte. Sein Werk zur Augustana, das er als Propst in Kiel verfaßt hat, gehört in diesen geschichtlichen Zusammenhang.

Wie immer man Asmussens kirchenpolitische Rolle in der frühen Nachkriegszeit und seine weitere, von steigender Affinität zum römischen Katholizismus bestimmte theologische Entwicklung beurteilen mag, in einer Hinsicht bleibt sein "Gespräch mit dem Augsburgischen Bekenntnis" auch heute noch aktuell, nämlich hinsichtlich der Grundmaxime, die es hermeneutisch bestimmt. Sie lautet: "Jede Kirche muß alles daransetzen, wieder sie selbst zu werden, und muß mit demselben Eifer nach der Einheit der gesamten Christenheit trachten" (A. a. O., 318). Diese Maxime gilt auch noch für die Gegenwart, ja sie gilt, so möchte ich meinen, für sie in ganz besonderer Weise, insofern den lutherischen Kirchen von heute offenkundig weder durch konfessionalistische Separation noch durch einen Transkonfessionalismus von der Art gedient ist, welcher von der konkreten bekenntnismäßigen Bestimmtheit der Reformationskirchen Wittenberger Tradition abstrahiert.

Es ist ein nicht gering zu schätzender Vorzug der in dem angezeigten Band gesammelten Beiträge zur Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, daß sie dezidierte Bindung an die eigene Bekenntnistradition und ökumenische Aufgeschlossenheit nicht nur miteinander zu vereinen, sondern als zwei Sachverhalte plausibel zu machen wissen, die sich wechselseitig erfordern.

Entsprechend wird nach einer historischen Einführung in Aufbau, Ziel und Eigenart der einzelnen Bekenntnisse des Konkordienbuchs von 1580 als des wichtigsten Corpus Doctrinae des Luthertums (F. Krüger) gleich zu Beginn unter der Überschrift "Sinn und Zweck von kirchlichen Bekenntnissen" (H. G. Pöhlmann) in der nötigen Deutlichkeit dieses klargestellt: "Die lutherischen Bekenntnisse haben... kein eigenes Spezifikum, das Spezifikum des Luthertums besteht darin, auf das Spezifikum des Christentums zu verweisen: Christus ist der einzige Heilsgrund. Die Kirche der lutherischen Reformation wollte keine neue Kirche, sondern eine Erneuerungsbewegung innerhalb der einen Kirche sein" (28).

Unter dieser Voraussetzung und in dieser Perspektive werden im einzelnen folgende Themen traktiert: 1. Schrift und Wort Gottes; 2. Gott; 3. Mensch und Sünde; 4. Jesus Christus; 5. Rechtfertigung und Gnade; 6. Neues Leben; 7. Sakramente; 8. Kirche und 9. Die letzten Dinge. Als Verfasser zeichnen Torleiv Austad (3.; 6.; 8.), Professor für Systematische Theologie an der Theologischen Gemeindefakultät in Oslo, Friedhelm Krüger (4.; 7.; 9.), Professor für Historische Theologie an der Universität Osnabrück sowie Horst Georg Pöhlmann (1.; 2.; 5.), Professor für Systematische Theologie ebenfalls an der Universität Osnabrück. Die Zusammenarbeit dreier Autoren macht einerseits einen unbestreitbaren Reiz der Publikation aus, bedingt aber andererseits offenkundige Unterschiede hinsichtlich der argumentativen Dichte und begrifflichen Präzision der einzelnen Artikel. Das muß kein Schaden sein, bestätigt aber den Eindruck, der sich schon beim ersten Blättern einstellt, daß es sich nämlich bei vorliegender Veröffentlichung um eine Sammlung von ­ durchaus aufeinander abgestimmten ­ Einzelbeiträgen zum Thema handelt, nicht jedoch um eine nach strengen Maßstäben eines festgeprägten dogmatischen Begriffs durchkonzipierte Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, wie etwa diejenige von Edmund Schlink (Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, München [1940] 31948) oder ­ wenn auch in anderer Weise ­ diejenige von Friedrich Brunstäd (Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, Gütersloh 1951).

Gemeinsamer Interpretationsgrundsatz der in dem angezeigten Sammelband vereinten Aufsätze zur Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften ist es, die einzelnen Texte des Konkordienbuches nicht je für sich und in chronologischer Abfolge zu behandeln, sondern sich am Aufbau gängiger Dogmatiken zu orientieren und das Textmaterial diesem Aufbau zu subsumieren, um ­ wie es im Klappentext heißt ­ die theologischen Zentralgedanken herauszustellen, die alle lutherischen Bekenntnisschriften gleichermaßen prägen.

Ein Vorteil dieses Verfahrens liegt zweifellos in der gebotenen Übersichtlichkeit und der Bereitstellung schneller Informationsmöglichkeiten. Diesem Vorteil korrespondiert indes der Nachteil fehlender oder doch mangelnder historischer Tiefenschärfe.

Wenn einst in dieser Zeitschrift aus Anlaß des Erscheinens von Holsten Fagerbergs "Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften von 1529-1537" (Göttingen 1965) die häufig und in bestimmter Weise auch bei Schlink und Brundstäd geübte Verdrängung der geschichtlichen Seite der Bekenntnisbetrachtung kritisiert und Fagerbergs Postulat einer historisch zu verifizierenden Lehreinheit im Vergleich dazu und trotz aller sonstigen, durchaus erheblichen Vorbehalte als veritabler Fortschritt gewürdigt wurde (vgl. K. Haendler, in: ThLZ 92 (1967), 687-693), so drängt sich die Frage auf, ob es mit diesem Urteil nicht auch heute noch seine Richtigkeit hat. Namentlich im Hinblick auf die Formula Concordiae von 1577 ­ fast durch ein halbes Jahrhundert von den übrigen im Konkordienbuch versammelten Texten getrennt, in Fagerbergs Konzept deshalb bewußt ausgespart, bei Austad, Krüger und Pöhlmann hingegen mehr oder minder integriert ­ muß man ernsthaft fragen, wo die Grenzen einer generalisierenden Betrachtung der Texte des Corpus Doctrinae von 1580 liegen, die sich von geschichtlicher Abstraktion unterschieden wissen will.

Das gilt um so mehr, als nachgerade die von den Autoren verfolgte Absicht der Aktualisierung der Texte des Konkordienbuches und ihre erklärte Intention, mit Hilfe der Theologie der Bekenntnisschriften Orientierung in den ­ wie es heißt ­ Sinnfragen der modernen Welt zu bieten, ohne historische Tiefenschärfe und ohne das dazugehörige Bewußtsein historischer Distanz nicht angemessen zu realisieren ist. Haben Bekenntnistexte als ihren Sitz im Leben einen Ort in der Zeit und läßt sich ihre Schriftgemäßheit von ihrer Zeitgemäßheit nicht prinzipiell trennen, weil beides nur zusammen bestehen kann, dann kann die historische Perspektive einer sinnvollen Hermeneutik der überlieferten Bekenntnisse niemals äußerlich sein.

Wie es in dem Beitrag der Kammer für Theologie der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Frage der Auslegung von Bekenntnissen der Kirche heißt (Vom Gebrauch der Bekenntnisse, Hannover 1995 [EKD-Texte 53], 8): "Bekenntnisse müssen, um sachgemäß zu sein, zugleich zeitgemäß sein. Die Auslegung der Bekenntnisse hat diese geschichtliche Eingebundenheit zu berücksichtigen". In den Kontext dieser Feststellung gehören die kritischen Vorbehalte, die ich ­ abgesehen von dogmatischen Einzelurteilen im Zusammenhang namentlich der Rechtfertigungslehre ­ gegen das Gesamtkonzept des Buches von Austad, Krüger und Pöhlmann im wesentlichen vorzubringen habe.

Diese Vorbehalte ändern freilich nichts an der Tatsache, daß sich die Lektüre des Sammelwerkes lohnt und zwar insbesondere für denjenigen, der sich einen ersten Überblick über die Themenbestände des Konkordienbuchs verschaffen möchte. Bleibt zu wünschen, daß das insgesamt instruktive Buch des Autorenteams dazu beitragen möge, daß Asmussens Frage "Warum noch lutherische Kirche?" unter heutigen Bedingungen eine ebenso traditionsgerechte wie zeitgemäße Antwort findet.