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Ausgabe:

Mai/1997

Spalte:

487 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Lachner, Raimund

Titel/Untertitel:

Zwischen Rationalismus und Traditionalismus. Offenbarung und Vernunft bei Jakob Frohschammer.

Verlag:

Münster: LIT 1995. 469 S. 8o. = Studien zur systematischen Theologie und Ethik, 5. Geb. DM 118,80. ISBN 3-8258-2390-3.

Rezensent:

Wolfgang Erich Müller

Die hier vorzustellende Untersuchung, eine im WS 93/94 in München angenommene katholisch-theologische Habilitationsschrift für das Fach Dogmatik, widmet sich dem Thema Offenbarung und Vernunft am Beispiel des Frühwerks des weitgehend vergessenen katholischen Theologen und Philosophen Jakob Frohschammer (= F.) (1821-1893). Seine 1854 veröffentlichte Schrift "Über den Ursprung der menschlichen Seelen. Rechtfertigung des Generatianismus" nahm der Konsultator der Index-Kongregation, Joseph Kleutgen, zum Anlaß, seine Indizierung einzuleiten. Seine in der Folge vertretenen Auffassungen zum Themenbereich von Offenbarung und Vernunft führte zum Widerspruch weiterer der Neuscholastik verpflichteten Theologen, so daß seine Schriften "Einleitung in die Philosophie und Grundriß der Metaphysik" (1858) und "Über die Freiheit der Wissenschaft" (1861) im Jahr 1862 auf den Index gesetzt wurden. F. wurde der Vorwurf gemacht, der Vernunft in Glaubensdingen gegenüber der übernatürlichen Offenbarung und der Autorität der Kirche ein unvertretbares Übergewicht zugeschrieben zu haben. Da F. die von Rom geforderte Unterwerfung verweigerte, wurde 1863 das kirchliche Verbot der Veröffentlichung seiner Bücher erlassen, er selbst von seinen geistlichen Funktionen suspendiert und den Theologiestudenten der Besuch seiner Vorlesungen verboten.

Obwohl er seit 1855 eine ordentliche Professur an der Philosophischen Fakultät in München innehatte, isolierte ihn dieses Vorgehen, zumal sich die Mitglieder der katholisch-theologischen Fakultät in München 1864 öffentlich von ihm distanzierten. In der Folge verschärft sich seine kritische Position gegen die Formen hierarchisch verfaßten Christentums, aber auch gegenüber vielen dogmatischen Lehren. Beispielsweise lehnt er in der Christologie die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus ab und sieht in ihm nur einen religiös genialen Menschen. Aber auch die augustinisch geprägte Erbsündenlehre negiert er, wie die Prädestinationslehre und die katholische Sakramentenlehre. Er erstrebte ein Christentum, das von Machtstrukturen befreit war und sich mit der modernen Wissenschaft verständigen konnte. Aufgrund dieser Betonung der Wissenschaften und der Kritik am Unfehlbarkeitsdogma wird er 1871 aus der katholischen Kirche exkommuniziert.

L. befragt das Werk F.s in dreifacher Hinsicht, um zu erheben, ob seine Verurteilung zu Recht besteht oder nicht. Im ersten Kapitel wird geklärt, ob F. "Religion tendenziell rationalistisch als Vernunftreligion oder aber tendenziell fideistisch oder traditionalistisch als Offenbarungsreligion" (55) versteht. Im 2. Kap wird die Erkenntnisleistung der Vernunft auf ihre Unterscheidungsfähigkeit zwischen offenbarter und vermeintlich offenbarter Religion dargelegt. Im 3. und letzten Kap. wird das Verhältnis der Erkenntnismöglichkeiten von Glauben und Vernunft bestimmt.

Grundsätzlich, so belegt L. im 1. Kap., entdivinisiert F. die Religion nicht, sondern versteht sie "als Resultat göttlicher Offenbarung" (94). Gott hat im Menschen die Gottesliebe a priori eingestiftet, wobei es zur Bildung der Religion ihrer späteren Aktualisierung bedarf. Diese geschieht auf verschiedene Weise, entweder durch eine Offenbarung, durch zwischenmenschlichen Austausch, menschliche Phantasie oder die Natur. Bei der eingestifteten Religion handelt es sich um eine in einer Uroffenbarung deutlich werdende Religion mit einfachen Lehren. Die Vielfalt der Religionen kann nur als Verfall der ursprünglichen Religion aufgefaßt werden. Aufgrund der eingestifteten Gottesoffenbarung kann der Mensch dann feststellen, daß die Offenbarung des Alten und Neuen Testaments eine wahre Gottesoffenbarung ist, wobei Jesus die ursprüngliche wahre Religion wiederherstellt und damit auch das Alte Testament korrigiert. Mit diesen Ausführungen ist F.s Differenz zu einem durch Dogmen geprägten Christentum sehr deutlich. Gleichzeitig zeigt sich mit dem Bezug auf die Uroffenbarung, daß F. kein vernunftautonomer Rationalist ist, denn die Religion wird nicht von der menschlichen Vernunft gebildet, da sie auf eine vorgängige Offenbarung gewiesen ist.

Im 2. Kap. geht es um F.s Wahrnehmung der Religion, die nicht auf fideistische oder traditionelle Weise durch Entgegensetzung zur Vernunft geschehen soll. Hier schreibt er der Religionsphilosophie oder der Metaphysik die Aufgabe zu, die Wahrheit der Religion zu erweisen. Die herkömmlichen Wege der rationalen Metaphysik, aus der Natur die Übernatur zu erweisen, lehnt er ebenso ab wie die idealistische Metaphysik, in der sich Gott ohne weitere Vermittlung dem Menschen direkt erweist.

F. strebt vielmehr eine von ihm so genannte subjektiv-objektive Metaphysik an, die auf dem objektiven Erkenntnisgegenstand des menschlichen Gottesbewußtseins und auf dem subjektiven Erkenntnisprinzip der durch die immanente Gottesidee geprägten menschlichen Vernunft beruht, wobei, wie L. kritisch vermerkt, der Schluß vom Bewußtsein Gottes auf seine "Wirklichkeit" ein Fehlschluß bleibt. Er hält aber F.s Bestreben fest, auf diese Weise eine Position einzunehmen, die übernatürlichen Glaubenswahrheiten durch Vernunft erkennen zu können, wobei F. selbst die ­ ihm allerdings notwendig erscheinende ­ Zirkelhaftigkeit dieses Vorgehens bewußt ist.

Im 3. Kap. wird die Bedeutung der Vernunft für den religiösen Glauben dargelegt, die F. auch für notwendig erachtet, da der Mensch sonst allen erdenklichen Offenbarungsansprüchen hilflos ausgesetzt sein kann. Der Mensch muß "zu einem vernünftigen Urteil über die Autorität fähig sein, der er seinen Glauben schenken soll" (410), sonst steht der Glaube in der Gefahr, nicht nur unvernünftig, sondern auch moralisch bedeutungslos zu werden. Korrekter muß es darum gehen, zur Vermeidung des Eindrucks des reinen Rationalismus, die Nicht-Vernünftigkeit von Glaubensaussagen und damit ihre Falschheit aufzuweisen. Folglich kann dann die wahre Religion des Christentums nur aus solchen Lehren bestehen, die der Vernunft nicht widersprechen. Philosophie wird hier nicht mehr der Theologie untergeordnet, sondern beide Fächer werden einander koordiniert, wobei sie sich hinsichtlich der Wahrheitsfrage so unterscheiden, daß die Theologie aufgrund der Offenbarung Wahrheiten kennt, die Philosophie sie aber sucht. Diese Ausführungen machen als Ertrag für L. sicher, daß F. einen strengen Rationalismus lehrt, aber aufgrund seiner Betonung der Vernunft auch keinen Fideismus oder gar Traditionalismus, denn es geht ihm um eine "theonome Vernunft" (429). Damit ist die Verurteilung F.s als "sachlich fragwürdig" (437) festgehalten. Sein Bestreben, den Dialog der Theologie zu den Wissenschaften aufzunehmen, weist ihn vielmehr als weitsichtig auf, da dies eine wichtige Problematik im 20 Jh. wurde.

Die Untersuchung L.s ist eine gründliche Einführung in ein weitgehend unbekanntes Denken, hätte m.E. jedoch in gestraffter Form erscheinen können, ohne an Substanz zu verlieren.

L. gibt in seiner Untersuchung nur vereinzelte Hinweise auf Positionen der protestantischen Aufklärungstheologie, die viele der Themen F.s in ähnlicher Weise schon verhandelt hat. Ich möchte diesen Hinweis nicht als Kritik an L. verstanden wissen, sondern als Benennung einer aus der Lektüre dieses Buches deutlich werdenden Forschungsaufgabe, die geistige Lage im Deutschland des 18. und 19. Jh.s einmal auf interkonfessionale Weise anzugehen, damit sonst unerkannt bleibende Korrespondenzen aufgezeigt werden.