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Ausgabe:

Mai/1997

Spalte:

480 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Kim, Hee-Bong

Titel/Untertitel:

Der Anfang der Philosophie und die phänomenologische Reduktion als Willensakt.

Verlag:

Wuppertal: Deimling 1995. 185 S. = Deimling Wissenschaftliche Monographien, 9. 8°. Kart. DM 79,80. ISBN 3-928258-19-2.

Rezensent:

Matthias Heesch

Das theologische Interesse an Philosophie ist darin begründet, daß es sowohl die Philosophie als auch der Glaube bzw. seine wissenschaftlich ausgearbeitete Reflexionsgestalt, die Theologie, mit Einsichten über das Wesen von Wirklichkeit und des menschlichen Daseins inmitten dieser Wirklichkeit zu tun haben. Der geschichtlich manifesten Vielgestaltigkeit dieser Tatsache entsprechend wandelt sich die Beschaffenheit des theologischen Interesses an der Philosophie. Man kann nun sagen, daß seit Kants Theorie vom Primat der praktischen Vernunft die Theologie vor allem im Selbstentwurf von Philosophie als existentielle Praxis einerseits konkurrierende Wahrheitsansprüche, andererseits natürlich auch Anregungen vorfindet. Das hier zu besprechende Werk unternimmt es, eine der einflußreichsten philosophischen Theoriebildungen unseres Jh.s, Husserls Phänomenologie, als existentielle Praxis zu interpretieren. Es wird daher auch auf theologisches Leseinteresse stoßen.

Kim geht in seiner von K. Held betreuten Wuppertaler Dissertation von der Entgegensetzung der von Husserl sogenannten natürlichen gegenüber der transzendentalen Einstellung aus. Die natürliche Einstellung besteht nach Husserl darin, daß der Mensch naiv die Vorfindlichkeit objektiver Wirklichkeit akzeptiert, so daß diese absolut erscheint (32-55 u. ö.) Diese scheinbare Absolutheit des Objektiven wird überwunden, wenn die Frage nach seiner Konstitution aufgeworfen wird. Der Leitfaden für diese Frage ist das Sein-für-Subjekte der vorfindlichen Wirklichkeit (66-68 u. ö.). In dieser Relation wird dann deutlich, daß die objektive Welt kein Selbstläufer, sondern konstitutiv an das Leben von Subjekten gebunden ist (90 u. ö.). Dies ist aber verhüllt, denn das Fungieren von Subjektivität besteht gerade darin, Objektivität zu ermöglichen, was mit einer solchen Radikalität geschieht, daß schließlich, gleichermaßen konsequenter- wie paradoxerweise, auch das Subjekt zum Objekt in der Welt wird (71). K. führt im Anschluß an Husserl vor, daß diese paradoxe Grundstruktur von Subjektivität nach einer Daseinsgestaltung verlangt, die sie überwindet. Dies leistet die transzendentale Einstellung, die die Bindung von Objektivität an leistendes Leben von Subjektivität deutlich werden läßt (87-92), wobei sich weiter herausstellt, daß dieses leistende Leben Wille ist (149 u. ö.). K.s zentrale These ist nun, daß diese subjektivitätstheoretische Relativierung (und zugleich Begründung) von Objektivität als willentliche Herauslösung aus einem Verblendungszusammenhang (150, 154 u. ö., vgl. 147-150) zu verstehen ist.

Das wirft die Frage nach der Motivation des Philosophierens auf, denn die transzendentale Einstellung muß aus sich selbst begründet werden, weil sie andernfalls nur eine Gestalt der natürlichen Einstellung wäre. Dennoch muß die transzendentale Einstellung auf die natürliche als deren Teleologie bezogen sein, denn nur deswegen kann die natürliche auf die transzendentale Einstellung hin überschritten werden (156). Die hier ansetzenden Schwierigkeiten löst Husserl nicht. Seine Philosophie ist also nur der Anlage, nicht aber der Ausführung nach existentielle Praxis (158).

Philosophisch gesehen dürfte ein wesentlicher Ertrag von K.s lesenswerter Arbeit darin liegen, Husserls Philosophie in den Rahmen älterer voluntaristischer Konzepte seit Kant gestellt zu haben. Auch die vielfachen und wechselseitigen Beziehungen Husserls zu seinem bedeutendsten Schüler Heidegger werden sehr klar. Es wird auch deutlich, daß die Wendung zur existentiellen Praxis als Leitkonzept von Philosophie nicht etwa ein Ausweichen vor den theoretischen Anforderungen darstellt, sondern eine Bedingung für deren Erfüllung ist. Theologisch kann gefragt werden, ob nicht die in Hamartiologie und Soteriologie reflektierte Einsicht in die Selbstverfehlung und mögliche Erlösung des Daseins von dieser Selbstverfehlung in existentiell relevanter Weise seit jeher Einsichten thematisiert, um die philosophisch, wie K.s Arbeit in bezug auf Husserl deutlich macht, hart und letztlich vergeblich gerungen wird.