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Ausgabe:

Mai/1997

Spalte:

470–472

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Lorenz, Sönke, u. Dieter R. Bauer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Hexenverfolgung. Beiträge zur Forschung –­ unter besonderer Berücksichtigung des südwestdeutschen Raumes.

Verlag:

Würzburg: Königshausen und Neumann1995. 434 S. gr.8° = Quellen und Forschungen zur europäischen Ethnologie, 15. Kart. DM 98,­. ISBN 3-88479-820-0.

Rezensent:

Barbara Hoffmann

Der hier vorgestellte Band faßt überwiegend Beiträge einer Tagung zur Hexenforschung aus dem Jahre 1986 zusammen. So muß denn auch, wenn in den Texten von ’neuester Forschung’ und ’neuesten Ansätzen’ gesprochen wird, vom Stand 1986 ausgegangen werden, es wird sogar vereinzelt Bezug genommen auf die Forschungsliteratur vor dem ersten Weltkrieg, ohne deren Fragestellungen kritisch zu beleuchten. Einige Autoren referieren aus einem 1986 bereits bekannten Forschungsspektrum (Erik Midelfort, Sönke Lorenz, Hartmut Lehmann, Dieter Harmening), andere publizierten zwischen der Tagung und dem Erscheinen des Bandes bereits aktuellere Forschungen (Ingrid Ahrendt-Schulte, Wolfgang Behringer, Andreas Blauert, Gerd Schwerhoff). Daß die Beiträge "ihren Stellenwert behalten" haben, wie die Hgg. im Vorwort betonen, ist also nur bedingt richtig. Der Reiz des Bandes liegt darin, daß er ein Moment in der Entwicklung der Hexenforschung dokumentiert, das von den Überblicksdarstellungen und globalen Thesen weg zu differenzierteren Fragestellungen und Detailstudien führte. So stehen denn auch traditionelle Darstellungen ohne erkennbare Fragestellung und globale Erklärungsansätze Quellenstudien gegenüber (zumeist Dissertationsvorhaben), die lokal oder regional begrenzt neue Fragen stellen.

Zwei Autoren befassen sich mit der Begriffsgeschichte (Claude Lecouteux) und dem normativen dämonologischen Diskurs (Dieter Harmening). Bei aller Detailkenntnis lassen sie doch eine dem heutigen Forschungsstand entsprechende kritische Haltung gegenüber dem zeitgenössischen normativen Diskurs vermissen. Die Lokal- und Regionalstudien legen den Schwerpunkt dagegen auf die Vielfalt der sozialen Wirklichkeit der Zauberei- und Hexenprozesse vom 15. bis zum 17. Jh. in der Schweiz (Andreas Blauert), im österreichischen Rottenburg (Karl Kempf), in Württemberg (Anita Raith) und Bayern (Behringer), in der lippischen Stadt Horn (Ahrendt-Schulte) sowie in den Reichsstädten Esslingen (Gisela Vöhringer-Rubröder) und Schwäbisch Gmünd (Klaus Graf). Die Ansätze dieser Beiträge reichen von der rechtsgeschichtlichen Aufarbeitung (Übernahme der Stereotype der mittelalterlichen Ketzerprozesse oder der Einfluß überlokaler Instanzen auf lokale Vorgänge) über die traditionelle sozialgeschichtliche Analyse (Quantifizierung und Korrelationsanalysen, Herausarbeiten personaler Netze zwischen Verfolgern und angeklagten Personen) zu politikgeschichtlichen Fragen (Ausbau herrschaftlicher Macht und Konkurrenz zu Nachbarterritorien). Der Beitrag über die Zaubereiprozesse in Horn überzeugt durch Multiperspektivität. Methoden der historischen Anthropologie und der Geschlechtergeschichte werden ebenso eingesetzt wie sozialanthropologische Ansätze.

Insgesamt entfalten die Regional- und Lokalstudien ein breites Spektrum von Erscheinungsformen der Verfolgung von Zauberei und belegen vielfältig, daß diese im Zusammenhang mit unterschiedlich sensiblen Bereichen der frühmodernen Gesellschaft standen: mit herrschaftlichen Unsicherheiten (Räume mit schwieriger Herrschaftslage, kleine Staaten, exemte Territorien), juristischen Neuerungen (Verschriftlichung und Professionalisierung des Rechtswesens, Herausbildung landesherrlicher Gerichte) sowie mit sozialen (nachbarschaftliche Konflikte) und wirtschaftlichen Problemen (Mißernten und darauf folgende Teuerungen).

Die Konfrontation der Konfessionen wird als Ursache dagegen ebenso eindeutig widerlegt wie die stärkere Verantwortung einer der Kirchen. Diese Erklärungsansätze des Phänomens ’Hexenverfolgung’ sind (und waren 1986) eher in der Lage, die Diskussion weiter zu bringen, als eine Konstruktion möglicher Ursachen für den ’Hexenwahn’ unter dem allgemeinen mentalitätsgeschichtlichen Fokus ’Krise’ (Lehmann) oder der Erklärung als ’Zusammenprall der gelehrten und der volkstümlichen Kultur’ (Midelfort).

Sönke Lorenz zeigt an dem Frankfurter Juristen Johann Fichard exemplarisch einen personalen Grund für die Begrenzung des Prozeßaufkommens auf. In einem zweiten Beitrag befaßt er sich allgemein mit der Tätigkeit der Tübinger Juristenfakultät (mit 40 Seiten lateinischem Quellenanhang!).

Schließlich enthält der Band zwei Beiträge, die thematisch für sich stehen. Inge Schöck relativiert die These, Hexenverfolgung sei ein Phänomen der ’Prämoderne’, dem die Aufklärung den Boden entzog: Sie zeigt auf, daß die Auseinandersetzung mit Zauberei und Magie ebenso wie die Instrumentalisierung des Ausgrenzungstopos ’Hexe’ auch in ’aufgeklärter Zeit’ ihre Gültigkeit behielten. Gerd Schwerhoff führte in seinem Tagungsbeitrag 1986 eine der ersten öffentlichen Auseinandersetzungen mit dem damals breit rezipierten und diskutierten Buch von Heinsohn/Steiger. Während die im Band referierten Forschungsüberblicke (z. B. Midelfort/Behringer) den Stand von 1986 wiedergeben und die aufgeworfenen ’neuen’ Fragen von der Hexenforschung inzwischen längst aufgegriffen wurden, ist Schwerhoffs Argumentation immer noch wichtig, nicht nur aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht, sondern auch deshalb, weil die zahlreichen kritischen Rezensionen zu diesem Buch dessen Faszination für wissenschaftliche Laien nicht zu relativieren vermochten.

Die Ankündigung der Hgg., daß durch Impulse aus der "Frauengeschichte" die "weitgehende Geschichtslosigkeit der Frau" überwunden würde, wird nicht eingelöst. In der Aufzählung der Wissenschaftsbereiche, die sich "heute" (1995 oder 1986?) mit der Hexenverfolgung befassen, kommt die Frauen- und Geschlechtergeschichte nicht vor. Nur ein Beitrag stellt explizit die Frage nach den Interessen und Motiven der Frauen im Zusammenhang mit den Hexenprozessen (Ahrendt-Schulte). Ansonsten erscheinen die zahlreich erwähnten angeklagten und verurteilten Frauen als Objekte institutioneller oder persönlicher Interessen.

Trotz des erheblichen zeitlichen Abstands zwischen der zugrundeliegenden Tagung und dem Erscheinen des Bandes wird von den Hgg. leider kein Versuch unternommen, zwischen den Beiträgen und dem Forschungsstand von 1996 zu vermitteln. Hier hätte man sich ­ gerade wegen des ausdrücklichen Bezugs auf den Arbeitskreis Hexenforschung ­ einleitend eine Einordnung in die in der Zwischenzeit entstandene Forschungslandschaft gewünscht.

Neben der Auswahlliste der im Band zitierten Literatur (die meisten Titel werden ohnehin mehrfach in den Anmerkungen genannt) wäre der Hinweis auf eine aktuelle Bibliographie (etwa Schwerhoff in GWU 1995) eine wichtige Ergänzung gewesen. Wegen der regionalen, methodischen und interpretatorischen Vielfalt ist der Band als erster Überblick über eines der populärsten und umstrittensten Themen der Geschichte dennoch zu empfehlen.