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Ausgabe:

Mai/1997

Spalte:

464 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Roll, Susan K.

Titel/Untertitel:

Toward The Origins of Christmas.

Verlag:

Kampen: Kok Pharos 1995. 296 S. gr.8° = Liturgia condenda, 5. Kart. £ 65.­. ISBN 90-390-0531-1.

Rezensent:

Hans Georg Thümmel

Susan Roll rahmt ihre historische Untersuchung über die Entstehung des Weihnachtsfestes mit zwei pastoralen Kapiteln. Es geht nicht nur darum, die Quellen erneut aufzuarbeiten und die reichhaltige Literatur kritisch zu diskutieren, sondern letztlich um Strukturen, Motivation und Sinn von Feiern überhaupt und besonders in unserer Zeit.

Zur Entstehung des Weihnachtsfestes gibt es im wesentlichen zwei Theorien (Kap. 2-3). Die Berechnungshypothese geht von den verschiedenen Versuchen aus, das Geburtsdatum Christi zu bestimmen, wobei freilich dies noch nicht auf ein Fest bezogen zu sein braucht. Die "apologetisch-religionsgeschichtliche Hypothese" versucht, das Weihnachtsfest in irgendeiner Weise an das vorgegebene Fest eines Kultes, besonders des Sonnenkultes, anzuschließen. Beide Theorien schließen sich nicht aus, insofern auch in der Berechnungshypothese der Bezug auf die Sonne eine Rolle spielt und bereits vor der Existenz eines Festes das Winter-Solstitium (25. 12.) als Geburtsdatum theologische Begründung erfährt (AT-Exegese; Zahlensymbolik; Korrespondenz von Johannes dem T. und Christus, Empfängnis ­ Passion [Ex 34, 25 f.], Erschaffung der Sonne am 4. Tag und Geburt Christi etc.).

R. geht von den verschiedenen Arten der Kalenderberechnung aus, wobei all die komplizierten Probleme von lunarem und solarem Kalender, Jahresteilung, Monatsberechnung etc. zur Sprache kommen. Die Probleme, Äquivalente für Daten wie etwa den 14. Nisan im Julianischen Kalender zu finden, örtliche und allgemeine Kalender ineinander umzurechnen, oder überhaupt nur zu bestimmen, welchem kalendarischen System eine zufällige Datumsangabe angehört, sind groß. Schon ihre Aufarbeitung erweist eine Reihe von (naiven) älteren Datumsbestimmungen als überholt.

Das Ergebnis, das die Diskussion des patristischen Befundes und die sehr ausführliche Darstellung der Forschungsgeschichte bis zur Gegenwart mit all ihren Einzelaussagen zeitigt, liegt nicht so weit ab von dem, was sich bereits bei B. Botte 1932 findet: Weihnachten und Epiphanias erscheinen im frühen 4. Jh., Weihnachten im Osten, Epiphanias im Westen. Der Bezug auf die Sonne und ihre astronomischen Fixpunkte schafft Parallelen zu Heidnischem, ohne daß direkte Abhängigkeit vorliegt. Erst gegen Ende des Jh.s setzt sich im Osten die Feier von Weihnachten am 25. 12. durch, wobei sich der Festinhalt des 6. 1. auf die Taufe Christi verschiebt. Wenn dieses Ergebnis nicht deutlicher herauskommt, liegt das am Ziel des Buches. Die Auseinandersetzung mit den beiden Hypothesen soll nur die Bahn für anderes freimachen.

In einem weiteren Gang (Kap. 4) wird die Funktion untersucht, die das Weihnachtsfest als Begründung und Durchsetzung von Orthodoxie haben könnte. Roll beschreibt vor allem den dogmatisch-polemischen Inhalt von Weihnachtspredigten. Als Gegner sind Donatisten, Arianer und Nestorianer ins Auge gefaßt.

Freilich sind die dogmengeschichtlichen Kategorien Klischees und aus Handbüchern und Lexikonartikeln gewonnen, was oft zu kaum zutreffenden Einordnungen führt. (Von den "Arianern" z. B. hat sie den weitesten Begriff, und sie erscheinen als diejenigen, die der klassisch-griechischen philosophischen Tradition verhaftet sind.) Roll glaubt, zwei Wellen bei der Einführung des Weihnachtsfestes am 25. 12. im Osten erkennen zu können. Die eine geht auf die Initiative der Kappadokier und des Johannes Chrysostomos zurück und fällt mit dem Konstantinopolitanum 381 zusammen, die andere richtet sich gegen die Nestorianer und folgt dem Ephesinum 431. Freilich ist auch die Ambivalenz gesehen: Auch die Arianer hätten Weihnachten für ihren dogmatischen Standpunkt in Anspruch nehmen können (z. B. 233).

Eingestreut sind Bemerkungen, Beobachtungen und Erwägungen, die von der Sexualität Marias bis zum Treibhauseffekt reichen (218-220). Die Vielfalt der Materialien macht es auch hier oft schwer, den roten Faden zu finden.

Das Resultat umfangreichster historischer Untersuchung (Kap. 2-4) ist die Einsicht, daß die Quellen keine sicheren Aussagen erlauben. "We don’t know when Christmas started. We don’t know who, individually or collectivly, started it. We don’t know exactly where or why, or how they got the date, though our guesses are probably not too far from the mark." (223).

Den Rahmen (Kap. 1 und 5) und die eigentliche Zielsetzung des Buches bilden Untersuchungen und Erwägungen über Weihnachten heute, in die die geschichtliche Erfahrung der Kirche eingebracht werden soll. Freilich geschieht dies oft in negativer, abgrenzender Weise. Die ganze Fülle gegenwärtiger Probleme und pastoraler Gesichtspunkte wird hier ausgebreitet. Schon allein der Vergleich der Weihnachtsfeier in den Gesellschaften der USA und Belgiens macht die sehr verschiedene Wertigkeit und andersartige Gestaltung deutlich. Anderes ist angeschlossen, wie die Beobachtung, daß alle Metaphorik von Licht und Wärme nur in der nördlichen Hemisphäre sinnvoll ist, sich aber in der Weise durchgesetzt hat, daß etwa in Rio de Janeiro bei 35°C Weihnachtskarten mit verschneiten Dörfern verkauft werden. All die möglichen und realen Gefühle, die persönlichen und kollektiven Assoziationen in der Festpraxis, die säkulare (vor allem kommerzielle) Strukturierung und Sinngebung von Weihnachten werden (mit viel feministischem Aufbegehren) artikuliert. In breiter Weise ist hier zum Ausdruck gebracht, was offensichtlich und was unterschwellig Weihnachten für eine Gesellschaft bedeutet, in der das Fest sich weitgehend von der Kirche und ihrer Verkündigung gelöst und Eigenleben gewonnen hat. Mit tiefem Verständnis für die Liturgie (und scharfer Kritik ihres Mißbrauchs) zeigt Roll deren Kongruenz mit menschlichen Bedürfnissen auf.

Da keine Kirche außerhalb ihrer unmittelbaren Umgebung existiert, kann es nur darum gehen, all das Vorhandene positiv aufzunehmen. Gegen das jährliche Lamentieren über den Verlust des wahren Sinnes von Weihnachten plädiert Roll für eine radikale Offenheit für Gott, die allen Anstrengungen, ein eindrückliches Weihnachten produzieren zu müssen, widerspricht und zu dem zentralen Sinn von Inkarnation führt, zur "perception of God living alongside humans in the world" (267).