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Ausgabe:

Mai/1997

Spalte:

462 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Marjanen, Antti

Titel/Untertitel:

The Woman Jesus Loved. Mary Magdalene in the Nag Hammadi Library and Related Documents.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1996. XI, 261S. gr.8° = Nag Hammadi and Manichaean Studies, 40. Lw. hfl 136.­. ISBN 90-04-10658-8.

Rezensent:

Gesine Schenke-Robinson

Mit der vorliegenden Arbeit, einer leicht revidierten, im Januar 1996 von der Theologischen Fakultät der Universität Helsinki angenommenen Dissertation, hat M. ein in mehrfacher Hinsicht beeindruckendes und grundlegendes Werk unterbreitet, das dem vielschichtigen Thema der Rolle und Bedeutung Maria Magdalenas im frühen Christentum verpflichtet ist. Mit scharfsinniger Gelehrsamkeit und philologischem Geschick untersucht er die uns heute zugänglichen gnostischen Texte der ersten drei Jahrhunderte, in denen sich Maria Magdalena-Traditionen widerspiegeln, und macht sie für die fortlaufende exegetische, theologische und soziologische Diskussion fruchtbar.

Nach einem kurzen forschungsgeschichtlichen Überblick (1-31) werden kapitelweise die einschlägigen Passagen im Thomasevangelium (32-55), in der Sophia Jesu Christi (56-74), im Dialog des Erlösers (75-93), im Evangelium der Maria (94-121), in der Ersten Apokalypse des Jakobus (122-146), im Philippusevangelium (147-169), in der Pistis Sophia (170-188), in den von Epiphanius bezeugten Großen Fragen der Maria (189-202) sowie in dem Manichäischen Psalmbuch (203-215) analysiert. Nichtgnostische außerkanonische Schriften, wie etwa die Philippusakten, werden mit einbezogen, sofern sie die Maria-Traditionen gnostischer Quellen zu erhellen oder auszuweiten vermögen. Einer Zusammenfassung der Ergebnisse (216-225) schließen sich Literaturverzeichnis (226-247) und Indices (247-261) an.

Als informativ und hilfreich für den Benutzer werden sich die jeder Textanalyse vorangestellten Einleitungsfragen erweisen, die Auskunft über Art, Alter und Herkunft des jeweiligen Textes geben. Die sorgfältigen Lesungen und teilweisen Rekonstruktionen des koptischen Textes sowie die detaillierten Analysen und umsichtigen Interpretationen der jeweiligen Textstellen,verraten ein außerordentliches textkritisches und exegetisches Gespür. Die wohlbegründeten und verständlich präsentierten Ergebnisse zeigen ein differenziertes und nuanciertes Bild, das nicht nur die überkommene Tradition von Maria Magdalena als der bußfertigen Sünderin (die Texte wissen nichts von einer solchen Identifikation) korrigiert, sondern geeignet ist, in die gegenwärtigen Bemühungen um eine alternative Maria Magdalena-Tradition relativierend und modifizierend einzugreifen.

M. gelingt es aufzuzeigen, daß die gnostischen Texte kein einheitliches Maria-Bild zeichnen, das leichthin gegen die orthodoxe Tradition ausgespielt werden könnte. Vielmehr muß jedes einzelne Dokument für sich betrachtet und nach Genre, Gehalt, Sprache, Symbolik etc. befragt werden; auch sind die entscheidenden Passagen in ihrem jeweiligen Kontext zu beurteilen. Welche Rolle und Bedeutung Maria in einem Text zukommt, hängt nicht zuletzt davon ab, wie andere (weibliche und männliche) Nachfolger Jesu in derselben Schrift gezeichnet und beurteilt werden. So kann Maria durchaus zugleich eine dominante Rolle spielen und dennoch nicht als Vermittlerin oder Garantin der Überlieferung der Lehren Jesu gelten. Auch machen die Texte deutlich, daß sich Auseinandersetzungen mit den verschiedenen Traditionen nicht nur gegenüber der Orthodoxie, sondern vielfach innerhalb der christlich-gnostischen Gemeinden abspielten.

Obgleich Maria zumeist bemerkenswert positiv gezeichnet ist, warnt M. zu Recht davor, diesen Schriften kurzschlüssig eine allgemein positive Haltung gegenüber Frauen und ihrer Rolle in den Gemeinden, in denen diese Texte entstanden und benutzt wurden, zu entnehmen, und sie vorschnell für die feministische Befreiungstheologie zu vereinnahmen. Wo Maria gleichberechtigt ihren Platz einnimmt unter den Jüngern Jesu oder gar eine so previligierte Stellung innehat, daß sie die Eifersucht (besonders von Petrus) auf sich zieht, wird doch zugleich eine Sprache verwendet, die alles Weibliche mit herkömmlich negativer Symbolik belegt.

In einzelnen Fällen hängt die Beurteilung Maria Magdalenas in besonderer Weise von der jeweils gewählten Textauffassung ab. Im Falle von 1ApcJac hängt M.s Verständnis ihrer speziellen Rolle lediglich an einem Verb (40, 24), das er gegen alle anderen Forscher ­ und zwar mit vollem Recht ­ intransitiv deutet; in EvMar entscheidet er sich, an einer schwierigen Stelle (18, 17) zwar, wiederum mit Recht, gegen den Versuch von Till/ Schenke, für die Lesung von Pasquier und Wilson/MacRae, kommt aber (wie diese) zu einer eher tautologischen Übersetzung, weil er Schenkes Neu-Deutung dieser Lesung nicht berücksichtigt (vgl. Carl Schmidt und der Papyrus Berolinensis 8502, in: P. Nagel (ed.), Carl-Schmidt-Kolloquium an der Martin-Luther-Universität 1988, Halle1990, 85 f.); im Falle von EvPhil kann M. Marias herausragende Rolle nur aus einem Spruch (64,6-9) herleiten, dessen Zuordnung zum Vorhergehenden von der neuesten Forschung mit Recht angezweifelt wird. Doch hat er mit seiner umfassenden Untersuchung, seiner so peinlich genauen Textanalyse und seiner detaillierten Interpretation ein Werk vorgelegt, das grundlegend sein wird für alle weiteren Diskussionen hinsichtlich der Rolle und Bedeutung Maria Magdalenas sowie für jeden zuküftigen Versuch, die Geschichte des Frühchristentums zu rekonstruieren.