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Ausgabe:

Mai/1997

Spalte:

460–462

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Menzies, Glen W. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Joseph’s Bible Notes (Hypomnestikon): Introduction, Translation, and Notes by Robert M. Grant, Greek Text

Verlag:

Atlanta: Scholars Press 1996. XI, 372 S. 8° = Society of Biblical Literature. Text and Translations, 41. Early Christian Series, 9. Lw. $ 44.95. ISBN 0-7885-0195-X.

Rezensent:

Karl-Wilhelm Niebuhr

Bei dem hier vorgelegten Text handelt es sich weder um ein Werk des hellenistisch-jüdischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus noch um die unter dem Namen "Hegesipp" überlieferte freie lat. Paraphrase seines Bellum Iudaicum (die wiederum nichts mit dem gleichnamigen Verfasser der bei Euseb fragmentarisch erhaltenen christlich-antihäretischen Hypomnemata zu tun hat) noch auch um die ma. hebr. Darstellung der jüdischen Geschichte des "Josippon" (die ihrerseits u. a. aus den Antiquitates des Josephus schöpft), sondern um ein byzantinisches Sammelwerk aus dem 4./5. Jh., das gelegentlich unter dem Namen "Josephus Christianus" kursiert. Der engl. Titel "Joseph’s Bible Notes" geht auf den handschriftlich überlieferten Titel zurück (Hypomnestikon biblion Joseppu), wobei unsicher bleibt, ob der Name den Autor oder seine Quelle bezeichnen soll. Im letzten Fall wäre dann wiederum Flavius Josephus gemeint, dessen Schriften unser Werk offenbar benutzt.

Die "Introduction" (1-34) informiert zunächst über Titel und Textüberlieferung:

Die einzige erhaltene Handschrift (Cambr. Univ. Libr. Codex Ff. I.24) stammt aus dem 10. Jh. Sie enthält (neben 1/2Chr und ma. religiösen Dichtungen) auch die TestXII in ihrer wohl besten griech. Textgestalt (= MS b nach Charles). Daneben gibt es nur einige Auszüge in ma. Katenen, die freilich eine vom MS Cambr. unabhängige Textüberlieferung bezeugen. Die Erstedition erfolgte 1723 durch J. A. Fabricius (nach ihr eine dt. Übers. 1742), eine zweite durch G. B. Gallicciolli, deren Text in Migne, PG 106, übernommen wurde.

Der Text der genannten Handschrift wird diplomatisch genau abgedruckt, gelegentlich mit markierten Emendationen (35-349). Differenzen zu den früheren Druckausgaben und Begründungen für die Emendationen erscheinen im Apparat. Die engl. Übersetzung ist durch Zwischenüberschriften der Hgg. gegliedert und z.T. nach den jeweils identifizierbaren Quellen typographisch differenziert (Quellennachweise in Klammern im Übersetzungstext). Nur gelegentlich werden einleitende oder rückblickende Kommentierungen geboten. Die Anmerkungen zur Übersetzung diskutieren Textvarianten, antike Parallelen und moderne Interpretationen. Bibliographie (351-360) und Register (361-372, Namen und Themen, ausgewählte griech. Stichwörter, Quelleneditionen, aber keine Stellen) beschließen den Band.

Als Quellen werden außer der griechischen Bibel und den Werken des Josephus eine Reihe von Kirchenväterschriften erkennbar, vor allem Eusebs Kirchengeschichte und die Epitome des (Ps)Epiphanius (offenbar aber nicht das Panarion selbst). Benutzung pagan-griech. Literatur ist nur ganz spärlich nachweisbar (Porphyrius, Herakleides). Auch außerbiblische frühjüdische Schriften sind nirgends erkennbar benutzt. Mit inneren Argumenten (Erwähnung der "Anthropomorphiten", Hinweise auf die Regierungszeit Julians) datieren die Hgg. das Werk auf das späte 4. bzw. frühe 5. Jh. und weisen es einem Verfasser aus Alexandria zu.

Das Werk ist äußerlich nach dem Schema von Frage und Antwort aufgebaut. Die Antworten sind formal vielfältig (reine Namenslisten, Aufzählungen mit kurzen Szenarien, Erläuterungen oder Begründungen, paraphrasierende Zusammenfassungen bzw. Nacherzählungen biblischer Texte). Diese literarische Gestalt verdankt sich einerseits dem Chronikon des Hippolyt (Listen), reflektiert aber darüber hinaus in den Stoffen und der Form der Quaestiones "’Alexandrian’ scholarship" (13), d. h., ein Gelehrtentum der Sammlung, Überlieferung und Interpretation von Traditionsgut, das den christlichen mit dem jüdisch-hellenistischen und dem paganen "Schulbetrieb" der hellenistisch-römischen Antike verbindet.

Die Stoffe und Themen betreffen weit überwiegend das AT und die Geschichte Israels. Aber auch ntl. oder kirchengeschichtliche Gegenstände werden verarbeitet und bruchlos an die atl. angehängt, manchmal abgesetzt durch eine kleine Zäsur (z. B.: "und beim Kommen des Heilands", oder "und im Neuen"). Gegen Ende des Werkes überwiegen Themen aus dem NT und der Kirchengeschichte. Eine literarkritische Scheidung in ein jüdisches Original und christliche Redaktion oder Interpolationen wird von den Hgg. als undurchführbar und wenig sinnvoll angesehen (27 f.).

Überblickt man die behandelten Fragen, Themen und Stoffe zur Bibel, so wird deutlich, daß die Antworten in aller Regel mit dem Material auskommen, das die Bibel selbst bietet. Außerbiblische Auslegungstraditionen sucht man vergeblich. Die Benutzung des Josephus bestätigt als Ausnahme diese Regel. Interessant ist immerhin die zweimalige Erwähnung des Martyriums Jesajas unter Manasse (47,5; 75,5), von dem bekanntlich weder die Bibel noch Josephus berichten, wohl aber frühjüdische und frühchristliche Schriften (VitProph; AscJes; ParJer; Justin; Tertullian), was der Verfasser des Hypomnestikon jeweils ausdrücklich vermerkt.

Hinsichtlich der Funktion des Werkes betonen die Hgg. den Aspekt ethisch-moralischer Belehrung ("biblical examples for moral teaching", 14), halten aber auch den Gebrauch zur einführenden Belehrung von Diakonen über die Schrift für möglich (15). Der bibelkundliche Charakter ist in der Tat zentral. Ketzerabwehr steht ebenso wenig im Mittelpunkt wie theologisch-dogmatische Debatten. Reiz und Wert des Werkes liegen darin, daß es ­ fernab vom Niveau der geistigen Größen seiner Zeit ­ ein Zeugnis für den lebhaften Umgang mit der Bibel, vor allem mit dem Alten Testament, im frühen Christentum bietet.