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Ausgabe:

Mai/1997

Spalte:

459 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Harrill, J. Albert

Titel/Untertitel:

The Manumission of Slaves in Early Christianity.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1995. XVII, 255 S. gr.8° = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 32. Lw. DM 148,­. ISBN 3-16-146285-8.

Rezensent:

Dieter Lührmann

Anzuzeigen ist eine sehr gelungene Arbeit. Ursprünglich eine Dissertation in Chicago bei Hans Dieter Betz, konzentriert sie sich auf zwei knappe Stellen, 1Kor 7,21 und Ignatius, Pol. 4,3, führt aber in weite Bereiche der antiken Sklaverei. Die Methode ist durchgehend die der Sozialgeschichte in einer vor allem an dem amerikanischen Althistoriker Moses I. Finley geschulten Form. An beide Stellen nicht primär mit rechtsgeschichtlichen Fragestellungen heranzugehen, mag zwar zunächst verwundern, erweist sich aber als überaus sinnvoll, da Rechtstexte nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprechen müssen.

Umstritten ist ja vor allem, was Paulus in 1Kor 7,21 im Sinn hat, die Chance einer möglichen Freilassung auch zu ergreifen oder im Gegenteil, Sklave zu bleiben. Minder relevant mag die Interpretation der nicht kanonischen Ignatius-Stelle erscheinen, ob Sklaven auf Freikauf auf Gemeindekosten hoffen dürfen, doch handelt es sich hier möglicherweise um eine der frühesten Aufnahmen des Paulus-Textes. Harrill plädiert mit guten Gründen dafür, daß Paulus dazu ermuntert, angebotene Freiheit auch anzunehmen, und daß es Ignatius nicht generell um die Frage der Sklavenfreilassung geht, er vielmehr vermeiden möchte, daß christliche Gemeinden über der Frage der Sklaverei ihre innere Stabilität verlieren. Jedem der beiden Texte ist ein Kapitel gewidmet (2 und 4), vorgeschaltet (1 und 3) sind jeweils umfassendere Kapitel zur Sklaverei in der antiken Welt sowie zur Gemeinschaftskasse von antiken Vereinigungen, aus der dann auch Sklaven (frei-)gekauft werden können.

Kap. 1 (11-67) behandelt unter dem anspruchsvollen Titel "Slavery in the Ancient World" die grundlegenden Fragen der Begrifflichkeit, der Quellen, der Rekrutierung der Sklaven, ihres Anteils an der Gesellschaft, der Regelung von Freilassungen. Das ist natürlich weithin aus der Sekundärliteratur gearbeitet, aber in durchaus eigener Aneignung mit vielen wichtigen Akzenten. Das gilt vor allem für den wichtigen Exkurs über jüdische Freigelassene (56-67), in dem mit aller Vorsicht das relevante Textmaterial (archäologisch wie literarisch) dargestellt und diskutiert wird.

Kap. 2 (68-128) ist dann der Interpretation von 1Kor 7,21 gewidmet. Auf eine knappe Darstellung des antiken Korinth folgt ein ausführlicher Überblick über die Forschungsgeschichte (74-108), in dem natürlich Einzelprobleme schon mitdiskutiert werden. Die Auseinandersetzung konzentriert sich mit Recht auf die einflußreiche Dissertation von S. Scott Bartchy (1973), deren Ergebnisse auch in der deutschsprachigen Forschung Beachtung gefunden haben; von strikt rechtsgeschichtlichen Erwägungen her hatte er ausgeschlossen, daß Sklaven überhaupt die Wahl gehabt hätten, eine Freilassung auszuschlagen, und hatte als in 1Kor 7,21 zu ergänzendes Objekt "Gottes Berufung" gesehen, nicht Freiheit oder Sklaverei.

Demgegenüber stellt H. nun 17 mit Hilfe der CD-ROM des Thesaurus Linguae Graecae erhobener Texte zusammen, in denen in vergleichbarer Weise die griechischen Wörter mallon und chraomai verbunden sind. Bei der Mehrzahl von ihnen, vierzehn, markiere mallon den Gegensatz zwischen zwei Möglichkeiten, nur bei dreien intensiviere es einen Vordersatz. Für 1Kor 7,21 schließt H. daraus, daß die abgekürzte Wendung einen Gegensatz zum Bleiben in der Sklaverei bezeichne, Paulus damit also zur Annahme des Angebots ermuntere. So schön es wäre, endlich eine eindeutige Interpretation zu haben und so wichtig die vorgelegte Argumentation ist und nicht minder die Kontextanalyse, scheint mir doch die hier vertretene Folgerung nicht zwingend. Es bleibt m. E. immer noch die Möglichkeit, den Gegensatz in der Ablehnung des Angebots zu sehen.

Kap. 3 (129-157) behandelt zur Vorbereitung des Ignatius-Textes den Umgang mit Finanzen und mit Sklaven in antiken (religiösen) Vereinigungen. Wichtig ist hier besonders die Einführung eines erst 1986 veröffentlichten lateinischen Textes über die Freilassung von öffentlichen Sklaven.

Dementsprechend versteht H. in Kap. 4 (158-192) Ignatius in der Weise, daß er sich nicht generell gegen private Freilassung äußert, sondern gegen Mißbrauch der Freilassung auf Kosten von Hausgemeinden. Erneut geht H. hier breit angelegt vergleichbaren Phänomenen auch in jüdischen Gemeinden nach. Ob der Schlüssel letztlich in Ignatius’ Anspruch des monarchischen Episkopats liegt, mag dabei offen bleiben.

Insgesamt liegt also, trotz Differenz in den Ergebnissen, eine Arbeit vor, die überzeugend die Möglichkeiten des Zusammenspiels von Textanalyse und Sozialgeschichte aufzeigt. Die häufigen erklärenden Hinweise auf die Sklaverei in den Südstaaten der USA öffnen den Blick für den soziohistorischen Kontext von Auslegung ­ es ist eben etwas anderes, ob ein Text wie 1Kor 7,21 argumentative Funktion in der Frage der Sklavenbefreiung gehabt hat oder im deutschen Zusammenhang der protestantischen Ständelehre gelesen wurde, wo die Übersetzung, von doulos mit "Knecht" statt Sklave ihn auf andere gesellschaftliche Strukturen bezog. So oder so wirken an sich vergangene Fragestellungen weiter.