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Ausgabe:

Mai/1997

Spalte:

456 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

De Conick, April D.

Titel/Untertitel:

Seek to See Him. Ascent and Vision Mysticism in the Gospel of Thomas.

Verlag:

Leiden-New York-Köln:1996. 211 S. gr.8° = Vigiliae Christianae Text and Studies of Early Christian Life and Language, 33. Lw. $ 80.75. ISBN 90-04-10401-1.

Rezensent:

Michael Fieger

Die Vfn. zeigt in ihrer wertvollen Monographie die Affinität einiger Logien (Log) aus dem Thomasevangelium (ThEv) zu der esoterischen Tradition der frühjüdischen Mystik. In diesen Log geht es nach der Vfn. letztlich um das Wiederfinden der Gottebenbildlichkeit des Menschen, die durch den Sündenfall verlorenging. Ziel des Aufstiegs ist die Visio Dei, die eigentlich zusammenfällt mit der Wiedervereinigung mit dem himmlischen Selbst.

Im ersten Teil ihrer Dissertation stellt die Vfn. die Frage, ob das ThEv überhaupt ein gnostisches Evangelium sei. Ihre Antwort lautet: "Thomas is Mystical". Im zweiten Teil wird die Lehre vom Aufstieg an Hand des Log 50 näher untersucht. Den dritten Teil der Studie stellt die Analyse der Log 15, 83, 59, 27, 37 und 84 dar, die einen mystischen Charakter aufweisen. Die Vfn. interessieren besonders die "ascent and vision Logia". Schließlich wird im vierten Teil zusammenfassend sowohl der religionsgeschichtliche Hintergrund als auch die mystische Soteriologie des ThEv beleuchtet.

Die Vfn. setzt sich zu Beginn ihrer Studie mit der problematischen Frage auseinander, ob das Prädikat "gnostisch" für die 114 Log des ThEv insgesamt zutreffend sei:

"Because Thomas does not exhibit the developed mythologies of any particular Gnostic sect, numerous scholars have devoted much ink to the cause that Thomas ought to be associated with Gnosticism in general" (12). Für die Vfn. ist das ThEv kein gnostisches Evangelium, sondern das ThEv hat die Entwicklung gnostischer Traditionen beeinflußt. Das ThEv seinerseits ist von der frühjüdischen Mystik durchdrungen:

"It is apparent that during the Second Temple Period, an esoteric tendency was developing and manifesting itself within different varieties of Judaism including the Philonic corpus, the sectarian communities of the Therapeutae and Qumran, apocalyptic circles, and rabbinic teachings. This early Jewish mysticism filtered into Christianity, Gnosticism, and the Hekhalot literature, teaching that, after proper preparations, one could seek to ascend into heaven in order to gain heavenly knowledge and a transforming vision of the deity" (38).

Die Kunde vom Aufstieg in den Himmel wird in Log 50 des ThEv besonders deutlich:

"Jesus sagte: Wenn man zu euch sagt: Woher seid ihr gekommen?/Sagt zu ihnen: Wir sind aus dem Licht gekommen, dem Ort, an dem das Licht durch sich selbst entstanden ist. Es (stand) und es erschien in ihrem Bild./Wenn man zu euch sagt: Wer seid Ihr?/Sagt: Wir sind seine Söhne und wir sind die Auserwählten des lebendigen Vaters./Wenn man euch fragt: Was ist das Zeichen eures Vaters an euch?/Sagt zu ihnen: Bewegung ist es und Ruhe."

Der Vfn. zufolge reflektiert das Log 50 die Vorstellung, gemäß der die Seele bei ihrem Aufstieg in den Himmel Fragen zu beantworten hat. Eine Vorstellung, die auch in der frühjüdischen Mystik begegnet. Dem jüdischen Mystiker stellen Engel während des Aufstiegs Fragen. Sowohl die Erste Apokalypse des Johannes als auch die Apokalypse des Paulus, zwei gnostische Texte späteren Datums, lassen diese Vorstellung im Zusammenhang mit der Frage des Todes erkennen. Die in Log 50 gegebenen Antworten stellen eine merkwürdige Mischung aus hermetischen und jüdischen Traditionen dar. Die aus der hermetischen Tradition (Corpus Hermeticum) stammende Idee vom selbstgezeugten Gott wurde in Beziehung gesetzt mit dem jüdischen und hermetischen Glauben an das präexistente Licht.

Die Log 15, 83, 59, 27, 37 und 84 belegen die im ThEv vorkommende Vorstellung einer mystischen Schau. Gemäß der Log 15, 83 und 59 wird deutlich, daß die Mitglieder der Thomasgemeinde bemüht sind, den Vater oder seine Licht spendende Herrlichkeit (Kavod) zu schauen. Die Gemeindemitglieder erwarten nicht Gott direkt zu sehen, denn seine verborgene Herrlichkeit offenbart sich ihnen durch das aus ihm ausströmende Licht. Die verwandelnde Erfahrung der Schau Gottes vergöttlicht sie schließlich. Diese Verwandlung, die ein Aufstieg zu Gott bedeutet, ist eine ekstatische Erfahrung und keine Eschatologische. Diejenigen, die keine Mystiker sind, werden nicht Anteil haben am ewigen Leben. Die Log 27 und 37 bringen zum Ausdruck, daß aus der Visio Dei eine den Menschen transformierende Metamorphose resultiert. Die Ablehnung der Welt ist ein Erfordernis, um zu der erfolgreichen Erfahrung der Schau Gottes zu gelangen. Diese Art von Visio Dei, die abhängig ist von der Einhaltung der jüdischen Observanz und von einem ethischen Rigorismus, stammt aus der frühjüdischen Mystik. In Log 84 ist von der Begegnung mit dem himmlischen Selbst, dem eigenen Bild oder dem göttlichen Gegenstück die Rede, zu dem zurückgefunden werden muß. Diese möglicherweise sogar traumatische Erfahrung entspricht der Erfahrung der Schau Gottes.