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Ausgabe:

Mai/1997

Spalte:

447–449

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lohmeyer, Monika

Titel/Untertitel:

Der Apostelbegriff im Neuen Testament. Eine Untersuchung auf dem Hintergrund der synoptischen Aussendungsreden.

Verlag:

Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1995. XI, 472 S. 8o = Stuttgarter Biblische Beiträge, 29. Kart. DM 89,­. ISBN 3-460-00291-3.

Rezensent:

Wolfgang Kraus

Monika Lohmeyer geht in ihrer materialreichen Dissertation, die 1994 in Siegen angenommen wurde, erneut der Herkunft des ntl. Apostelbegriffes nach. Sie möchte nach dem "Ursprung der Bezeichnung und den Anfängen des Apostolats" fragen, "um von daher die Funktion der Apostel und die Größe ihres Kreises zu bestimmen" (8). Im zentralen Teil ihrer Arbeit nimmt sie Impulse aus der Forschung zur Aussendungsüberlieferung der Logienquelle auf und setzt diese in Bezug zur Frage nach der Herkunft des Apostolats. Hierdurch hofft L., einen Neuansatz zur Überwindung der von ihr diagnostizierten Stagnation in der gegenwärtigen Forschung zu erreichen.

Die Arbeit gliedert sich in sechs Hauptteile und ein kurzes Schlußkapitel, in welchem die wesentlichen Ergebnisse zusammengefaßt werden. Nach einer Einleitung, in der L. eine erste Skizze zur Forschungslage und Möglichkeiten für einen Neuansatz diskutiert, bietet Kap. 2 einen mit Bischof Lightfoot einsetzenden, breit angelegten Forschungsbericht (18-122). Große Anstrengung wird darauf verwendet, die Schaliach-Hypothese noch einmal zu hinterfragen. Darstellung und Kritik der verhandelten Positionen werden dabei jeweils zusammengenommen.

Kap. 3 bietet zunächst eine sprachliche Analyse des außerbiblischen Sprachgebrauchs der Begriffe apostolos, apostole, apostellein, pempein, was dann mit der ntl. Verwendung in Beziehung gesetzt wird (123-159). Der Vfn. geht es u.a. darum, die grundlegende Verbindung zwischen substantivischem und verbalem Gebrauch nachzuweisen. Die These, die durch aufwendige Untersuchungen mit Hilfe des Thesaurus Graecae Linguae erarbeitet wird, lautet: Der Apostelbegriff sei als Funktionsbegriff von der Semantik des Verbs her im Sinn von "Gesandter" zu bestimmen. Er bezeichne die Funktion einer Person und nicht einen bestimmten Personenkreis, er sei "kein spezifisch inhaltlich gefüllter Begriff" und zudem "nicht an bestimmte Kontexte wie den rechtlichen Bereich oder gar speziell an Schiffsexpeditionen gebunden" (Zitate, 15). Dies gelte für den außerbiblischen, sei aber auch kennzeichend für den biblischen Sprachgebrauch.

Das Ergebnis der sprachlichen Untersuchung wird in Kap. 4 mit den synoptischen Aussendungsreden in Beziehung gesetzt und in Kap. 5 mit dem übrigen Gesandtenverständnis der Logienquelle verglichen (160-293. 294-343). Auch wenn in der Aussendungsrede in Q anders als bei Mk der Begriff apostolos nicht begegnet, sondern nur in Lk 11,49(Q) für die Gottesboten bis zum Kommen Jesu gebraucht wird ­ also gerade nicht für die Jünger ­, möchte L. nachweisen, daß von der Sache her Sendungsauftrag und Apostelbegriff zusammengehören. Dies geht jedoch nur, wenn apostolos als allgemeine Gesandtenbezeichnung interpretiert wird.

Im sechsten Kapitel setzt L. das ’Apostelverständnis’, das sie für Q eruiert hat, in Beziehung zu dem der Synoptiker und des Paulus (344-435). Grundlage für die Darstellung des pln Verständnisses sind 1Kor 9 und 2Kor 10-13. Die sachlichen Parallelen zur synoptischen Aussendungsrede werden dabei herausgearbeitet. Die kreuzestheologische Signatur des Apostolatsbegriffs kommt jedoch zu kurz.

Abgesehen von Einzelfragen (etwa des historischen Anhalts einer Jüngeraussendung im Leben des irdischen Jesus, die L. bestreitet, o. ä.) enthält die Darstellung m. E. zwei grundlegende Probleme, und zwar (1) hinsichtlich des Apostelbegriffes selbst und (2) hinsichtlich ihrer Analysen zur Logienquelle.

Ad. 1: L. versucht in ihrer Arbeit wiederum eine einheitliche Ableitung für die unterschiedlichen ntl. Apostelbegriffe ­ jetzt zwar nicht mehr im Schaliach-lnstitut, dafür in der traditionellen Verbindung des Apostelbegriffs mit der Aussendungsrede, und zwar im Sinne eines Funktionsbegriffes. Die Möglichkeit einer jeweils eigenständigen Entwicklung der ntl. Apostolatsverständnisse wird also abgelehnt. L. sieht selbst, daß sie mit dieser Ableitung nicht erklären kann, wie in den nichtlukanischen Schriften die Beschränkung des Apostelbegriffs auf die Zwölf zustande kam (444). Doch der andere Problempunkt ist m. E. gewichtiger: Sie kann nicht zeigen, wie es schon sehr früh in Jerusalem zur Herausbildung eines durch die Auferstehungserscheinungen begründeten Apostolats gekommen ist. Dieser Jerusalemer Apostolat ist jedoch nach 1Kor 15,8-11 und Gal 1,17.19 notwendigerweise vorauszusetzen. (Wie kommt etwa der Herrenbruder Jakobus in die Liste der Apostel bei Paulus, wo er doch mit der Aussendungsrede in keinerlei Kontakt steht?) Die angezeigte Problematik rührt m. E.. aus L.s methodischem Ansatz, nämlich das ntl. Apostolatsverständnis erarbeiten zu wollen, ohne dem einzigen Fixpunkt, den uns das NT dazu bietet, genügend Platz einzuräumen, nämlich dem pln Apostolat. J. Roloff hatte in seinem TRE-Artikel (TRE 3, 430-445; bei L., soweit ich sehe, nirgends zitiert) aufgrund des bisherigen Forschungsverlaufs zwei methodische Forderungen aufgestellt, die noch immer Gültigkeit besitzen: a) "ein einheitliches urchristliches Verständnis des Apostolats [darf] nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden", b) "das paulinische Apostolatsverständnis [hat] den entscheidenden Fixpunkt jeder Untersuchung dieses Themas zu bilden". Zwar kommt das pln Apostolatsverständnis in L.s Arbeit zur Sprache (409-435), aber nur in eingeschränkter Weise, vor allem spielen die genannten Texte Gal 1 und lKor 15 in der vorliegenden Arbeit keine eigenständige Rolle.

Ad 2: Die interessante These von L. zum Apostolat in der Logienquelle ist ­ abgesehen von den terminologischen Problemen ­ auch sonst nicht unbelastet, da ihr Ausgangspunkt selbst mit weitgehenden Hypothesen befrachtet ist: Für eine literarkritisch rekonstruierte Rede der Logienquelle werden verschiedene Redaktionsstufen postuliert, die wiederum in Relation zu weitreichenden Interpretationsschlüssen hinsichtlich der Entwicklung des Apostolatsverständnisses stehen (vgl. etwa 246). Auf diese Weise entsteht ein Regelkreis. Dabei ist die Sicht L.s zur Entstehung dieser Quelle selbst nicht allseits überzeugend, denn sie setzt u. a. voraus, daß am Anfang des Urchristentums Gruppen existierten, die den Tod Jesu im Sinn einer ungebrochenen Fortführung bzw. "unmittelbaren Umsetzung" seiner Predigt vom nahen Gottesreich bewältigt hätten. Daß die Predigt Jesu vom Reich Gottes aufgenommen und fortgeführt wurde, zeigt in der Tat die Logienquelle, daß dies jedoch ohne einen entscheidend neuen Impuls nach Karfreitag geschehen sein könnte, halte ich für wenig plausibel.

Was läßt sich als Forschungsertrag festhalten? Man wird L. zustimmen, daß die direkte Ableitung des ntl. Apostolats aus einem jüdischen Schaliach-lnstitut nicht statthaft ist. Man wird auch zustimmen können, daß es sich beim Apostelbegriff primär um einen Funktionsbegriff handelt, bei dem der Vorgang des Sendens und nicht die rechtliche Stellung des Boten im Zentrum steht. L. hat auch m. R. auf die Bedeutung der Texte aus der Logienquelle zur Rekonstruktion des urchristlichen ’Apostolatsverständnisses’ hingewiesen. Daß hierin jedoch generell der Ausgangspunkt für den ntl. Apostolatsbegriff zu finden wäre, ist mit L.s Arbeit keineswegs erwiesen. Insofern hat L. durch ihre Dissertation keinesfalls den Hintergrund des ntl. Apostelbegriffes erarbeitet, sondern Ableitungsmöglichkeiten einer bestimmten Ausprägung zur Diskussion gestellt.