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Ausgabe:

Mai/1997

Spalte:

437 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Keller, Martin

Titel/Untertitel:

Untersuchungen zur deuteronomisch-deuteronomistischen Namenstheologie.

Verlag:

Weinheim: Beltz-Athenäum 1996. 235 S. gr.8° = Bonner Biblische Beiträge, 105. geb. DM 88,­. ISBN 3-89547-105-4.

Rezensent:

Norbert Lohfink SJ

Diese 1995 in Basel angenommene, bei K. Seybold angefertigte Dissertation setzt sich mit der gleichen Thematik auseinander wie die praktisch zeitgleich im Druck erschienene Cambridge-Dissertation von Jan Wilson aus dem Jahre 1992: Out of the Midst of the Fire. Divine Presence in Deuteronomy (SBL.DS 151; Atlanta 1995).

Sie war K. nur durch ein Voraus-Resümee bekannt, und Wilson kannte K. natürlich gar nicht. Beide versuchen, mit der vor allem durch G. von Rad verbreiteten Theorie von einer deuteronomischen Ablehnung der Wohnvorstellung für den Tempel in Jerusalem und von ihrer Ersetzung durch die Idee eines Innewohnens des irgendwie als Hypostase vorgestellten "Namens" Gottes im Tempel zurechtzukommen. Beide sind kompetent gearbeitet. Während Wilson die Lösung eher von außen sucht, indem er nämlich auch da, wo das Wort "Name" nicht vorkommt, nach Aussagen über die Präsenz JHWHs fragt, will K. die Probleme gerade durch gründlichere Analyse der Rede vom göttlichen "Namen" klären. Außerdem ist Wilsons Buch synchron, K.s Buch diachron orientiert.

Die Ergebnisse der beiden Dissertationen sind nicht kontradiktorisch, aber sie laufen auch nicht gerade aufeinander zu. So sind weitere Dissertationen zum Thema programmiert. Doch im folgenden ist nur die Arbeit von K. kurz vorzustellen und zu würdigen.

K. präsentiert und klassifiziert zunächst die zu untersuchenden Texte: die Belege der Zentralisationsformel im Buch Deuteronomium (5-58), dann vergleichbare "Namensformeln" in den Vorderen Propheten (59-105). Dabei werden auch Schichtenzuteilungen vorgenommen. Alle Stellen mit dem "Namen" JHWHs geraten durch sie in die Exilszeit.

Es folgen semantische Klärungen zu den Wörtern und Wortverbindungen (106-152). Dann wird historische Klärung versucht: Die deuteronomisch-deuteronomistische Namenstheologie wird dem exilischen Problem des Tempelverlustes zugeordnet (153-170). Sie habe erklären können, wieso JHWH auch in tempelloser Zeit weiter als Gott Israels wirken konnte. Sein eigentlicher Ort ist der Himmel, nicht der Tempel. Was waren die Vorgaben dieser exilischen Namenstheologie?

Als man die Namensformeln schuf, habe man kaum auf das Altargesetz des Bundesbuches zurückgegriffen, sondern eher auf die Wendung "den Namen JHWHs ausrufen" und die alte Tempel-Wohntheologie, wobei man sich unter Aufnahme von Formulierungen von beidem absetzte (171-186).

Schließlich wird noch kurz die Nachgeschichte der untersuchten Namensformeln vorgestellt (187-205). Es gibt ein Abkürzungsverzeichnis, ein Literaturverzeichnis und ein Register ausgewählter Stellen.

Man hätte sich auch einen Index für die Autoren und die hebräischen Wörter und Wendungen gewünscht ­ denn die Arbeit geht vor allem über Wörter und Wendungen, und sie zeichnet sich durch reiche Literaturdiskussion aus. So ist sie gerade in dem, was ihren Wert ausmacht, nicht so leicht zugänglich. Ob ihre entscheidende These selbst, die sich vor allem von T. N. D. Mettinger inspiriert (vgl. vor allem 157 f.), überzeugt, scheint mir fraglich. Haben die Texte, in denen die Namensformeln ­ zum Teil recht stereotyp ­ stehen, wirklich eine Tendenz, zu sagen: "Die ganze Sache mit dem Zentralheiligtum ist auch wieder nicht zu ernst zu nehmen, es geht ja nicht um Gott selbst, sondern nur um seinen Namen?" In meinen Ohren klingen sie anders. Das Geschick Jerusalems und des Tempels bleibt eine Katastrophe. Dazu verkompliziert K. seine These noch, indem er aus 1Kön 9,3 und 2Kön 21,7 ("für ewig") folgert, der Name JHWHs sei auch nach der Tempelzerstörung in der Trümmerstätte wohnengeblieben und anrufbar gewesen (163 f.). Ist es so sicher, daß diese Gotteszusage im Sinne der Deuteronomisten mit der Zerstörung des Tempels und der Stadt nicht zurückgenommen war?

Hier und an vielen anderen Stellen verknüpft sich die Frage der Textaussagen mit der anderen nach ihrem Zeitansatz. Voraussetzung der ganzen These ist nämlich, daß die Belege der sogenannten Langform der deuteronomischen Zentralisationsformel alle exilisch sind (was wiederum die Priorität der Kurzform und die Unwahrscheinlichkeit einer Entwicklung derselben aus dem Altargesetz des Bundesbuches impliziert) und daß auch das deuteronomistische Geschichtswerk im ganzen exilisch ist.

Beide Annahmen hängen an redaktionsgeschichtlichen Thesen, die K. relativ dezisionistisch von bestimmten Autoren übernimmt. Vgl. z. B. S. 23, Anm. 94, für das "älteste Zentralisationsgesetz" den schlichten Anmerkungsverweis auf Rose oder S.74 die reflex als "legitim" bezeichnete "Vorentscheidung" für eine von sechs vorher aufgezählten, heute vertretenen Theorien über das deuteronomistische Geschichtswerk. Sie sei "besonders ansprechend" (75). Natürlich kann man im Rahmen einer solchen Arbeit nicht auch noch umfassende redaktionsgeschichtliche Fragen selber klären. Aber man nimmt dann in Kauf, daß alle eigenen Thesen so sicher und so unsicher sind wie ihre übernommenen logischen Voraussetzungen. Der Rez. hat beiden soeben genannten Vorentscheidungen gegenüber begründete Skepsis. Auch daß J. Reindls Deutung der Wendung "vor JHWH" auf eine "innere religiöse Haltung" einfach übernommen wird (24, 126 und 150), finde ich fragwürdig. Das beseitigt zu schnell einen massiven Einwand gegen die eigene Auslegung.

So bleibt mir die These des Buches fraglich. Ich sehe seinen hohen Wert in der klaren und durchdachten Präsentation der einzelnen Fragepunkte und in der breiten und im allgemeinen sehr ausgewogen urteilenden Literaturverarbeitung. Als eine echte Hilfe für weiteres Nachdenken in der Sachfrage betrachte ich vor allem den Hinweis auf die Ausführungen von E. Brunner-Traut zum "aspektivischen Denken" in Ägypten und anderen vorgriechischen Hochkulturen (148 f.). Er könnte für das Verstehen der deuteronomischen Namensaussagen hilfreich werden. Doch müßte man auf jeden Fall nicht nur Formeln untersuchen, sondern Texte auslegen. Vermutlich bliebe es dann auch nicht bei einer einzigen "deuteronomisch-deuteronomistischen" Namenstheologie, falls man überhaupt von einer eigentlichen "Theologie" im Sinne einer Gesamtkonzeption sprechen darf. Für die weitere Arbeit an den Problemen ist das Buch eine gute Hilfe.