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Ausgabe:

Mai/1997

Spalte:

434 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Cha, Jun-Hee

Titel/Untertitel:

Micha und Jeremia.

Verlag:

Weinheim: Beltz Athenäum 1996. 151 S. gr.8° = Bonner Biblische Beiträge, 107. geb. DM 68,­. ISBN 3-89547-107-0.

Rezensent:

Rainer Kessler

Vergleiche zwischen zwei Propheten, ob sie der biblischen Chronologie als Zeitgenossen gelten oder in größerem Abstand voneinander angesiedelt werden, liegen auch in monographischer Form schon für verschiedene solcher Paare vor(1). Ihnen gesellt sich nun die Bonner, von Werner H. Schmidt betreute Dissertation von Cha zu.

Cha geht methodisch vom Michatext aus. Er sucht diejenigen Stellen in der Michaschrift auf, die Parallelen im Jeremiatext haben, und zwar nur solche Stellen, die er für authentisch michanisch hält. So wird etwa das Verhältnis von Mi 2,12 zu Jer 23,5 trotz zum Teil wörtlicher Übereinstimmungen nicht einmal diskutiert ­ wohl deshalb, weil Cha stillschweigend und im Konsens mit den meisten Exegeten davon ausgeht, daß Mi 2,12 nicht von Micha stammt. Chas Fragestellung ist ganz an den Prophetenpersonen Micha und Jeremia orientiert: "In welcher Weise und mit welcher Absicht greift Jeremia auf seinen Vorgänger im 8. Jh. zurück?" (5)

Cha unterteilt seinen Vergleich in drei an Micha gewonnene Themenfelder, die er der Reihe nach abhandelt: "I. Die Zukunftsansage gegen Juda und Jerusalem" (6-58), "II. Die Prophetenpolemik" (59-98) und "III. Die Sozialkritik" (99-126). Dabei vergleicht er nicht Einheiten des Michatextes mit Einheiten oder auch Einzelstellen des Jeremiatextes, sondern atomisiert den Michatext in Einzelsätze, die er mit entsprechenden Phrasen bei Jeremia vergleicht. So kommt es, daß Mi 3,11 f. als "Zukunftsansage gegen Juda und Jerusalem" unter der Überschrift "Unheilsansagen und Anklage gegen den Tempel" mit verschiedenen Stellen aus Jer 7 und 26 (42-58), Mi 3,10 dagegen als "Sozialkritik" unter der Überschrift "Bautätigkeit mit Unrecht" mit Jer 22,13 verglichen wird (104-108), obwohl Mi 3,9-12 unbestritten eine in sich geschlossene Einheit bildet, in der allenfalls V. 11 gelegentlich als Zusatz angesehen wird. Im II. Hauptteil "Prophetenpolemik" wird dieses Verfahren der Atomisierung so weit getrieben, daß die Einheit Mi 3,5-8 in fünf Sätze bzw. Satzteile aufgelöst und dann mit den unterschiedlichsten jeweils passenden Stellen aus Jer 6; 14 und 23 verglichen wird.

Als Ergebnis des Vergleichs faßt Cha zusammen: "An einer Reihe von Stellen lassen sich Übereinstimmungen oder Berührungen in Wortlaut, Form und Inhalt feststellen, die sich nur als bewußte Rückgriffe Jeremias auf die Botschaft Michas erklären lassen" (127). Mit diesem Ergebnis endet Chas Fragestellung, und da er nur an den Persönlichkeiten der Propheten und an ihrer ureigensten Botschaft interessiert ist, kann sie hier auch enden.

Bezieht man freilich die Frage nach der Überlieferung der prophetischen Texte mit ein, fängt das Fragen erst recht eigentlich an. In welcher Form kennt Jeremia die Botschaft Michas? Cha dekretiert ohne Begründung: "Jeremias Kenntnis der Botschaft Michas beruht eher auf mündlicher Überlieferung", als daß "Jeremia bereits auf die schriftlich fixierte Botschaft, ein Michabuch", zurückgriffe (131). Selbst wenn Cha ein plausibles Modell für eine solche lange mündliche Überlieferung vorlegen könnte, bliebe gerade dann die Frage völlig offen, wie nach rund 100 Jahren mündlicher Überlieferung noch von der ständig beschworenen Authentizität von Michaworten gesprochen werden kann.

Macht man sich erst einmal von der Fixierung auf die Prophetenpersönlichkeiten frei und bezieht die Überlieferungsprozesse der Prophetenworte mit in die Überlegung ein, dann ist durchaus auch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß nicht nur Jeremia Micha kennt, sondern daß auch umgekehrt die sich ausbildende Jeremiaüberlieferung auf die ja noch keineswegs abgeschlossene Michaüberlieferung zurückwirkt. Für Abschnitte wie 4,9 f. und 7,1-7, die Cha Micha zuschreibt, die in ihrer Authentizität aber höchst umstritten sind, ist dies sogar recht wahrscheinlich. Cha erwähnt diese Möglichkeit zwar in seiner Einleitung, legt sie aber sogleich undiskutiert wieder beiseite (3 f.).

So reißt Cha die Fragen, die über den bloßen Stellenvergleich hinaus in den Vorgang der Überlieferung der prophetischen Literatur führen, allenfalls an. Zu ihrer Beantwortung hat er aber eine durchaus nützliche Vorarbeit geleistet.

Fussnoten:

(1) Vgl. Reinhard Frey, Amos und Jesaja. Abhängigkeit und Eigenständigkeit des Jesaja: WMANT 12, Neukirchen-Vluyn (1963); ­ Gary Stansell, Micah and Isaiah. A Form and Tradition Historical Comparison: SBLDS 85, Atlanta (1988); ­ Martin Schulz-Rauch, Hosea und Jeremia. Zur Wirkungsgeschichte des Hoseabuches: CThM A 16, Stuttgart (1996).