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Ausgabe:

Mai/1997

Spalte:

428–430

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Haider, Peter W., u. a. [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religionsgeschichte Syriens. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1996. 496 S. gr.8o. Kart. DM 149,­ ISBN 3-17-012533-8.

Rezensent:

Wolfgang Hage

Das Sammelwerk, an dem 15 Autoren/Autorinnen (Y. Hajjar fehlt im Verzeichnis, 496) mitgewirkt haben, orientiert sich geographisch an den modernen Staatsgrenzen der Arabischen Republik Syrien, blickt aber (wo es sachlich geboten ist) auch darüber hinaus: in den Libanon (Bekaa-Ebene und Byblos) und in die Türkei (Obermesopotamien). Es entfaltet also die Religionsgeschichte eines Gebietes, in dem sich seit jeher kulturelle Einflüsse aus allen Himmelsrichtungen trafen und ihre mannigfachen Spuren hinterließen. Dem Besucher des Landes hier die Orientierung zu ermöglichen, ist die erklärte Absicht der Herausgeber: Sie denken (Vorwort 12) zunächst "an einen breiterenŠ interessierten Leserkreis", wollen aber auch, daß "Fachleute wie Religionswissenschaftler und Historiker" das Gebotene "mit Gewinn zur Hand nehmen können."

Die historisch geordneten Einzelbeiträge verteilen sich auf drei Abschnitte: I. Der Alte Orient ­ II. Das hellenistische, römische und byzantinische Syrien ­ III. Die Zeit der islamischen Vorherrschaft. In diesem Rahmen behandeln (I, 1-4) P. W. Haider, J. Oesch, H. D. Galter, G. Sauer, M. Hutter und S. Kreuzer die Religion in der Jungstein- und Stein-Kupferzeit, in den Städten (3./2. Jt.: Tell Chuera, Ebla, Alalach, Mari, Ugarit, Byblos), unter den Nomaden (3.-1. Jt.) und die syrisch-phönizische Religion (1. Jt.: Aramäer, assyrische Zeit, Phönizier). Dabei verdient besonders hervorgehoben zu werden, daß hier auch das (aus geographischen Gründen prinzipiell ausgeklammerte) Alte Israel als Parallele immer wieder in den Blick tritt. ­ Der zweite Abschnitt berücksichtigt (II, 1) den griechisch-römischen/orientalischen Synkretismus (P. W. Haider, S. Fick, W. Pratscher: Antiocheia, Apameia, Dura Europos, Hauran, Damaskus, Emesa/Homs, Heliopolis/Baalbek, Hierapolis/Mabbub, Palmyra, Edessa Carrhae, Doliche und Orte im syrischen Küstengebiet); G. Langner präsentiert (II, 2) das Judentum in Syrien von den Hasmonäern bis um 700 n. Chr. ; M. Hutter handelt (II, 3) über Markion, Bardesanes, Mani und Elkasai; und den Abschluß bildet (II, 4) die Geschichte des syrischen Christentums: in den ersten zwei Jahrhunderten (II, 4.1: W. Pratscher anhand des ntl. Materials), die Hauskirche in Dura Europos (II, 4.2: P. W. Haider), Theologie vom 3.-7. Jh. (II, 4.3 : A. Felber).

Im dritten Abschnitt skizziert K. Prenner (III,12) die Geschichte des Islam auf syrischem Boden bis zur osmanischen Zeit; J. Tubach bietet (III, 2) die syrische Kirchengeschichte vom 7.-20. Jh.; G. Langer behandelt (III, 3) für denselben Zeitraum das Judentum in Syrien; und den Endpunkt des langen Weges durch die Religionsgeschichte dieses Landes setzen (III, 4) Y. Hajjar und U. Schoen mit ihrem Schlußkapitel "Religionen und Konfessionen im heutigen Syrien."

Im Blick (auf den im Vorwort angesprochenen) breiteren Leserkreis erfüllt das Sammelwerk durchaus seinen Zweck; und mit seinem ausführlichen Register (A. Hammerstaedt: 473-493) sowie seinem übersichtlichen Inhaltsverzeichnis (mit Nennung der wichtigen archäologischen Stätten) würde das Buch sich dann auch als praktischer Reisebegleiter anbieten ­ wäre es mit seinen fast 500 Kunstdruckseiten nicht zu gewichtig.

Aber auf die dem Text beigegebenen 123 Schwarz-Weiß-Abbildungen (bzw. Rekonstruktionen, Grundrisse) und die (qualitativ freilich nicht durchweg erstklassigen) 28 Farbtafeln möchte man durchaus nicht verzichten. Doch fehlt weithin der Hinweis auf den heutigen Aufbewahrungsort der abgebildeten Stücke (der Abbildungsnachweis, 494 f., ist insofern unvollständig): Hier hätte dem Besucher Syriens (mit den reichhaltigen Museen in Damaskus und Aleppo) eine zusätzliche Information gegeben werden können. Leider fehlen auch Kartenskizzen (mit der Ausnahme Abb. 39: Nomadenstämme nach den Mari-Texten); zumindest hätte man sich ­ gerade im Blick auf den breiteren Leserkreis ­ eine Faltkarte mit den im Text genannten archäologischen Stätten gewünscht. ­ Den (im Vorwort ebenfalls genannten) Fachleuten bietet das Werk ein ausführliches, systematisch gegliedertes Literaturverzeichnis (419-471) und separat angehängte Anmerkungen (359-418). Ob dabei insgesamt der aktuelle Forschungsstand getroffen ist, entzieht sich ­ angesichts der thematischen Breite ­ dem Urteil des Rez., der sich auf den eigenen, christlichen Bereich beschränken muß.

Eine besondere Herausforderung besteht immer wieder darin, den für die orientalische Christenheit charakteristischen konfessionellen Gegensatz in gebotener Kürze korrekt und zugleich allgemeinverständlich darzustellen: Da trifft (290-292) nicht alles Gesagte wirlich den Kern der Sache. Gerade im Blick auf den breiteren Leserkreis hätten auch die Konfessions-Bezeichnungen klarer (und konsequenter) gewählt werden müssen: unter Berücksichtigung der unterschiedlichen theologischen Füllung des (jeweils für die eigene Seite reklamierten) Begriffes "orthodox" ­ was dem unbefangenen Leser nicht so ohne weiteres deutlich ist.

Die von J. Tubach für die Anti-Chalzedonenser aufgenommene Bezeichnung "Diplophysiten" wird ihrer theologischen Position gerechter als das alte Schlagwort "Monophysiten", das jenseits seines eigenen Beitrages das Feld beherrscht. Hier stellt sich natürlich die prinzipielle Frage, wieweit die Gesamtredaktion in die Verantwortung der Einzelautoren eingreifen soll und darf; aber daß ein und dieselbe Person als "9. Abgar" (282) bzw. (mit anderen Todesdaten als "Abgar VIII." (289) auftritt, wirkt doch störend ­ auch wenn die Bearbeiterin des Registers die Identität festhält.

Weitere kritische Bemerkungen zu einzelnem seien hier zurückgestellt; sie alle mindern nicht den Wert des Sammelwerkes im ganzen. Für den christlich-orientalischen Bereich wird es seinem doppelten Zweck gerecht; es gibt dem Kundigeren einen im wesentlichen zutreffenden Eindruck vom gegenwärtigen Forschungsstand (was strittig ist, lassen die Anmerkungen erkennen) ­ und es wird (bei aller Kritik im einzelnen) dem weniger sachkundigen Leser und Besucher Syriens zur Orientierung helfen. Nur für letzteren kann der Rez. auch im Blick auf die anderen (außerchristlichen) Themenbereiche sprechen: hier hat er selber (wie er meint) das Buch, das in dieser Überschau nun wirklich eine Lücke füllt, mit Gewinn gelesen.