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Ausgabe:

April/1997

Spalte:

399 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Vosman, Frans, and Karl-Wilhelm Merks [Eds.]

Titel/Untertitel:

Aiming at Happiness. The Moral Teaching in the Catechism of the Catholic Church. An Analysis and Commentary.

Verlag:

Kampen: Pharos 1996. 256 S. 8°. Kart. hfl 59,­. ISBN 90-390-0441-2.

Rezensent:

Walter Schöpsdau

Die 12 Beiträge katholischer Autoren aus den Niederlanden konstatieren im Moralteil des Weltkatechismus (KKK) ein unausgeglichenes Nebeneinander verschiedener Traditionen. Neben dem biblischen stehe ein naturrechtlicher Ansatz (192. 225), neben thomasischer Tugend- und Glückseligkeitsethik die neuscholastische Theorie des sittlichen Aktes, die einseitig auf das Objekt abhebt unter Vernachlässigung der Absicht und Umstände (7 f. 26. 78). Die heilsgeschichtlich-christozentrische Dynamik des Konzils, von dem der KKK den Einstieg bei der Würde des Menschen aufgreift, komme durch den neuthomistischen Dualismus von Natur und Übernatur und die Entscheidung für den Dekalog als Leitfaden der speziellen Moral zum Erliegen (20 f. 151. 164 f.).

Das Nebeneinander von Teil III (Ethik) und Teil IV (Spiritualität) spiegele noch die legalistische Tradition der Handbücher (188). Andererseits verknüpfe der KKK wieder die von der Neuscholastik auf Moraltheologie und Dogmatik verteilten Themen "Gesetz" und "Gnade" (186). Gesellschaftskritisch belangvoll sei der Bezug auf Gott und die menschliche Gemeinschaft im Glücksbegriff (30. 34).

Daß manche Urteile gegensätzlich ausfallen, hat mit dem zwischen katholischer ’Glaubensethik’ und ’autonomer Moral in christlichem Kontext’ diskutierten Sachproblem zu tun. So wird kritisiert, daß der KKK in Reaktion auf Kant einseitig die Allgemeingültigkeit der christlichen Moral und die Kontinuität zwischen dem alten Gesetz und der nova lex des Evangeliums betone; gegen die paulinisch-lutherische Erfahrung von Existenzwende und christlicher Freiheit stelle er mit dem Konzil von Trient die sakramental ermöglichte Kooperation von Gnade und menschlicher Freiheit (150 f.). Andererseits begegnet der Vorwurf, daß der KKK die universalistische Perspektive des Konzils nicht durchhalte und das neue Leben im Geist auf die Glaubenden einschränke (184).

Am weitesten geht die Kritik, die im KKK trotz vieler Bibelzitate kein biblisches, sondern ein autoritäres Modell objektivistischer Gesetzesmoral findet, welche die Bibel in Dienst nimmt (238 f.). Wer ohne nähere Erläuterung von Gott als Gesetzgeber spreche und den ewigen Plan Gottes wie die kirchlichen Ordnungen unterschiedslos dem Gesetzesbegriff subsumiere, begehe den Fehler univoker (statt analoger) Sprechweise, die den Legalismus katholischer Moral auf dem Gewissen habe (187 f.). Sittliche Autonomie werde im KKK nur als Gefährdung wahrgenommen (129); statt "Aufklärung der Aufklärung" böten die lehramtlichen Texte schlicht "Gegen-Aufklärung" (161). Ein "schleichender Autoritarismus" identifiziere (in Nr. 85) das Lehramt der Kirche sofort mit der Hierarchie. Die Kombination von Lehramtstexten mit Bibelzitaten bewirke eine Selbstimmunisierung (228). Auf dem Wege "schleichender Unfehlbarkeit" (210) werde die Lehramtsvollmacht unspezifiziert auf "Lehren und Weisungen... in verschiedenen Formen" (Nr. 87) ausgedehnt (197). Einzelnormen, für die sich keine biblische Basis finde, gebe das Lehramt als "Ausdruck des ’Willens/Planes Gottes’" aus (206), womit alle Arten von Handlungen als ’objektiv schlecht’ deklariert werden könnten (192).

Merks formuliert so etwas wie einen gemeinsamen theologischen Nenner der Beiträge. Der Bibel komme ethisch nur eine "’entfernte’ Normativität" zu; ihre Weisungen sind nicht zu applizieren, sondern zu interpretieren als Zielbilder oder Modelle. Der rational argumentierenden Suche nach dem Guten fügen Offenbarung und Glaube quantitativ nichts hinzu, sie erschließen einen transzendenten Sinnhorizont. "Das Theologische überwältigt oder ersetzt nicht das Philosophische; der Glaube ’spielt’ [performs] zusammen mit der Vernunft in der schönen Bedeutung, die diesem Wort musikalisch zukommt" (241). Schrift und Lehramt sind helfende Mit-Sucher bei dem Ringen um sittliche Einsicht. Das Christliche sei nicht exklusiv zu verstehen; im Weltbereich gebe es keine "spezifisch" christlichen, sondern nur "typische" Verhaltensweisen, die "für Christen angemessen" sind (245 f.).

Die Beiträge lassen sich nicht in gleicher Ausführlichkeit auf den Text des KKK ein. Durchweg mündet die Analyse in eine weiter ausholende systematische Entfaltung. Auf diese Weise entstand eine lebendige Einführung in Grundfragen heutiger katholischer Moraltheologie, deren Spezifika ­ transzendentaltheologisches Verhältnis von Gnade und Freiheit, Kommunikabilität des Christlichen, rationale Normbegründung ­ auch in evangelischer Ethik bedacht werden.