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Ausgabe:

April/1997

Spalte:

362–364

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Hansen, Gisela

Titel/Untertitel:

Christliches Erbe in der DDR-Literatur. Bibelrezeption und Verwendung religiöser Sprache im Werk Erwin Strittmatters und in ausgewählten Texten Christa Wolfs.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1995. 281 S. 8° = Beiträge zur Literatur und Literaturwissenschaft des 20. Jahrhunderts, 14. Kart. DM 84,­. ISBN 3-631-48656-1.

Rezensent:

Ingeborg von Lips-Sültemeyer

Ähnlich und doch auch wieder nicht: die als Kieler Dissertation entstandenen Untersuchung Gisela Hansens und die kurz vorher erschienene Arbeit von Marie-Elisabeth Lüdde (Biblische Motive und Mythen in der DDR-Literatur, 1990 als Greifswalder Dissertation, 1993 veröffentlicht bei de Gruyter). In beiden Arbeiten geht es um das Herauspräparieren biblischer Elemente in Werken von DDR-Autoren. Ein grundsätzlicher Unterschied besteht in der Blickrichtung und der Auswertung der jeweiligen Befunde: Lüddes erweiterter Titel bezeichnet sie bereits: "Die Rezeption, Interpretation und Transformation biblischer Motive und Mythen in der DDR-Literatur und ihre Bedeutung für die Theologie". Die literaturwissenschaftlich ausgerichtete Arbeit von Gisela Hansen dagegen stellt sich explizit keinen theologischen Anspruch.

Sie steht vielmehr in der Reihe der besonders von Karl-Josef Kuschel (leider nicht erwähnten) neu und immer wieder angestoßenen Bemühungen um das Verhältnis von deutschsprachiger zeitgenössischer Literatur zu Motiven und Inhalten biblischer Texte.

Die Begründung der Heranziehung gerade des Strittmatterschen und des Wolfschen ‘uvres, sieht die Vfn. in einem bestehenden Defizit im Gegensatz zu Autoren wie Fühmann, Hacks, Hermlin u. a. "Für beide Schriftsteller wurde also die Frage nach ihrem Umgang mit der christlichen Überlieferung in ihren Werken noch kaum gestellt, jedenfalls nicht systematisch behandelt. Diese Arbeit will dieses Defizit ausgleichen. Beide Autoren bekennen sich zum Marxismus, der den Atheismus impliziert. Da sie jedoch beide ­ was bisher übersehen wurde ­ in ihren Texten gewichtige sprachliche Elemente verwenden, die der Bibel und der christlichen Überlieferung entspringen, versprach deren Aufarbeitung einen Blick auf die Schriftsteller aus einer neuen Perspektive..." (33). Diese Aufarbeitung will in einzelnen Schritten untersuchen: "a) ob und wie weit Elemente biblischer und religiöser Sprache heute noch eine ästhetische Funktion im dichterischen Text haben können...; b) ob sich gehaltliche Beziehungen zwischen der Quelle und dem neuen Sinnzusammenhang, in den diese Elemente aufgenommen werden, feststellen lassen...; c) ob sie darüber hinaus eventuell sogar eine Aufgabe als strukturierende Elemente im neuen Sinnzusammenhang haben und welche spezifische Wirkung dann von ihnen ausgeht..." (33).

Ob die versprochene "neue Perspektive" wirklich erreicht ist, erscheint strittig. Gleichwohl ist es der Vfn. gelungen, für das Werk beider Autoren einen großen und überaus interessanten Facettenreichtum zu erschließen und sichtbar zu machen, der sich aus der gestellten Thematik ergibt. Für das Werk Strittmatters, das sie exemplarisch in drei Werken untersucht (Ochsenkutscher, Ole Bienkopp, Wundertäter-Trilogie), entfaltet sie eine beeindruckende Fülle biblischer Elemente, für deren Erfassung sie exemplarisch für den "Wundertäter" einen Katalog (Teil II nach Teil I Einleitende Bemerkungen zum Strittmatter-Teil B) (45-85) anwendet (etwa: "Titel und Kapitelüberschriften im Wundertäter/Übernahme von Direktzitaten/Paraphrasierende Anspielungen auf biblisches Erzähl- und Spruchgut" etc.). Mit Hilfe dieser Erarbeitung werden dann in einem Teil III "Beobachtungen zur Verwendung der Elemente aus Bibel und religiöser Sprache" durchgeführt. Daraus entwickelt sich dann Teil IV: Struktur- und sinngebende Verwendung biblischer und religiöser Elemente in den Romanen Ochsenkutscher, Ole Bienkopp und Der Wundertäter. Eine Zusammenfassung (V) schließt den B-Teil ab. Schon der Vergleich des Umfangs der Strittmatter- mit der Wolf-Untersuchung ist aufschlußreich: etwa 2/3 zu 1/3. Dahinter verbirgt sich die mangelnde Fülle der Wolfschen Bibelrezeption, aber nicht ihre Irrelevanz. Die Untersuchungen beziehen sich hauptsächlich auf die Werke: Der geteilte Himmel, Juninachmittag, Nachdenken über Christa T., Störfall. Eine entsprechend schmalere Gliederung (Teil C) entspricht dem Befund. Er läßt sich für beide Autoren in einem Vergleich der Vfn. zustimmend zitieren, daß "...Strittmatter eher Sprachmuster der Bibel übernimmt (und zwar hauptsächlich aus dem Neuen Testament), Christa Wolf hingegen Denkmuster" (262). Strittmatters "Volksverbundenheit" äußere sich im Sprachlichen und habe ihre Wurzeln in einer starken Affinität zum Sprachgestus der Lutherbibel: "Untersucht man die sprachlichen Mittel, die St. verwendet, um zu dieser Volkstümlichkeit zu gelangen, so stellt man fest, daß es die gleichen sind, die auch die Schriften eines Martin Luther, vor allem seine Bibelübersetzung, haben volkstümlich werden lassen" (169). Dagegen erweist sich Wolfs Erzählweise ganz anders: "Ihre Sprache ist sensibel, tastend, fragend... Der Rückgriff auf die Bibel im dichterischen Werk dient nicht der kritischen Auseinandersetzung..., sondern allein der Beweisführung innerhalb der behandelten Thematik" (261).

Bei beiden Autoren aber ist klar, daß sie trotz großem Altersunterschied in ihrer Jugend von christlicher Unterweisung geprägt wurden, ein gewisses biblisches Repertoire immer im Hintergrund hatten. Und in ihren jedenfalls nicht-christlichen Werken der Faszination von Sprache und Inhalt der Bibel immer wieder ihren Tribut gezollt haben. Der Vfn. ist eine geschickt ausgewogene, sensible Untersuchung gelungen, die den Facettenreichtum beider ‘uvres ins Bewußtsein hebt. Weiterblickend entwickelt sich daraus beim Leser eine Neugier darauf, wie es denn bei DDR-Schriftstellern, die etwa zu den 50er Jahrgängen zählen, um die Bibelrezeption bestellt ist, einer Generation, bei der von einer selbstverständlichen religiösen Unterweisung keine Rede mehr sein kann.