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Ausgabe:

Februar/1999

Spalte:

153 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Block, Daniel Isaac

Titel/Untertitel:

The Book of Ezekiel. Chapters 1-24.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 1997. XXII, 887 S. gr.8. Lw. $ 48.-. ISBN 0-8028-2535-4.

Rezensent:

Thomas Krüger

"Im Alten Testament lesen wir das Wort Gottes, wie es zu seinem Volk Israel gesprochen wurde. Heute, Tausende von Jahren später, hören wir in diesen 39 Büchern seine inspirierte und autoritative Botschaft für uns." Diese beiden Sätze bringen nach dem Umschlagtext des vorliegenden Bandes die Grundüberzeugung zum Ausdruck, die von allen Autoren des "New International Commentary on the Old Testament" geteilt wird und die dieser Kommentarreihe ihr Profil verleiht. Daniel I. Block, der am Southern Baptist Theological Seminary in Louisville, Kentucky, Altes Testament lehrt, verfolgt dementsprechend mit seinem Kommentar in erster Linie das Ziel, die Prophetie Ezechiels für heutige Leser "verständlich und bedeutsam zu machen" (Vorwort, XI).

Dabei läßt er sich von vier Fragestellungen leiten, die er an Ezechiel selbst richtet: "(1) Ezechiel, was sagst du? (die textkritische Fragestellung); (2) Ezechiel, warum sagst du es auf diese Weise? (die kulturelle und literarische Fragestellung); (3) Ezechiel, was meinst du? (die hermeneutische und theologische Fragestellung); (4) Ezechiel, worin besteht die Bedeutsamkeit dieser Botschaft für mich? (die Frage nach der Anwendung)" (ebd.). Zumindest die vierte Frage würde den Propheten Ezechiel vermutlich ein wenig in Verlegenheit bringen. Folgt man neueren redaktionsgeschichtlichen Hypothesen zum Ezechielbuch, wie sie etwa W. Zimmerli, L. C. Allen oder K. F. Pohlmann in ihren Kommentaren entwickelt haben, kann Ezechiel bei einer ganzen Reihe von Texten auch die drei anderen Fragen B.s kaum beantworten, da diese Texte gar nicht von ihm stammen.

B. freilich nimmt an, daß nicht nur die einzelnen Texte des Buches, sondern auch seine Komposition im großen und ganzen auf Ezechiel zurückgehen, der seine zunächst mündlich erteilten Orakel selbst schriftlich festgehalten, zusammengestellt und redaktionell bearbeitet hat (17-23). Entsprechend groß ist sein Zutrauen zu anderen biblischen Quellen wie den Königs- und Chronikbüchern, Jeremia und Daniel, die er ohne substantielle kritische Prüfung für die Rekonstruktion der politischen und sozialen "Welt Ezechiels" heranzieht (1-8). Dabei entsteht u. a. ein - auch graphisch als "Israel’s House of Pride" eindrücklich dargestelltes (8) - Bild der "offiziellen" und "orthodoxen" israelitischen Theologie zu Beginn der Exilszeit, das notwendige traditions- und theologiegeschichtliche Differenzierungen vermissen läßt. Die Annahme, daß Texte wie Lev 26 und Dtn 4 einem frühexilischen Ezechiel bereits vorlagen, wird heute ebenfalls kaum allseits Zustimmung finden.

Spannungen, Widersprüche und Ungereimtheiten in einzelnen Texten sowie in ihrer Zusammenstellung im Buch werden von B. teils aus der emotionalen Erregung des Propheten (vgl. 20 zu Ez 1 und 8) oder seiner auf Schock-Effekte zielenden Rhetorik erklärt (vgl. 696 f. zu Ez 21,8 gegenüber Ez 18), teils aus der literarischen Komposition und Bearbeitung der Texte durch Ezechiel selbst (vgl. 168 f. zu Ez 4 f.) oder daraus, daß "die Wege des Herrn oft seltsam und unerforschlich sind" (161 zu Ez 3). Zum Teil werden sie aber auch durch harmonisierende Interpretationen geglättet (z. B. 159 zu Ez 3) oder nicht wirklich wahrgenommen (wie etwa die verschiedenen Konzepte von Prophetie in Ez 2-3). Damit werden aber nicht nur Möglichkeiten zur literaturgeschichtlichen Rückfrage hinter die vorliegenden Texte vergeben, sondern auch und vor allem Ansatzpunkte für eine sachkritische theologische Diskussion in den Texten selbst.

Das trägt dazu bei, daß die "Zusammenfassung der bleibenden theologischen Lehren" (XII), mit der jeder Abschnitt des Kommentars schließt, meist wenig Überraschungen enthält. So läßt sich z. B. aus Ez 17 lernen, daß man (1) in Krisensituationen deren Ursachen und nicht nur deren Symptome behandeln soll, daß (2) Verträge und Eide immer bindend sind, daß (3) Jahwe souverän die Geschichte lenkt und daß er dabei (4) seinem Wort treu bleibt (553 f.). Daß und wie in Ez 17 die politische Eigendynamik geschichtlicher Prozesse und das Wirken Gottes in einer theologisch womöglich durchaus sachgemäßen Weise spannungsvoll ineinander verwoben sind, und daß von daher Annahmen über eine Geschichtslenkung Gottes zu präzisieren (und auch zu relativieren) wären, kommt nicht in den Blick - geschweige denn die zum Teil gegenläufigen Perspektiven anderer Texte des Buches. Gelegentlich erscheint die Übertragung von Aussagen über den Propheten Ezechiel auf heutige Christen bzw. kirchliche Amtsträger oder von Aussagen über Israel auf christliche Gemeinden und Kirchen (oder auch auf die Gesellschaft der USA) hermeneutisch reflexionsbedürftig.

Auf der anderen Seite entwickelt B. an verschiedenen Stellen seines Kommentars ausführliche und bedenkenswerte hermeneutische Überlegungen (so z. B. 467 ff. in einem Exkurs zu Ez 16 über "The Offense of Ezekiel’s Gospel") und macht dafür auch die Rezeptionsgeschichte fruchtbar (vgl. z. B. 637 ff. zu Ez 20,25). Zudem bietet er zahlreiche Informationen und Beobachtungen zu philologischen Problemen, zu den Realia sowie zur Struktur und Komposition der Texte, die die Lektüre seines Kommentars als Ergänzung zu anderen Kommentaren für Fachleute durchaus lohnend erscheinen lassen. In diesem Zusammenhang setzt auch seine Zurückhaltung gegenüber redaktionsgeschichtlichen Differenzierungen einen Akzent, der zur sachlichen Auseinandersetzung herausfordert. Und schließlich macht B.s konsequente Frage nach der Gegenwartsbedeutung der Ezechiel-Texte auf ein Defizit anderer Kommentare aufmerksam, die sich vorwiegend mit historischen Fragen beschäftigen. Die Frage nach der Gegenwartsbedeutung der Texte kann allerdings sachgemäß nicht nach und neben philologischen und historischen Fragen bearbeitet werden, sondern nur damit verbunden - im Sinne einer historischen und kritischen Theologie, die auch die eingangs zitierte religiöse Grundüberzeugung nicht von vornherein der Diskussion entzieht.