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Ausgabe:

April/1997

Spalte:

344 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Horst, Ulrich

Titel/Untertitel:

Evangelische Armut und päpstliches Lehramt. Minoritentheologen im Konflikt mit Papst Johannes XXII. (1316–34).

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1996. 164 S. gr.8° = Münchener Kirchenhistorische Studien, 8. Geb. DM 79,­. ISBN 17-013799-9.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Der Vf. setzt fort, was er 1992 mit "Evangelische Armut und Kirche. Thomas von Aquin und die Armutskontroversen des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts" (vgl. ThLZ, 119, 1994, 664-666) begonnen hat. Er stellt die Nachgeschichte der Armutskonzeption dar, mit der Bonaventura und Thomas das Mendikantenideal begründeten und rechtfertigten. In ihr trat "die dem Gegenstand innewohnende ekklesiologische Problematik zusehends und deutlicher in Erscheinung". Anhänger wie Gegner Johannes’ XXII. stützten sich dabei "gleichermaßen auf die inzwischen klassisch gewordenen Autoritäten", die sie jeweils in ihren Positionen bestärkten, so daß sie zu keinem Kompromiß bereit waren (7).

Der Streit wurzelte in der franziskanischen Regelinterpretation, in der Ordensverfassung und in den päpstlichen Anordnungen zu ihrer praktikablen Existenzweise. Aus Formeln seien inzwischen unanfechtbare loci theologici geworden. Der Streit entzündete sich an den Thesen von Thomas, die Gelübde seien an sich keine perfectio evangelica, sondern lediglich instrumenta perfectionis, und gemeinsames Eigentum mindere nicht die vom Evangelium geforderte Vollkommenheit. Es ging um den Zwiespalt zwischen Ideal und Wirklichkeit des inzwischen einflußreichen Ordens. Es zeigt sich, daß die Minoriten hinter den Festlegungen von Johannes XXII. den "Kurswechsel in der insgesamt kontinuierlichen Politik der Päpste als Bruch mit einer gefestigten Lehrtradition empfanden", hinter der die "Rätetheologie des Aquinaten" stand. Für die einen verkörperten diese einen "bösen Geist", für andere die theologische Richtschnur (23 f.). Durch die Kanonisation von Thomas (1323) war der Ausgang des Streites von päpstlicher Seite aus bereits entschieden.

Der Vf. untersucht in Teil I "Die Anfänge des Armutsstreits und die Entscheidungen Papst Johannes’ XXII" (25-76), in TeilII den "Bruch des Generals mit dem Papst" (77-107) und in Teil III die "Vorbereitung und Verteidigung der päpstlichen Interventionen" (109-153).

Die biblische Armutsforderung, zu deren buchstäblicher Befolgung die Prediger aufriefen, hatten ein ungeahntes Echo und waren häufig mit kirchenkritischen Tönen und mit Polemik gegen Thomas verknüpft. Die Regel von Franziskus wurde oft mit dem Evangelium gleichgesetzt. Das beunruhigte die Inquisition, weil hier "eine partikuläre Armutsauffassung in den Rang eines Dogmas" erhoben wurde (26). Strittig war nun, ob ein Papst Erlasse seiner Vorgänger (die Bulle "Exiit" von 1279) revidieren dürfe. Im Grunde stand damit einerseits die schon damals manchmal behauptete Infallibilität päpstlicher Entscheidungen zur Disposition, andererseits erhob sich die Frage, ob nicht auch Bischöfe und Päpste sich an diese apostolische Lebensform zu halten hätten. Der Minorit Bonagratia behauptet: "Die Leugnung der These, sie hätten nichts gehabt, ist nicht nur häretisch, sondern katholisch und dem Glauben gemäß", die Annahme des Gegenteils stelle eine klare Irrlehre dar (38). Damit wird der Papst faktisch der Häresie bezichtigt. 1323 erließ dieser die Bulle "Cum inter nonnulos", in der mit Berufung auf Dominikanertheologen behauptet wird, Christus und die Apostel hätten "einiges" besessen (50). Darauf antworteten die Minoriten 1324 mit der "Sachsenhausener Appellation", für sie war Johannes XXII. "endgültig zum Häretiker" geworden (57), was dieser natürlich nicht hinnahm (Bulle "Quia quorundam mentes"). Im Grunde geht es darum, ob ein Papst Erlassse seiner Vorgänger ändern dürfe. Der Vf. behauptet, diese hätten sich "die spezifisch minoritische Interpretation der Regel so nicht zu eigen gemacht" (59).

Lange Zeit hatte der Ordensgeneral Michael von Cesena sich zurückgehalten, doch 1328 kam es zum Bruch zwischen ihm und dem Papst. Für Michael blieb die Bulle "Exiit" maßgeblich, während Dominikanertheologen zu erweisen suchten, daß "Exiit" und "Cum inter nonnulus" sich gegenseitig interpretieren.

Zugleich wird die Engführung auf den Christus pauper kritisiert, er sei doch vor allem der Christus praedicans et docens gewesen (81, 85). Gütergemeinschaft (ohne persönlichen Besitz) stünde nicht gegen das christliche Vollkommenheitsideal. Die Franziskaner appellieren ihrerseits an die "Sancta Romana Ecclesia", die sie nicht mit dem Papst identifizieren, sondern mit der Gesamtkirche und dem sie repräsentierenden Konzil. Das ist der eigentliche ekklesiologische Gewinn des Streites. Ockham radikalisierte diese Meinung dahingehend, daß Glaubensfragen auch den Laien (einschl. der Frauen!) zur Entscheidung vorzulegen seien.

Der Papst hat sich in seinen Interventionen vor allem auf die thomanische Theologie gestützt. Diese war sowohl von Dominikanern wie Hervaeus Natalis, Durandus de S. Porciano und Petrus de Palude als auch vom Kartäuser Guido Terrenis weiterentwickelt worden, aber: "Thomas ist seit dem Beginn der Kontroverse die Gestalt, an der sich die Geister scheiden" (114). Die Bulle "Exiit" wird "eher als persönliches denn als offizielles Dokument" angesehen; der "Papst kann Anordnungen der Apostel und Konzilien abändern, wofern sie menschlichen Charakters sind, nicht aber, wenn sie Gottes Willen entspringen" (150).

Auch in dieser Untersuchung vertritt der Vf. die Theologie seines Ordens, die wiederum "ad maiorem gloriam papae" führt. Kritik an Johannes XXII. (dem "Midas-Papst") wird nicht erkennbar, ihm wird vielmehr (zu Recht) bescheinigt, daß er ein "scharfsinniger Kanonist" war und den "springenden Punkt klar erkannt" habe (155, 157). Der Vf. beschränkt sich auch in diesem Band ganz auf die theologische Fragestellung.

Ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Namensregister sind beigefügt. Einige Druckfehler fallen auf; seit wann spricht man von einem männlichen "Beginen" (25)?