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Ausgabe:

April/1997

Spalte:

328 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Christiansen, Ellen Juhl

Titel/Untertitel:

The Covenant in Judaism and Paul. A Study of Ritual Boundaries as Identity Markers.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1995. X, 396 S. gr.8° = Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums, 27. Lw. hfl 130.­. ISBN 90-04-10333-3.

Rezensent:

Heikki Räisänen

Die Vfn., die als Lektorin in Aarhus tätig ist, legt eine leicht gekürzte Fassung ihrer in Durham, England, unter Leitung von James Dunn erarbeiteten Dissertation vor. Ihr Thema ist frühjüdische und -christliche Gruppenidentität, die unter sozialwissenschaftlicher Begrifflichkeit beleuchtet werden soll. Die Vfn. untersucht die Bundesvorstellung im AT, in ausgewählten jüdischen Texten (Jubiläenbuch; Qumran: 11QTemple, CD, 1 QS) und bei Paulus. Ihr Hauptinteresse gilt den Riten, in denen sich die Identität der Gruppe ausdrückt und die auch ihre Grenzen markieren: Beschneidung, Waschungen, Eide, Taufe. Vor allem will sie klären, warum die Taufe zu einem Aufnahmeritus wurde. Eine Änderung der Identität bringt eine Änderung der Riten mit sich.

Die Vfn. findet drei Typen von Gruppenidentität ­ je mit einem "boundary rite" verbunden. Wo Bundesidentität national bestimmt wird, fällt der Bund mit völkischen Grenzen zusammen; die Geburt wird durch ein "rite of passage" markiert (so im AT und im Jubiläenbuch, wo die Notwendigkeit von Beschneidung eingeschärft wird). Wo Identität enger, etwa im Rahmen priesterlicher Reinheit bestimmt wird, werden Grenzen durch Reinheitsriten markiert, die die Entscheidung des Einzelnen betonen, den Lebensstil der Gruppe anzunehmen (Qumran).

Von Paulus wird eine Gruppenidentität im Rahmen des "Bundes" nicht mehr akzeptiert, da er ein ganz anderes Selbstverständnis der Gruppe befürwortet. Zur christlichen Gemeinde gehört man nicht aufgrund von Geburt, sondern aufgrund eines Glaubenssystems. Die Taufe wird zum Initiationsritus und markiert zugleich die Grenzen der Gruppe.

Ob der paulinische Typus dem ersten oder dem zweiten "jüdischen" Typus näher steht, sagt die Vfn. nicht (vgl. unten). Auch geht sie nicht der religionsgeschichtlichen Frage nach, warum gerade ein Tauchbad zum christlichen Initiationsritus wurde. Die Bedeutung der Johannestaufe bleibt ein Rätsel, denn sie kann kaum als Initiationsritus eingestuft werden: Es ist unsicher, ob Johannes zu seiner Lebenszeit eine konkrete Gruppe von Nachfolgern hatte, und wir wissen nicht, ob seine Taufe ein einmaliger oder ein zu wiederholender Ritus war.

Vom letztgenannten Punkt vielleicht abgesehen, werden die Ergebnisse kaum überraschen. Die Vfn. sucht sich durch einige Grenzziehungen zu profilieren. Sie kritisiert Interpretationen, die den Terminus "Bund" bei Paulus "unreflektiert" als einen Ausdruck ekklesiologischer Kontinuität verstehen; das Gottesverhältnis von Menschen wird von Paulus nicht im Rahmen der Bundesvorstellung gedeutet (er betont das familiale Bild der Gotteskindschaft). Sie weist auch diejenige Sicht zurück, nach der bei Paulus ein "neuer Bund" den alten ersetzt ­ Paulus setzt die Kirche gerade nicht einem "Bund" gleich. Doch scheint der Bund nach wie vor für Israel gültig zu sein. Schließlich kritisiert die Vfn. die Ausleger, die die Taufe vorwiegend als ein "soteriologisches Erlebnis" verstehen und deren Initiationsfunktion übersehen.

Auf dieser allgemeinen Ebene ist die Sicht der Vfn. durchaus plausibel. Auch werden dem Leser eine Fülle von Überlegungen zur Bundesproblematik geboten. Am Ende aber hat man doch das Gefühl, nicht allzuviel Neues gelernt zu haben.

Im einzelnen ergeben sich mancherlei Rückfragen. Ob es zweckmäßig ist, sich allein auf die Paulus-Stellen zu konzentrieren, wo "Bund" ausdrücklich erwähnt wird, ist fraglich. Auf der jüdischen Seite hat die Vfn. solche Texte ausgesucht, in denen der Bundesgedanke zentral ist und einschlägige Riten erwähnt werden. Aber wäre es, gerade im Blick auf die Einordnung von Paulus, nicht hilfreich gewesen, auch an ein paar Texten zu erörtern, ob oder wie eine jüdische Identität aufgebaut werden konnte, ohne den Bundesgedanken besonders zu betonen?

Die Vfn. kritisiert die von E. P. Sanders eingeführte Kategorie des "Bundesnomismus" als einseitig soteriologische Deutung des Bundes auf Kosten seiner ekklesiologischen Dimension.Warum hier ein Kontrast bestehen sollte, oder es gar "theologisch illegitim" wäre, der Soteriologie den Vorrang zu geben, sehe ich nicht ein. Warum könnte man nicht Soteriologie und "Ekklesiologie" als zwei Aspekte derselben Sache sehen? Übrigens übernimmt die Vfn. von Dunn dessen verfehlten Vorwurf, Sanders habe die soziale Funktion des Gesetzes unterschätzt (235 Anm. 87).

Die Vfn. bemängelt an Sanders auch, daß er Bund und Erwählung gleichsetze. Sie betont oft, daß der Bund in diesem oder jenem Text auf Erwählung "eingeengt" werde ­ obwohl sie am Anfang (5) zugibt, daß "Erwählung" ein auf Bundeszugehörigkeit bezogener Terminus ist. Gehört aber der Gedanke der Erwählung (die immer irgendwie exklusiv ist) nicht geradezu konstitutiv zur Bundesvorstellung? Der mit der ganzen Menschheit geschlossene Noachbund ist im AT gerade die (religionsgeschichtlich späte) Ausnahme. Die von der Vfn. untersuchten jüdischen Gruppen gehen nicht vom Universalismus des Noachbundes aus (anders die Rabbinen, die auf den "noachidischen Geboten" aufbauten), aber das tut auch Paulus nicht; auch bei ihm ist nicht "Universalismus" der Ausgangspunkt, sondern der (auf eine ganz bestimmte Weise verstandene) "Glaube", den er im AT nicht bei Noach findet, sondern bei Abraham.

Demnach enthält auch die Theologie des Paulus durchaus "partikularistische" Züge: Wie in Qumran, besteht auch bei ihm die Gemeinde aus Individuen, die die richtige Entscheidung getroffen haben. Diesen Sachverhalt, auf den die Vfn. gelegentlich hinweist (vgl. 269) und der in ihrer Sicht der Taufe als "grenzziehend" verstanden ist, hätte sie stärker hervorheben können. Anfangs geht sie (14) vom Gegensatz zwischen einer ethnischen "civil religion" und einem von Kleingruppen vertretenen "religiösen Partikularismus" aus. Später beginnt die Terminologie zu schillern: Das Jubiläenbuch vertritt die civil religion (101), zugleich aber auch ein "partikularistisches" Verständnis von Israel als erwählt (102). Am Ende steht ein Kontrast zwischen ethnischem Partikularismus und paulinischem Universalismus. Wäre die Vfn. streng bei ihren anfänglichen Kategorien geblieben, hätte sie eher betonen müssen, daß der civil religion des Jubiläenbuches die (je unterschiedlichen) Partikularismen von Qumran und Paulus gegenüberstehen.

Bei der Paulusexegese wäre vieles zu diskutieren. Nur ein Problem sei erwähnt: Der Vfn. zufolge rühren die Ausführungen des Paulus in Röm 9,6ff. von der Behauptung irgendwelcher anderer Christen her, Gott hätte Israel verworfen; Paulus nehme das Volk gegen sie in Schutz. Die kühne These wird sehr flüchtig begründet. Die Vfn. spielt denn auch die paulinische Rede von negativer Prädestination Röm 9,6 ff. herunter, als ob da nur von Gottes Liebe und Barmherzigkeit die Rede wäre. Die Einstellung des Paulus ist aber ambivalenter als die Vfn. zugibt.