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Ausgabe:

April/1997

Spalte:

324 f

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Baudler, Georg

Titel/Untertitel:

El Jahwe Abba. Wie die Bibel Gott versteht.

Verlag:

Düsseldorf: Patmos 1996. 263 S. 8°. Kart. DM 44,80. ISBN 3-491-77981-2.

Rezensent:

Pekka Särkiö

Der Vf. ist Professor für katholische Theologie und ihre Didaktik an der Technischen Hochschule in Aachen. Er hat in seinen früheren Publikationen u. a. die Beziehung zwischen Gott und dem Femininen sowie Gewalt und Gewaltlosigkeit in den Religionen behandelt.

Der Ausgangspunkt für das vorhandene Buch ist das gewalttätige Gottesbild der Bibel, das allgemein Anstoß erregt hat. Der Vf. versucht, den Ursprung des anstößigen Gottesbildes zu erklären und dadurch die gesellschaftliche Bedeutung der Bibel zu retten. Er rekonstruiert die Entwicklung der Gottesvorstellungen in der Bibel. Die verschiedenen Motivschichten in den biblischen Gottesvorstellungen sind in seiner Darstellung durch die drei Gottesnamen El, Jahwe und Abba geprägt.

Diese verschiedenartigen Motivreihen stehen teilweise zueinander in Widerspruch, da sie verschiedene "Phasen und Situationen eines geschichtlichen Entwicklungs- und Lernprozesses" wiederspiegeln (21). Die drei Motivreihen sind nicht chronologisch zu orten. Innerhalb des Neuen Testaments kann die älteste Phase z. B. in der Höllendrohung auftauchen. Umgekehrt kommen Elemente eines mütterlich-liebenden Gottes in älteren Schriften des AT vor. Nach dem Vf. ist das biblische Heilsdrama als Typus menschheitlicher und individueller Entwicklung zu verstehen, in deren Fortgang der dunkle Schatten Gottes, seine Tötungsgewalt, sich allmählich von ihm löst. Es ist die Geschichte der Suche nach dem befreiend-erlösenden Gottesantlitz (29).

Im ersten Hauptkapitel beleuchtet der Vf. die Ausgangssituation, die geschichtliche Entwicklung zur menschlichen Gewaltherrschaft im 2. Jt. v. Chr. Er vertritt die umstrittene Auffassung der feministischen Kulturgeschichte, wonach nomadische Hirtenkrieger die ansässigen Ackerbaukulturen um 2400 v. Chr. eroberten. Die Nomaden unterwarfen die friedliche matrifokale Urbevölkerung und setzten sich als Oberschicht fest. Die Hirtenkrieger übernahmen von der matrizentrischen Urbevölkerung die religiöse Gewaltfaszination. Aus der Verschmelzung von Menschenopfer der matrifokalen Frühkultur und kriegerischer Erobererkultur der Nomaden seien das vorderorientalische Gottkönigtum und im Zusammenhang damit Tötungsgewalt und scharfe gesellschaftliche Schichtung entstanden. Dies war nach dem Vf. auch der Ausgangspunkt für die bisherige kriegerische Geschichte.

Es ist jedoch fragwürdig, ob männliche Tötungs- und Gewaltfaszination allein oder überhaupt eine Erklärung für die Kriege ist. Vielmehr hat die Knappheit lebenswichtiger Ressourcen wie Wasser, Weiden und anbaufähiges Land seit dem Neolithikum Auseinandersetzungen verursacht (vgl. Gen 13,6 f.; 21,25). Auch Wertsachen, Handelswaren, Getreidesilos und Wasserreservoirs waren eine begehrte Beute für Räuber. Deshalb wurden die Städte seit der Urbanisierung in der Frühbronzezeit am Anfang des 3. Millenium mit Mauern und Toren befestigt. Dies gilt auch für die frühesten Stadtschichten des neolithischen Jericho. Zur beweglichen Verteidigung der Städte gehörten seit der Spätbronzezeit Streitwagen und Pferde, die nicht typische Waffen der Nomaden in Palästina waren (vgl. Baudler, 37 ff.).

Diese kulturelle Wandlung soll durch die Verdrängung matriarchaler Elemente reflektiert worden sein. Um seine Theorie zu stützen, verweist der Vf. ( 40) auf das Buch von Keel-Uehlinger (Göttinnen, Götter und Gottessymbole 1992, 60. 68), wonach die bildlichen Darstellungen von nackten Göttinnen weitgehend von kämpferischen Göttern abgelöst worden sind. Diese Entwicklung in Megiddo bezeichnet den Übergang von der Mittleren Bronzezeit zur Spätbronzezeit und steht in Verbindung mit der ägyptischen Kolonisation in Palästina (siehe Keel-Uehlinger 55 ff.). Sie hat also nichts zu tun mit der Invasion der Nomadenkrieger, anders als der Vf. zu verstehen gibt.

In den folgenden drei Hauptkapiteln behandelt der Vf. die Motivschichten des Gottesverständnisses: El-Schaddai, Jahwe und Abba. Der uralte El war den heimatlosen Kleinviehnomaden und unterdrückten Apiru-Leuten nahe. Er beanspruchte alle Tötungsgewalt ausschließlich für sich, während in den kanaanäischen Städten die Gottkönige die Tötungsgewalt für sich in Anspruch nahmen.

Nach der zweiten Motivschicht war der Bundesgott Jahwe, der "ich-bin-da"-Gott, mütterlich-väterlich rettende und bergende Schutzmacht des Volkes Israel. Nach der dritten Motivschicht kann jeder Mensch diesen Gott mit dem aramäischen Wort für ’Vater’ als seinen Abba ansprechen. Nach Ansicht des Vf.s ist in jeden Menschen die Lebensdynamik Jesu hineingeschenkt, die nach Gott als Abba ruft (215 f.). Besonders wird die dritte Motivschicht in den Gottesknecht-Liedern des Deuterojesaja deutlich.

Der dritten Motivschicht zufolge ist das erlösende Gottesantlitz im Gekreuzigten und Leidenden (vgl. Mt 25) zu finden. Als Folge daraus sollten die Christen Gastfreundschaft üben und dem hilflos Gewordenen Achtung geben. (227 f.).

Die Unterscheidung der drei Motivreihen des biblischen Gottesverständnisses durch den Vf. ist einleuchtend, aber nicht immer überzeugend. Der Leser fragt sich, ob die Motivschichten deutlich voneinander zu trennen sind. Es ist schwierig, einen Unterschied zwischen den Schutzgöttern El-Jahwe der Apiru-Leute und dem Jahwe der Israeliten zu sehen. Der Vf. bemüht sich zu zeigen, daß die aggressiven Züge des Gottesbildes zur primitivsten Motivschicht gehören und im wahren Gottesbild des Neuen Testaments abwesend sind. Daraus folgt s. E., daß der Kreuzestod Jesu in den frühesten Schriften des NT nicht als Sühnopfer verstanden wurde (114-117). Hinweise auf diese Deutung des Todes Jesu gibt es jedoch in den Briefen des Paulus (u. a. 1Kor 5,7).

Das vorliegende Buch ist vor allem ein theologischer Beitrag, der den Ursprung der verschiedenen, auch dunklen Dimensionen des biblischen Gottesbildes zu beleuchten versucht. Eine große Menge biblischer Texte von der Urgeschichte bis zu den Gleichnissen Jesu wird theologisch reflektiert.

Der Vf. zieht von den biblischen Texten auch Linien zu den weltpolitischen Ereignissen unserer Zeit. Am Schluß des Buches steht ein Kapitel über die Theodizeefrage nach Auschwitz. Es ist möglich, das Buch auch ohne vorherige Kenntnisse über Exegese zu lesen, weshalb es sich auch für breitere Leserkreise eignet.