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Ausgabe:

April/1997

Spalte:

323 f

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bail, Ulrike, u. Renate Jost [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gott an den Rändern. Sozialgeschichtliche Perspektiven auf die Bibel.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1996. 168 S. 8°. Kart. DM 58,­. ISBN 3-579-01840-X.

Rezensent:

Peter Pilhofer

Die Sammlung ist Willy Schottroff zum 65. Geburtstag gewidmet. Sie zerfällt in vier Abteilungen. Abteilung I enthält Beiträge zum Alten Testament. Dorothee Sölle eröffnet diese mit einer Interpretation des Abschlusses der Sintflutgeschichte ("Wider den Gottesimperialismus. Eine sozialgeschichtliche Interpretation von Gen 8,1-12"; 11-16), in dem sie "das reine, pure Evangelium" findet (11). Renate Jost setzt sich mit einem Abschnitt des Richterbuches auseinander ("Der Fluch der Mutter. Feministisch-sozialgeschichtliche Überlegungen zu Ri 17,1-6"; 17-23). Michael Raskes Beitrag "JHWH oder Baal. Zur Unduldsamkeit eines Propheten" ( 24-31) befaßt sich mit 1Kön 18. Die These, daß Baal "bestehende Besitz- und Machtverhältnisse" "garantiert" (27), bedürfte einer Begründung. Frank Crüsemann interpretiert Ps 14 ("Gottes Ort. Israel- und Armentheologie in Ps 14"; 32-41), dessen V. 1 anders übersetzt wird (die Elohim aus V. 1a sind Subjekt der pluralischen Verben in V. 1b). Jürgen Ebach problematisiert die Übersetzungsalternative in Ps 85,11 (",Gerechtigkeit und Frieden küssen sich’ oder: ’Gerechtigkeit und Frieden kämpfen’"; 42-52), indem er annimmt, "daß hier ein Fall vorliegt, bei dem das Offenhalten der Alternative(n) (Kuß und/oder Kampf ­ Einander-Treffen oder/und Aufeinandertreffen) die größere Genauigkeit bewahrt" (46). Dieter Georgi ("Weisheitliche Skepsis und Charismatische Weisheit"; 53-63) befaßt sich mit Spr 30,1-4. Rainer Kesslers Beitrag trägt den Titel "Mirjam und die Prophetie der Perserzeit" (64-72). Jürgen Kegler behandelt "Die Fürbitte für den persischen Oberherrn im Tempel von Jerusalem (Esra 6,10)", in der er "Ein imperiales Herrschaftsinstrument" sieht (73-82).

Die Abteilung II besteht nur aus zwei Beiträgen: Franz Josef Stendebachs Aufsatz trägt den Titel: "Weisheitliche Mahnungen zu mitmenschlichem Verhalten. Eine Auslegung zu Sir 4,1-10" (83-90). Ulrike Bail wählt die reißerische Überschrift: "Susanna verläßt Hollywood. Eine feministische Auslegung von Dan 13" (91-98).

Die dritte, neutestamentliche Abteilung eröffnet Luise Schottroff: "Aus deutscher und feministischer Perspektive: die ’große Sünderin’ (Lk 7,36-50)" (99-107). Die von ihr postulierte Auslegungstradition zu dieser Perikope ist auch in Deutschland nicht ganz so einheitlich, wie sie anzunehmen geneigt ist.(1) "Las Casas und Paulus. Eine Meditation über zwei Bekehrungen" ist der Beitrag Fulbert Steffenskys überschrieben (108-112). Michael Bünker geht der Frage nach "Theologie und Ökonomie bei Paulus" nach ("Seid niemand etwas schuldig!" [Röm 13,8]; 113-129). Martin Leutzsch befaßt sich mit der in Röm 16,13 erwähnten Mutter des Rufus ("Eine namenlose Mutter"; 130-142). Martin Stöhr hält ein "Plädoyer für eine christliche Gesetzlichkeit. Zu Jak 2,1-13" (143-151), in dem er sich zu der These versteigt, daß die Tora ­ insbesondere auch für Christen ­ "Punkt für Punkt (Mt 5,17) gültig und praktikabel ist" (149). Ganz so einfach scheint auch der hier als Kronzeuge bemühte Verfasser des Matthäusevangeliums die Dinge freilich nicht gesehen zu haben (vgl. Mt 28,20a, wo gerade nicht das Halten der Tora eingeschärft wird!).

Die vierte und letzte Abteilung umfaßt zwei Beiträge: Leonore Siegele-Wenschkewitz behandelt "René Girards Sündenbock-Theorie als Anstoß zur Entschlüsselung von Sündenbock-Theologie" (152-164), indem sie diese auf Adolf Schlatters Broschüre "Wird der Jude über uns siegen" von 1935 anwendet, während Renate Wind gegenwärtigen "Spuren eines subversiven Dietrich Bonhoeffer" nachgeht ("Beten und Tun des Gerechten unter den Menschen"; 165-168).

Ein Verzeichnis der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, das man in einer Festschrift erwartet, fehlt ebenso wie ein Register (ein Stellen- und ein Sachregister wären hilfreich gewesen). Daß die Anmerkungen auch im Jahr 1996 nicht am Fuß der jeweiligen Seite erscheinen, erregt neben dem Mißvergnügen des Rezensenten auch die Frage nach dem benutzten Textverarbeitungssystem. Die gebotenen Aufsätze hätten Besseres verdient!

Fussnoten:

(1) So werden die einschlägigen Arbeiten von Ethelbert Stauffer nicht berücksichtigt ­ bei ihm erscheint die "große Sünderin" in einem völlig anderen Licht als in der von Luise Schottroff postulierten Auslegungstradition. (Dies gilt im übrigen mutatis mutandis auch für die im vorhergehenden Beitrag behandelte Susanna, die bei Stauffer im gleichen Zusammenhang diskutiert wird.) Grundmann und Bovon ist vielleicht doch etwas wenig, um "die" Auslegungstradition zu repräsentieren.