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Ausgabe:

April/1997

Spalte:

313–322

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Bertold Klappert

Titel/Untertitel:

Adventliche Hoffnung und kosmische Verwandlung "Die ganze Erde –­ die Fülle Seiner Herrlichkeit" (Jes 6,3)

Jürgen Moltmanns Christliche Eschatologie mit dem Titel Das Kommen Gottes* ist ein inspirierendes, wegweisendes, sprachlich und theologisch neue Perspektiven aufschließendes, dazu ein tröstliches Werk, aber ­ trotz der Eindringlichkeit der Sprache und Eindrücklichkeit der Formulierungen ­ kein leicht zu lesendes Buch. Versuchen wir zunächst, diese Eschatologie im allgemeinen zu charakterisieren:

a) M.s Werk ist eine summierende Eschatologie: Sie bündelt und faßt den Weg zusammen, den M. von der in Wuppertal geschriebenen und ca. 30 Jahre zuvor erschienenen "Theologie der Hoffnung" (1964) bis hin zu seiner im Advent 1994 abgeschlossenen Eschatologie in messianischen und apokalyptischen Dimensionen (1995) gegangen ist. M. hat den Rückbezug auf die "Theologie der Hoffnung" immer wieder sichtbar gemacht (vgl. 22, 39, 151, 166 u. ö.), er hat auch Korrekturen an damaligen Aussagen benannt (vgl. 89, 93). Der entscheidende theologisch-verheißungsgeschichtliche Ansatz ist dennoch geblieben und durch alle Bücher M.s hindurch kontinuierlich erkennbar, so daß in der Tat "ein gewisses Programm" (13) entstanden ist. M. legt seine Summa eschatologica vor.

Als kritische Eschatologie und Eschatologie der Krisis ist sie zugleich Dokumentation einer "öffentlichen Theologie" (15).

b) M.s Eschatologie ist eine integrierende Eschatologie: Sie bündelt, was sonst auseinanderfällt oder als Alternative verstanden wird: Individualeschatologie (Kap. II), Eschatologie der Geschichte (Kap. III), Eschatologie der Natur (Kap. IV) und Eschatologie Gottes (Kap. IV). Dabei integriert sie in einer bestimmten Perspektive und Akzentuierung: "In diesem Buch über Eschatologie laufen die verschiedenen Horizonte des ewigen Lebens (Kap. II), des ewigen Reiches (Kap. III) und der ewigen Schöpfung (Kap. IV) auf einen Punkt zu: auf die kosmische Schechina Gottes (Kap. V): Gott will zu seiner ’Wohnung’ in seiner Schöpfung... kommen" (13). Von daher kann M. die "Grundfrage biblischer Eschatologie" wie folgt formulieren: "Wann wird sich Gott in seiner Gottheit an Himmel und Erde erweisen? Und die Antwort liegt in der Verheißung des kommenden Gottes" (16) und lautet: "Die ganze Erde ­ (wird sein) die Fülle seiner Herrlichkeit" (Jes 6,3), wie ich, anders als M., um die Intention M.s klarer herauszubringen, Jes 6,3 übersetzen möchte.

Als integrierende will M.s Eschatologie auch eine Auslegung der 2. Bitte des "Vater-Unsers" sein (16): Dein Reich komme! Aber dann heißt es doch ­ der Perspektive der kosmischen Einwohnung Gottes (Jes 6,3) entsprechend: "Integraler als das geschichtliche Symbol ’Reich Gottes’ ist darum das Symbol der kosmischen Eschatologie von der ’Neuschöpfung aller Dinge’" (151). Neuschöpfung aller Dinge und kosmische Einwohnung Gottes im Sinne von Jes 6,3 und 1Kor 15,28 sind also nicht integriert in das Kommen des Reiches Gottes und seiner Tora-Gerechtigkeit (Dein Reich komme ­ Dein Tora-Wille geschehe!), sondern umgekehrt. Geht das exegetisch und theologisch-systematisch? Ist 1Kor 15,28 "Gott alles in allem" nur von Jes 6,3 her zu interpretieren? Wir werden am Schluß auf diese Fragen zurückkommen.

c) M.s Eschatologie ist eine jüdisch beeinflußte Eschatologie: M.s "eschatologisches Bedenken der Einwohnungen Gottes" mit dem Zielpunkt der "eschatologischen Schechina Gottes", die die ganze Schöpfung neuschafft und erfüllt (13), ist vom gesamtbiblischen, aber darüber hinaus auch vom gegenwärtigen jüdischen Denken zutiefst geprägt und geformt: "Deshalb ist auch in dieser Eschatologie "leicht erkennbar, wie sehr und tief mich israelitisches und gegenwärtiges jüdisches Denken beeinflußt haben. Ich nenne dafür dankbar Ernst Bloch und Franz Rosenzweig" (13).

In der Tat: Ich kenne kein (wohlgemerkt!) dogmatisches Werk, das sich nach K. Barth, H. J. Iwand, H. Gollwitzer, H.-J. Kraus und Fr.-W. Marquardt so stark auf das Judentum bezogen und vom Judentum gelernt hat, wie die "Systematischen Beiträge zur Theologie" M.s.

I. Das Kommen Gottes

(Grundkategorien christlicher Eschatologie)

In Kap. I entfaltet und präzisiert M. die von ihm vertretenen Grundkategorien des Eschatologischen, indem er sich von zwei Entwürfen von Eschatologie (§ 1 und § 2) abgrenzt, um sein eigenes gesamtbiblisches Konzept zu entfalten (§ 3) und durch die Wiederentdeckung des messianischen-apokalyptischen Denkens im Judentum (§ 4) zu vertiefen.

1. Die horizontal-lineare Eschatologie (I § 1)

Die Grundkategorie der christlichen Eschatologie grenzt M. zunächst gegenüber einer horizontal-linearen Eschatologie ab und charakterisiert eine solche als Vergeschichtlichung und "Verzeitlichung" (§ 1). Gemeint ist eine heilsgeschichtliche Eschatologie, wie sie insbesondere von O. Cullmann vertreten worden ist: Gegenwart und Zukunft, Schon und Noch-Nicht liegen dabei "auf ein und derselben Zeitlinie" (22). Christus ist als "die Mitte der Zeit" die Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen und zugleich der Ausgangspunkt für die als Enthüllung verstandene Vollendung. Diese heilsgeschichtliche Eschatologie versteht den Zusammenhang von Verheißung, Erfüllung in Christus (als "Mitte der Zeit") und Enthüllung als Prozeß innerhalb der linearen Zeit (29). Es handelt sich um ein an einem Heilsplan Gottes orientiertes schöpfungstheologisch-heilsgeschichtliches Denken.

Dieses schöpfungstheologisch-heilsgeschichtlich-eschatologische Denken ordnet den Bund Gottes mit Israel dieser horizontal-linearen Eschatologie ein und unter. M. hat darin Recht, daß "diese heilsgeschichtliche Eschatologie... wohl die am weitesten verbreitete christliche Eschatologie" darstellt (29).

Weil aber in diesem horizontal-linearen Zeitdenken die Zeit aus der Zukunft in die Vergangenheit fließt und so aus aller denkbaren Zukunft notwendig immer wieder Vergangenheit wird, lautet die entscheidende Kritik M.s: "Auch die heilsgeschichtliche Verzeitlichung der Eschatologie hebt diese (Geschichte und Parusie Christi) im Grunde auf und unterwirft sie Chronos, der Macht der Vergänglichkeit" (30).

2. Die vertikal-existentiale Eschatologie (I § 2)

Die Grundkategorie der christlichen Eschatologie grenzt M. sodann gegenüber einer vertikal-existentialen Eschatologie ab und charakterisiert eine solche als Eschatologie der Entweltlichung und "Verewigung" (§ 2). Gemeint ist eine transzendentale Eschatologie, wie sie insbesondere von R. Bultmann entwickelt und von Barth der dialektischen Phase zeitweise vertreten, dann aber wieder verlassen worden ist. Meinte eine heilsgeschichtliche Eschatologie, sich auf das lukanische Doppelwerk beziehen zu können, so hat Bultmann das Programm seiner vertikal-existentialen Eschatologie mit Vorliebe am Johannesevangelium entfaltet. Existentiale Eschatologie handelt vom gegenwärtigen Augenblick Gottes im Kerygma (Joh 4,25). M. hat seine entscheidende Kritik zu Recht so formuliert: "Bultmanns existentiale Interpretation der Eschatologie ist in ihrer Konzentration auf das eigene, individuelle Existieren richtig, in der Ausblendung der Weltgeschichte und der Naturgeschichte aber nicht hilfreich... Menschen individualisieren nicht nur Geschichte, sondern partizipieren auch an ihr und fragen darum nicht nur nach sich selbst, sondern auch nach der Zukunft jener Welt, an der sie teilnehmen und deren Objekte sie sind" (37 f.).

3. Die adventlich-antizipatorische Eschatologie (I § 3)

Die Grundkategorie seiner eigenen christlichen Eschatologie charakterisiert M. im Kontext dieser Abgrenzungen als adventliche "Eschatologie des kommenden Gottes" (§ 3). Und zwar entfaltet M. diese (wie ich formulieren möchte) adventlich-antizipatorische Eschatologie zunächst im gesamtbiblischen Kontext: "Das ’Eschaton’ ist weder das Futur der Zeit (vgl. § 1), noch die zeitlose Ewigkeit (vgl. § 2), sondern die Zu-kunft und An-kunft Gottes" (39). Damit unterscheidet M. ­ in Aufnahme der "Theologie der Hoffnung" ­ den Advent und die Zukunft Gottes von jedem linearen Futur und jeder weltlosen Verewigung.

M. entwickelt seine Grundunterscheidung zwischen Futur und Advent anhand einer Exegese von Apk 1,4 und zugleich in Abgrenzung von E. Jüngels Barth-Interpretation "Gottes Sein ist im Werden", indem er formuliert: "Gottes Sein ist im Kommen, nicht im Werden" (40). Charakteristisch für M.s gesamtbiblisches Verständnis der von ihm herangezogenen Stellen ist dabei, daß er alle Abraham-, Exodus- und das Kommen der Herrschaft Gottes ankündigenden Aussagen (Ex 3,14; Jes 35,4; 40,5; 60,1 usw.) auf Jes 6,3 (die ganze Erde [wird sein] die Fülle seiner Herrlichkeit), Jes 43,18 f. und 2Kor 5,17 hin interpretiert und damit schöpfungseschatologisch finalisiert. Die Kategorie Novum meint creatio veteris (nicht ex vetere!, 45, 298): "Es tritt nicht eine andere Schöpfung an die Stelle dieser Schöpfung... Der kommende Gott (ist)... der seiner Schöpfung treue Gott. Die creatio nova ist darum die Neuschöpfung dieser an ihrer Sünde und ihrem Unrecht zugrundegegangenen Schöpfung" (46). M., der in ambivalenter Weise im Anschluß an von Rad Jes 43,18 f. primär von Bruch und Neuschöpfung her, nicht aber wie Zimmerli bzw. nicht so eindeutig von dem durch den Bruch hindurch seinem Volk Israel die Treue haltenden Gott Israels her interpretiert, kann sogar mit Blick auf Jes 43,18 sagen, "daß die Hoffnung an die Stelle des Gedenkens tritt" (45).

Wohl kaum! Denn die Abraham- und Exodusgeschichte geht nicht auf in der Bedeutung, "Vorschein des Neuen" und "Prolog der Zukunft" und Neuschöpfung zu sein (45). Das hebt die Wichtigkeit und Richtigkeit der von M. getroffenen Unterscheidung zwischen Futur und Advent nicht auf ­ im Gegenteil: "Zur Erfahrung des kommenden Gottes und zum adventlichen Zeitbegriff... gehört die Kategorie Novum notwendig hinzu, weil sie durch jene eröffnet wird" (47).

4. Die messianisch-apokalyptische Eschatologie des Judentums (I § 4)

Die christologische Eschatologie M.s verlangt nun aber über die gesamtbiblische Fundierung hinaus ­ so hat es M. im Weg Jesu Christi bereits entwickelt ­ auch eine Orientierung am israelitisch-jüdischen Denken und Hoffen und also eine Sensibilisierung für eine messianisch-apokalyptische Eschatologie (§ 4). Gemeint ist die "Wiedergeburt des messianischen Denkens im Judentum" (47 ff.). M.s adventliche Eschatologie vergewissert und präzisiert sich hier durch die Erarbeitung der Kategorien des messianisch-apokalyptischen Denkens im Judentum bis heute. Es handelt sich hier also weder um einen etwas ausführlich ausgefallenen Seitenblick, noch auch um einen zur Not auch zu vernachlässigenden Exkurs, sondern in Wahrheit um die von der messianisch-apokalyptischen Christologie her theologisch notwendige Sensibilisierung und Vergewisserung einer christlichen Eschatologie im messianisch-apokalyptischen Denken des Judentums von Bloch über Rosenzweig bis zu Taubes. Ich muß hier auf alle Details verzichten. Die Lektüre dieses sehr dichten und gewichtigen § 4 ist nicht leicht. Aber man täusche sich nicht: Hier werden die in der Christologie begründeten Kategorien von M.s adventlicher Eschatologie präzisiert und konturiert.

Indem M. seine adventliche Eschatologie sowohl von der horizontal-heilsgeschichtlichen als auch von der vertikal-existentialen Eschatologie abgrenzt und zugleich im jüdisch-messianischen Denken zur Vernunft und auf den Begriff bringt (64), sind wichtige Vorentscheidungen gefallen, die in den folgenden Kapiteln II-IV zur Anwendung gelangen.

Um dies nur an wenigen, aber wichtigen Beispielen zu verdeutlichen: Grenzt M. sich in Kap. II von dem traditionellen Verständnis der Unsterblichkeit der Seele und jeglichem Verständnis des ewigen Lebens als "Verewigung", ab, so kommt darin seine Abgrenzung von der vertikal-zeitlosen Eschatologie der Verewigung (I § 2) zur Anwendung. Und grenzt sich M. in Kap. III von allen Formen eines säkularisierenden Chiliasmus und säkularisierter Apokalyptik ab, so kommt darin seine Abgrenzung von der horizontal-linearen Eschatologie der Vergeschichtlichung (I § 1) zur Anwendung. Umgekehrt sind alle in den Kap. II-IV vorgetragenen positiven Aussagen Anwendungen und Durchführungen der in I § 3 gesamtbiblisch und christologisch entwickelten und in I § 4 jüdisch-vergewisserten adventlichen Eschatologie.

II. Das Leben der zukünftigen Welt

(Personale Eschatologie)

Es ist M.s grundlegende systematische These, daß die Gotteseschatologie (Kap. V) und die kosmische Eschatologie (Kap. IV), die inhaltlich sehr eng zusammengehören, sowohl die Eschatologie der Geschichte (Kap. III) als auch die Individualeschatologie (Kap. II) übergreifen (13, 150 f.). Dennoch beginnt M. mit der personalen Eschatologie: "Weil die noetische Ordnung... immer (!) die Umkehrung der ontischen Ordnung der Dinge ist, muß (!) unsere Erkenntnis nicht mit dem Grund (bzw. Übergreifenden, Integrierenden), sondern mit der Wirkung beginnen" (16). Das mag didaktisch sinnvoll sein. Der Einsatz bei der Individualeschatologie ist aber über das didaktisch Sinnvolle hinaus für M. auch sachlich insofern stringent, weil so die kosmische Eschatologie der Natur zugleich mit der kosmischen Einwohnung Gottes (Kap. IV) als das umfassende Ziel und das umgreifend Integrierende dargelegt werden kann. Nicht: Dein Reich komme!, sondern: Gott erfüllt kosmisch alles in allem!, wird so zur entscheidenden Perspektive der Eschatologie M.s.

M.s christologisch-pneumatologische Antwort auf die Fragen "Gibt es etwas, was sich im Menschen durchhält? Wo sind die Toten?" erfährt durch die von ihm vorgenommenen Abgrenzungen eine erhebliche Präzisierung. Sie müssen hier deshalb genannt werden:

1. Kein Purgatorium (die katholische Tradition) (II § 4,1)

Ist die Christusgemeinschaft der Toten und Lebenden eine Gemeinschaft der Liebe und der Hoffnung, damit auch eine Gemeinschaft in der Gefahr (127), so ist sie doch von der versöhnenden Stellvertretung Christi und der Tiefe der Höllenfahrt Jesu Christi her (281) keine "Sühnegemeinschaft" (117, 127) mit Totenmessen und Gebet für die Toten (117): "Wir müssen nichts für die Erlösung der armen Seelen im Purgatorium tun, denn Christus hat genug für sie getan" (129).

Die Vorstellung vom Purgatorium projiziert nicht nur nach reformatorischer Lehre die Werkgerechtigkeit über den Tod hinaus, indem sie "ja nur die Fortsetzung des Bußweges vor dem Tod" darstellt (119). Sie ist ­ M. spielt damit auf das in Kap. I §1 kritisierte horizontal-lineare Denken in der Eschatologie wieder an ­ zugleich "die Projektion der (linearen) Zeit und des Raumes der Lebendigen auf die Fortexistenz der Seele" (122).

2. Kein Seelenschlaf (die lutherische Tradition) (II § 4,2)

Luther hat nicht nur aus philosophischen, sondern entscheidend aus rechtfertigungstheologischen Gründen die Lehre vom Purgatorium abgelehnt und durch die vom Seelenschlaf ersetzt. Entscheidend sieht M. den Reformator durch eine bestimmte Zeitlehre und ein bestimmtes eschatologisches Zeitverständnis bestimmt: "Der ’jüngste Tag’ ist der ’Tag des Herrn’, und die Zeit Gottes ist die Zeit der ewigen Gegenwart... Wie lange ist es dann also von dem Tod eines Menschen in der Zeit bis zur endzeitlichen Auferweckung der Toten? Antwort: Genau ein Augenblick!" (122).

Lehnt M. die katholische Purgatoriumslehre wegen des horizontal-linearen Zeitverständnisses ab, so kritisiert er Luther wegen seines vertikal-eschatologischen Zeitverständnisses, wie er es in Kap. I § 2 unter dem Stichwort der "Eschatologie der Verewigung" dargestellt und problematisiert hat.

3. Keine "Auferstehung im Tod" (die moderne katholische Theologie) (II § 4,3)

In diesem Denkversuch moderner katholischer Theologie wird­ ganz in der Nähe zu Luther ­ nicht nur "die Vorstellung eines körperlosen Zwischenzustandes der Seele im Purgatorium", sondern "auch der Ablaß für die Toten und die Totenmessen überflüssig" (123 f.). Das ist ein wichtiger Schritt nach vorn! Entscheidend ist aber für M. nicht nur die Nähe dieser katholischen Theologen (Rahner, Greshake, Lohfink) zum vertikal-eschtologischen Denken Luthers, sondern auch die problematische und im Abschnitt über die Neugeburt des messianischen Denkens im Judentum (Kap. I § 4) bereits abgelehnte Vorstellung von der Erlösung "aus dieser unerlösten Welt" (63). Deshalb lautet das entscheidende Gegenargument M.s: "Würden wir schon in unserem eigenen Tod auferstehen, dann wären wir aus ’dieser unerlösten Welt’ erlöst und unsere leibliche Solidarität mit dieser Erde wäre aufgelöst... Erst die neue Erde gibt die Möglichkeit für die neue Leiblichkeit der Menschen" (124). Die Gemeinschaft Christi mit den Toten und Lebenden einerseits und die Auferweckung der Toten in das Leben der zukünftigen Welt andererseits müssen unterschieden werden. Das aber bleibt unberücksichtigt in der These von der "Auferstehung im Tod", derzufolge jeder Mensch, wann immer er auch stirbt, "Gott zur gleichen Zeit, nämlich in... der [ewigen] Gegenwart" Gottes begegnet (123).

III. Das kommende Reich Gottes

(weltgeschichtliche Eschatologie)

In Kap. III entwickelt M. eine christliche Eschatologie der Weltgeschichte oder eine "weltgeschichtliche Eschatologie" (152). Behandelte Kap. II individualeschatologisch das Leben der zukünftigen Welt mit der Christusgemeinschaft als Weg dorthin, so behandelt Kap. III das Kommen des Reiches Gottes mit dem messianischen Gerechtigkeits- und Friedensreich Jesu Christi als Übergang dorthin. Menschliche Wesen sind nämlich nicht nur Individuen im Sinne der Individualeschatologie, sondern auch und fundamental "soziale Wesen" (150, 88). Deshalb gibt es das Leben der zukünftigen Welt (Kap. II) "nur im Reich Gottes" (150). Das kommende Reich Gottes (Kap. III) ist also gegenüber dem Leben der zukünftigen Welt "das integralere Symbol der eschatologischen Hoffnung" (151), wie M. zu Recht meint, obwohl M. gegenüber den von ihm selber vorgenommenen Abgrenzungen (vgl. Kap. I § 2 und II § 4, 1-3) oft sehr mißverständlich vom "ewigen Leben" statt vom "Leben der zukünftigen Welt" spricht. Gegenüber der gängigen Rede von der Parusieverzögerung und der diese begründenden These, "daß Jesus sich getäuscht habe", die schon Barth als "die in ihrer Art größte Trivialität aller Zeiten" charakterisiert hatte, stellt M. die historisch und theologisch sachgemäße These auf: "Die eschatologische Geschichte des Christentums ist nämlich nicht eine Geschichte enttäuschter Hoffnung oder ausbleibender Parusie Christi, sondern eine Geschichte vorzeitig erfüllter Hoffnung im präsentischen Millenarismus [d. h. säkularisierten Gegenwartschiliasmus]. Nicht die Enttäuschung, sondern die Erfüllung war für zweitausend Jahre das Hauptproblem des Christentums" (169).

1. Die Gestalten des säkularisierten Messianismus (III §§ 3-6)

Es kann hier nicht eigens nachgezeichnet, sondern nur darauf hingewiesen werden, wie M. diese These am historischen Detail erläutert, indem er die verschiedenen Gestalten des säkularisierten Gegenwartschiliasmus als illegitime Vorwegnahmen des biblisch-eschatologischen Messianismus darstellt: den politisierenden Chiliasmus des Heiligen Reiches Konstantins (§ 3), den klerikalisierenden Chiliasmus der römisch-katholischen Kirche (§ 5), den neuzeitlichen Chiliasmus in der Geburt der "Neuzeit" und seiner universalgeschichtlich-idealistischen Variante (§ 6) und schließlich den politisierenden Chiliasmus, insbesondere der amerikanischen Erlöser-Nation (§ 4). Die Pax Romana verstand sich mit illegitimer Berufung auf Dan 7,18 (184, vgl. 117) als "die Verwirklichung der Pax Messianica und also des ’tausendjährigen Reiches’" (184). Auch die katholische Missionierung Lateinamerikas (191 f.) wie auch die evangelischen Missionen (192 f.) stehen im Bann dieser Tradition.

2. Die Gestalten der säkularisierten Apokalyptik (III §§ 8-9)

Sind die säkularisierenden Gegenwartschiliasmen in ihren politisierenden, imperialen, klerikalen und neuzeitlich-aufklärerischen Gestalten illegitime Vorwegnahmen der messianischen Eschatologie (§§ 3-6), so werden die verschiedenen Gestalten der säkularisierten "Apokalyptik" als illegitime Vorwegnahmen der biblischen, apokalyptisch-dualistischen Eschatologie dargestellt (III §§ 8-9): M. braucht für diese illegitimen politisierenden, historischen Vorwegnahmen nicht das dafür meistens mißbrauchte Wort "Apokalyptik", sondern zu Recht den Terminus "Exterminismus" (242-244). So analysiert und unterscheidet M. den nuklearen, den ökologischen und den ökonomischen "Exterminismus" (§ 8) und stellt schließlich den geschichtlichen Exterminismus dar (§ 9), der nach dem Zusammenbruch des realexistierenden Kommunismus vom Ende der Geschichte (250) und also einem "nachgeschichtlichen, alternativlosen Zustand" (251) träumt (250 ff, 154). M.s aus dem Realismus der biblisch-dualistischen Apokalyptik gespeiste Analyse und Prognose lautet dazu: "Es wird nicht die Langeweile der Kinder der Reichen sein, die zum Wiederaufleben der Geschichte führt, sondern das reale Elend der hungernden Massen und das nicht weniger reale Elend des zerstörten Erdsystems. Der Protest erniedrigter Menschen und die vergewaltigten Erdorganisationen werden diesen Zustand der Welt nicht so lassen, wie er ist" (252).

3. Das Ziel der weltgeschichtlichen Eschatologie
(III § 11) (die Wiederbringung aller Dinge)

Im § 11 kommt M. schließlich zur Bündelung der beiden bisher behandelten Dimensionen einer adventlichen Eschatologie: zur Bündelung der messianisch-chiliastischen (§§ 3-7) und der apokalyptisch-dualistischen (§§ 8-10) Eschatologie unter dem das Reich Gottes umschreibenden Stichwort der "Wiederbringung aller Dinge" (§ 11, 262 ff.). Dabei erscheinen mir weder M.s Kritik am Tun-Ergehens-Zusammenhang (100, 135 f.), noch sein Hinweis darauf, "daß Allversöhnung und doppelter Gerichtsausgang... beide biblisch gut bezeugt" seien (269), exegetisch und theologisch überzeugend. Denn der Tun-Ergehens-Zusammenhang ist auch neutestamentlich von der Geltung der Tora des Gottes Israels her unverzichtbar und bekommt, was die Werke des Menschen anbetrifft, bleibendes Gewicht. Und die Endgerichtsaussagen (z.B. in Mt 25) sind doch nicht demonstrativ-beschreibend, sondern prophetisch-performativ, d. h. zur Umkehr rufend zu verstehen (270 f.).

Überzeugend und weiterführend erscheinen mir demgegenüber M.s christologische Ausführungen über die Höllenfahrt Christi und die Einbringung aller Dinge (278 ff.), die in dem Satz gipfeln: "Das ’jüngste Gericht’ ist kein Schrecken, sondern in der Wahrheit Christi das Wunderbarste, was Menschen verkündet werden kann. Es ist eine Quelle unendlich tröstender Freude zu wissen, daß die Mörder nicht nur nicht endgültig über ihre Opfer triumphieren werden, sondern sie nicht einmal in Ewigkeit [hier spielt also doch der Tun-Ergehens-Zusammenhang eine wichtige Rolle!] die Mörder ihrer Opfer bleiben können. Die eschatologische [messianisch-reichsgeschichtliche] Lehre von der ’Wieder [besser: Ein-]bringung aller Dinge’ hat diese beiden Seiten: das zurechtbringende Gericht Gottes [ich sage: mit dem von der Tora her ernstzunehmenden Tun-Ergehens-Zusammenhang!] und das zu neuem Leben erweckende Reich Gottes" (284).

Dabei ist hier weiter positiv zu notieren, daß M. in seinen an Luther wie Calvin (280) orientierten und in der Nachfolge Iwands und Barths stehenden sehr eindrücklichen Aussagen über die Tiefe der Gottverlassenheit Jesu im Kreuz zu einer wirklichen Lehre von der Stellvertretung Christi im Sinne des EPHAPAX vorstößt: "Folgen wir der Methode, auf eschatologische Fragen christologische Antworten zu geben, dann dürfen wir nicht in die Ferne schweifen, wenn wir die Weite der christlichen Hoffnung ermessen wollen, sondern müssen uns in die Tiefe des Kreuzestodes Christi auf Golgatha versenken. Nur dort finden wir die Gewißheit der Versöhnung ohne Grenzen und den wahren Grund der Hoffnung auf die ’Wiederbringung aller Dinge’... und die Neuschöpfung der Welt zum ewigen Reich" (278, 290).

IV. Neuschöpfung der Natur und Einwohnung Gottes

(kosmische Eschatologie)

"Christliche Eschatologie muß zur kosmischen Eschatologie ausgeweitet werden" (285). Die universal-eschatologische Hoffnung auf die Auferweckung der Toten und das kommende Reich Gottes (Kap. III) zielen auf die Neuschöpfung von Himmel und Erde und die kosmische Einwohnung Gottes (Kap. IV). Deshalb ist für M. die Neuschöpfung von Himmel und Erde das Integralere (151, 285) gegenüber der Individualeschatologie (Kap. II) und der Universaleschatologie (Kap. III). Sowohl die in Kap. III soeben vorgestellte messianisch-chiliastische Eschatologie mit Übergang und Wegbereitung zum Reich Gottes als auch die apokalyptisch-dualistische Eschatologie mit Abbruch, Gericht und Ende bereiten zusammen das Eigentliche, die Neuschöpfung aller Dinge vor.

Auch das Kap. IV stellt vom Inhalt her hohe Anforderungen an das Verstehen der Leser und Leserinnen, auch weil M. sich öfter einer Terminologie bedient, die eher aus der Tradition der von ihm abgelehnten Zeit-Ewigkeits-Dialektik (Kap. I § 2) als aus der von ihm selber intendierten adventlich-antizipatorischen Eschatologie (Kap. I § 3, § 4) stammt. Ich versuche, M.s These von dem (der Individual- und Universal-Eschatologie gegenüber) Integraleren der kosmischen Eschatologie anhand folgender (die Intention M.s sprachlich präziser fassenden) Neuformulierungen herauszuarbeiten und fasse damit auch das bisherige Ergebnis meines Verstehens zusammen:

Die Vollendung der zeitlichen, d. h. mit der Zeit geschaffenen Schöpfung ist a) in der personalen Eschatologie der Übergang des ganzen gelebten menschlichen Lebens in das Leben der zukünftigen Welt (Kap. II), ist b) in der geschichtlichen Eschatologie der Übergang der durch Abbruch und Ende hindurchgehenden Weltgeschichte in das kommende Reich Gottes (Kap. III) und ist ­ so leitet meine vorlaufende Zusammenfassung des Folgenden ­ c) in der kosmischen Eschatologie der Übergang der zeitlichen, mit ihrem Anfang auf Vollendung angelegten Schöpfung in die Neuschöpfung bzw. Vollendung der Schöpfung in Herrlichkeit, die in der allgegenwärtigen Einwohnung Gottes (Schechina) in der neugeschaffenen Schöpfung kulminiert. "Die Vollendung der Schöpfung in Herrlichkeit" (290), antizipierend erfahren im kairos von Sabbat und Sonntag, koinzidiert mit der vollendeten Einwohnung der Herrlichkeit Gottes (Schechina) in der Schöpfung.

M. beginnt die kosmische Eschatologie in § 1 und § 2 mit einer Einführung in deren Grundkategorien.

1. Neuschöpfung, nicht Wiederherstellung

Im Rahmen eines restaurativen Modells der restitutio in integrum (288) wird die von Anfang an vollkommene, durch die Sünde gestörte Schöpfung aufgrund der Gnade Gottes zu der guten ursprünglichen Schöpfung wiederhergestellt (288). Das bedeutet im Hinblick auf die Zeitfrage: "Nach dem restitutio-in-integrum-Modell beginnt die Geschichte erst mit dem Sündenfall. Mit ihm beginnt die Zeit und mit der Wiederherstellung der ursprünglichen Schöpfung endet die Zeit" (290 f.). Im Rahmen seiner kosmischen Eschatologie geht es M. deshalb nicht um die Wiederherstellung des ursprünglichen Anfangs, sondern um das Zugleich der "Neuschöpfung aller Dinge" mit dem Ziel "der universalen Einwohnung Gottes in ihr" (288).

2. Verwandlung und Verklärung, nicht Vernichtung

Gegenüber der von der lutherischen Orthodoxie im 17. Jh. vertretenen These ­ "Nicht Verwandlung, sondern Vernichtung ist das letzte Schicksal der Welt" (295) ­ verwendet M. das aus der reformierten Tradition stammende Verständnis der Neuschöpfung als transformatio (297 ff.) und das aus der orthodoxen Tradition stammende Verständnis der Neuschöpfung als transfiguratio (299 ff.): "Die Einheit von Novität und Identität nennt die reformierte Tradition transformatio mundi... Die annihilatio mundi [von den orthodoxen Lutheranern des 17. Jh.s gelehrt] ist in die Transformation der Welt eingeschlossen, weil die Neuschöpfung von Himmel und Erde die Vernichtung des jetzigen [bösen] Zustandes der Welt voraussetzt. Die Transformation setzt aber die Identität der Welt als Schöpfung Gottes voraus, weil sonst an die Stelle der Schöpfung etwas ganz anderes... treten müßte" (298).

3. Vollendung, nicht nur Erlösung von der Sünde

Eine letzte Präzisierung ist m. E. wichtig, und sie wird insbesondere gegenüber der reformierten transformatio-Lehre ausformuliert. K. Barth hatte unter Aufnahme einer entsprechenden These Osianders, Gott wäre auch Mensch geworden, wenn Adam nicht gefallen wäre, in bundestheologischer Perspektive formuliert: Gott wäre zur Erfüllung seines Bundes mit Israel und der Menschheit auch jüdischer Mensch geworden, wenn Adam nicht gesündigt hätte. Diese aus bundestheologischem Kontext stammende These Barths hat M. in seinen kosmisch-eschatologischen Kontext übertragen: "Die Vollendung der zeitlichen in der ewigen [besser: zukünftigen] Schöpfung schließt die Erlösung von Sünde, Tod und Vernichtung ein, geht aber nicht in ihr auf. Auch ohne die Sünde wäre die Schöpfung vollendet worden" (291). Mit anderen Worten: Die neue Schöpfung, soll sie eine verherrlichte sein, muß nicht nur in Beziehung auf die Welt der Sünde und des Todes neu, sondern auch in Beziehung auf die erste zeitliche Schöpfung erneuert werden (glorificatio), denn Schöpfung ist ein offenes System. Nicht nur die Gestalt der vergehenden Welt der Sünde und des Todes muß beseitigt, sondern auch an (!) den "substantiellen Bedingungen geschöpflichen Daseins selbst" (299) muß es zu Veränderungen kommen. Gemeint ist die Zerbrechlichkeit und Nichtabgesichertheit der anfänglichen Schöpfung gegenüber der Sünde und dem Nichtigen. Ich spreche dabei im Unterschied zu M. nicht von Änderungen der (!) substantiellen Bedingungen und auch nicht von der Ge-, sondern von der Zerbrechlichkeit der anfänglichen, zeitlichen, auf Vollendung von Anfang an angelegten Schöpfung: "Der Ausdruck transformatio greift nicht tief genug [obwohl er m. E. so erweitert werden könnte!], um diese Veränderung in (!) den Fundamenten der Welt zu begreifen" (299).

Die kosmisch-eschatologische Verwandlung der Schöpfung ist also darin eine gründliche Verwandlung, daß nicht nur die Beseitigung der Form und des Schemas der Welt der Sünde und des Nichtigen, sondern auch eine Verwandlung "in (!) den Fundamenten der Welt" und am (!) Grund ­ nicht "des Grundes" (299) ­ der geschöpflichen Welt gemeint ist. Es geht also um die Treue und Freiheit Gottes, seine einmal geschaffene raumzeitliche Schöpfung durch deren Vollendung in Herrlichkeit (290) so zum Ziel zu bringen, daß nicht nur das Schema der vergehenden Welt vernichtet, sondern auch die dem Nichtigen gegenüber noch nicht gesicherte, von Anfang an auf eine Vollendung angelegte zerbrechliche Schöpfung in der kommenden Weltzeit Gottes vollendet wird. Von einer "Möglichkeit" (99, 336) und Fähigkeit (299) der zeitlichen Schöpfung zur Sünde (posse) würde ich freilich theologisch nicht sprechen können, insofern Sünde, Nichtiges und Tod zwar faktische und schreckliche Wirklichkeiten, aber von Gott her keine Möglichkeiten der anfänglichen, auf Vollendung angelegten Schöpfung sind.

V. Integrierende Eschatologie

M. vertritt zu Recht eine integrierende Eschatologie, die freilich in ihrer Spitze Kap. IV und Kap. V darauf hinausläuft, daß die kosmische Schechina das auch gegenüber dem kommenden Reich Gottes noch "integralere... Symbol" der Hoffnung darstellt (151 u. ö.).

M. geht es im Entscheidenden nicht nur um den Satz: keine weltgeschichtliche ohne kosmische Eschatologie!, sondern um mehr: nämlich um die Integralisierung aller Dimensionen der Eschatologie in eine kosmische Eschatologie. Und genau hier erheben sich die Fragen.

Ich möchte demgegenüber die These aufstellen, daß das kommende Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, daß also die kommende Gottesherrschaft das auch gegenüber der kosmischen Eschatologie integralere Moment darstellt. Dabei möchte ich zunächst (sozusagen Moltmann-immanent) darauf hinweisen, daß M. selber nicht selten in dieser Richtung redet und argumentiert: Was "die Auferweckung der Toten" personal sagt, beschreibt "die Vernichtung des Todes" als "die kosmische Seite des Vorgangs" (86, vgl. 131). Das läßt auf eine Inklusion der kosmischen Dimension der Eschatologie schließen. Entsprechend kann M. in Kap. IV ­ wie ich meine sachgemäß ­ formulieren: "Die Schöpfung wird aber neu geschaffen, um (!) das ’neue Jerusalem’ fassen zu können" (292). Die Neuschöpfung von Himmel und Erde geschähe demnach um des neugeschaffenen irdischen Jerusalem willen. Ähnlich heißt es in Kap. IV §5: "Die Stadt Gottes ist das Zentrum der neuen Schöpfung" (338), wobei M. sachgemäß diese neue Stadt Gottes "Reichsgottesstadt" nennt (345).

Dann legt sich auch von daher der Schluß nahe, daß die unverzichtbare und von M. zu Recht mit so großem Nachdruck herausgestellte kosmische Dimension der Eschatologie in der umfassenderen des kommenden Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit aufgehoben und integriert ist. Derselbe Sachverhalt läßt sich auch noch anders umschreiben. M. stellt zu Beginn von Kap. IV die Frage: "Ist die Erlösung im Lichte der Schöpfung oder die Schöpfung im Licht der Erlösung zu verstehen?" (287). Und M. antwortet m. E. zunächst richtig, daß die protologische Schöpfung theologisch von der eschatologischen Neuschöpfung her zu verstehen ist. Aber die entscheidende Frage ist dann doch, ob nicht Schöpfung wie Neuschöpfung bzw. die von der Neuschöpfung her verstandene Schöpfung noch einmal und entscheidend von Bund und Reich Gottes (in dieser Reihenfolge) her zu verstehen sind, so daß die Schöpfung um des Bundes willen und die Neuschöpfung um des Reiches Gottes willen geschieht.

Ich kann den in Frage stehenden Sachverhalt exegetisch auch so formulieren: In seiner erhellenden Interpretation von Apk 1,4 weist M. darauf hin, daß das Bekenntnis zu dem Gott, "der da ist, und der da war und der da kommt", das Bekenntnis zu dem kommenden Gott ist, das den linearen Zeitbegriff (der da ist, der da war, der da sein wird) durchbricht (40). Das verweist eindeutig auf den Advent als Primat der Eschatologie. Was M. nicht erwähnt, was aber einhellige Meinung der Exegeten ist, ist folgendes: Nicht erst das 3., sondern schon das 1. Bekenntniselement "der da ist" verweist nicht auf einen linear-chronologischen Zeitbegriff, sondern ist Umschreibung der Selbstvorstellung des Gottes des Bundes und des Exodus, des Gottes der Väter und Mütter Israels: "ICH werde dasein, als der ich jeweils gegenwärtig dasein werde". Von daher hat Barth im Jahr 1967, drei Jahre nach dem Erscheinen der Theologie der Hoffnung, ihrem konsequent-eschatologischen Konzept gegenüber zu Recht kritisch gefragt, ob das Bekenntnis von Apk 1,4 bzw. 4,8 nicht nur adventlich-eschatologisch, sondern auch bundestheologisch-exodusgeschichtlich und reichstheologisch zu verstehen sei (Briefe 1961-1968, 377). Darin ist die Intention M.s in seiner Exegese von Apk 1,4 aufgenommen, aber die Reichweite dieser Exegese im Blick auf Ex 3,14 erweitert. Noch elementarer formuliert: M.s Eschatologie kreist um die prophetische Verheißung von Jes 6,3: In der Neuschöpfung von Himmel und Erde wird die Fülle der Herrlichkeit Gottes wie den Himmel, so auch die ganze Erde erfüllen. Wenn diese Eschatologie der Fülle der Herrlichkeit Gottes in ihrer kosmischen Dimension das Integralere sein sollte, wäre das Zentrum unseres Betens: Alles, wie der Himmel so die Erde, werde erfüllt mit Deiner Herrlichkeit (Jes 6,3). Demgegenüber möchte ich auch als systematische Leitlinie bei dem Herrengebet bleiben: Dein Reich komme, Dein Tora-Wille geschehe, wie im Himmel so auch auf der Erde (Mt 6,10).

M.s Entwurf ist demgegenüber mehr schöpfungseschatologisch orientiert. Ich möchte mit Barth und Iwand, mit Kraus und Gollwitzer bundestheologisch-reichsgeschichtlich denken und von da aus fundamental auch schöpfungseschatologisch und also adventlich-antizipatorisch im Sinne M.s denken lernen. Ganz im Sinne M.s kann Iwand in einer unveröffentlichten Adventspredigt über Joh 1,19-34 sagen: "Denn Gott, das eben ist der Sinn dieses Protestes [Johannes’ des Täufers], Gott ist nicht, sondern kommt... Gott kommt. Ihr meint, er ist und darum könnte er nicht kommen... [Johannes] protestiert gegen diesen unseren Willen, den Advent zu vernichten. Aus dem Advent ein Dasein zu machen. Aus dem, was kommt, etwas, das gekommen ist".

Fussnoten:

* Moltmann, Jürgen: Das Kommen Gottes. Christliche Eschatologie. Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1995. 380 S. 8°. Kart. DM 48,­. ISBN 3-579-02007-2.