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Ausgabe:

Mai/1997

Spalte:

417–428

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Jean Zumstein

Titel/Untertitel:

Zur Geschichte des johanneischen Christentums

0. Einleitung

Unser Thema hat einen wichtigen Teil der Johannesforschung während der letzten Jahrzehnte beschäftigt.(1) Es kann folgendermaßen formuliert werden: Ist es möglich, die Geschichte des johanneischen Christentums zu rekonstruieren und insbesondere die verschiedenen Stufen herauszuarbeiten, die das Leben dieser Bewegung seit ihrer Entstehung bis zu ihrem Verschwinden im 2. Jh. n. Chr. geprägt haben?(2) Um diese Untersuchung durchzuführen, befinden wir uns in einer relativ günstigen Lage, denn wir verfügen über ein literarisches Korpus (darunter verstehe ich das vierte Evangelium und die drei Johannesbriefe), dessen Redaktion sich über eine ziemlich lange Zeitspanne erstreckte.(3) Die gesamte johanneische Literatur bildet also eine zusammenhängende Entwicklungslinie in der Welt des Urchristentums. Diese Entwicklungslinie zeichnet sich insofern durch Kohärenz aus, als die vier Schriften, die das joh Korpus bilden, sowohl historisch als auch theologisch eng miteinander verbunden sind. Die historische Verbindung besteht darin, daß jede neue Schrift des Korpus aus der durch die frühere Schrift ausgelösten Situation hervorgeht.(4) Die theologische Kontinuität besteht darin, daß sich jedes Dokument als die Relektüre des früheren versteht. So sind 2 und 3Joh jeweils ein Echo des im ersten Johannesbrief wahrnehmbaren Konflikts. Der erste Johannesbrief seinerseits ist ein "Kommentar" des Johannesevangeliums, und es dürfte ziemlich bekannt sein, daß das vierte Evangelium durch verschiedene, aufeinanderfolgende Redaktionen geprägt ist. Es ist also möglich, die Geschichte des johanneischen Christentums zu beschreiben, indem die sich aufeinanderfolgenden Relektüren(5) der johanneischen Tradition benannt und ihre Ursachen und ihre Wirkungen geklärt werden.

Gerade an diesem Punkt, d. h bei der historischen Auswertung der theologischen Relektüren, stellt sich ein wichtiges methodologisches Problem, welches vor allem das Evangelium betrifft. Das vorausgesetzte Textverständnis der klassischen Rekonstruktionen von Martyn, aber auch von Cullmann und Brown(6) ist das folgende: Der evangelische Bericht kann als das Spiegelbild der historischen Umstände gelesen werden, in denen er entstanden ist. Der Text ist transparent auf die außertextliche Wirklichkeit hin und ermöglicht dadurch einen unmittelbaren Zugang zu der Geschichte der Gruppe, welche ihn produzierte. Ricoeur(7) aber hat uns vor einer solchen Naivität gewarnt. Eine Erzählung distanziert sich immer von der Wirklichkeit, sie gestaltet eine spezifische Welt ­ die Welt des Textes, welche sich nicht zu unmittelbaren historischen Folgerungen eignet.

Unter einem literaturwissenschaftlichen Gesichtspunkt gehört das JohEv zur Gattung der historiographischen Erzählung. Das Verfahren der Mimesis, das jede Art von Erzählung kennzeichnet, umfaßt drei Momente: die "imitation" (Nachahmung), welche die Beziehung zur historischen Wirklichkeit bezeugt, die "configuration", welche die erzählte Wirklichkeit rekonstruiert, und die "refiguration", welche den Sinn des Geschehenen für die Leserschaft thematisiert. Insofern auf diese Weise eine spezifische Erzählwelt entsteht, hat man es beim JohEv mit einer "poetischen Geschichte" zu tun. Der Zweck der poetischen Geschichte besteht nicht darin, genaue historische Fakten darzustellen oder größere historische Zusammenhänge kausal zu erklären, sondern es geht darum, das Selbstverständnis einer Gruppe zur Sprache zu bringen und zu begründen. In diesem Sinn stellt das Evangelium das poetische Gedächtnis der joh Theologie dar.(8)

Wenn es also um die Rekonstruktion der Geschichte des johanneischen Christentums geht und das zu studierende Dokument das Evangelium ist, sind andere Arbeitsweisen vorzuziehen. Wir denken, daß die genaue Beurteilung der verwendeten argumentativen Strategien und die Rezeptionsgeschichte sicherere Methoden bieten, um hier zu historischen Urteilen zu gelangen.

Unser Verfahren kehrt die übliche chronologische Abfolge um.(9) Wir werden vom zweiten Jahrhundert ausgehen, um durch die verschiedenen Stufen bis zu den Anfängen des ersten Jahrhunderts zu gelangen. Der Vorteil dieser Arbeitsweise besteht darin, daß wir zunächst mit vorhandenen Dokumenten arbeiten können (die Zeugnisse des 2. Jh.s, die johanneischen Briefe und das vierte Evangelium in seiner kanonischen Form), bevor wir uns dem Treibsand der Literarkritik aussetzen. Das bedeutet zugleich: Je mehr sich die Untersuchung den Anfängen des joh Christentums nähern wird, desto hypothetischer werden ihre Resultate ausfallen.

1. Erste Stufe: Die Rezeption des Evangeliums im Christentum des zweiten Jahrhunderts(10)

Wie wurde das Johannesevangelium im 2. Jh. rezipiert, und was lehrt uns diese Rezeption über die joh Bewegung?

Die ersten eindeutigen Zeugnisse der kirchlichen Rezeption des JohEv stammen aus dem Ende des zweiten Jh.s. Es handelt sich um Theophilus von Antiochien, Irenäus von Lyon und den Kanon Muratori. Theophilus von Antiochien ist der erste Vertreter der Großkirche, der das vierte Evangelium zitiert.(11) Irenäus von Lyon seinerseits führt das JohEv in seiner großen Schrift "Gegen die Irrlehren" an. Sein Zitat zielt darauf, das vierte Evangelium als eine Waffe gegen die Gnosis, d. h. als ein Mittel zu ihrer Widerlegung darzustellen.(12) Schließlich betont der Kanon Muratori die Apostolizität des vierten Evangeliums und seine volle Übereinstimmung mit den anderen Evangelien. Besonders wichtig ist die Tatsache, daß der Kanon Muratori das vierte Evangelium beglaubigt, indem er den Prolog von 1Joh zitiert.(13) Der erste Johannesbrief wird also gleichsam zur Eingangstür des Evangeliums in den Kanon. Das joh Werk wird als orthodox erklärt und als Schrift der Großkirche der marcionitischen und montanistischen Irrlehre gegenüber anerkannt.

Diese Zeugnisse verweisen uns auf zwei Tatsachen. Einerseits führt von nun an das vierte Evangelium eine von seinem Produktionsmilieu unabhängige Existenz, da es von nicht-johanneischen Kirchen überliefert wird. Andererseits wird das Evangelium als eine orthodoxe Schrift anerkannt, welche polemisch gegen die Gnosis ausgerichtet ist.

Diese kirchlichen Zeugnisse sind freilich relativ spät. Insofern sind sie ein Beleg für das erstaunliche Schweigen der protokatholischen Kreise des 2. Jh.s über das Evangelium. Vor Theophilus und Irenäus wird das Evangelium nie eindeutig von den apostolischen Vätern zitiert. Zwar sollte dieses Schweigen nicht überinterpretiert werden.(14) Es verrät aber eine gewisse Zurückhaltung der Großkirche dem joh Werk gegenüber. Diese Zurückhaltung wird besser verständlich, sobald wir uns daran erinnern, daß der erste bekannte Exeget des vierten Evangeliums der Gnostiker Herakleon ist.(15) Dieses Mitglied der valentinianischen Schule zeigt uns durch seine kohärente und profilierte Auslegung des vierten Evangeliums an, daß das JohEv in der Mitte des 2. Jh.s zum Bestandteil der gnostischen Schriften geworden ist.

Die Zurückhaltung der Großkirche und die Leistung des Herakleon führen zu zwei interessanten Ergebnissen. Erstens: Das Evangelium lebt und wird durch nicht-joh Kirchen überliefert, wobei sich die Spur der joh Kirche im 2. Jh. verläuft.(16) Zweitens: Die Rezeption des Evangeliums ist vielfältig: Während es sich relativ spät in der Großkirche durchsetzt, wird es in den gnostischen Kreisen hoch geschätzt. Das Evangelium steht also im Zentrum eines Interpretationskonfliktes, und die zur Debatte stehende Frage ist folgende: Ist Johannes ein gnostisches Dokument oder eben die Widerlegung dieser Gnosis?

Die Rezeptionsgeschichte des vierten Evangeliums ihrerseits richtet unsere Aufmerksamkeit auf zwei wichtige Probleme. Erstens: Ist die spannungsvolle Auslegung des Johannes ein Merkmal des 2. Jh.s, oder ist sie ein festes Kennzeichen der joh Tradition? Provokativ formuliert: Ist das JohEv selbst ambivalent? Zweitens: Hatte diese spannungsvolle Interpretation des JohEv ein soziologisches Pendant? Mit anderen Worten: Haben die Spaltung und die Feindschaft der Gruppen, welche die joh Tradition im 2. Jh. überliefern, ihren Ursprung im joh Milieu selbst? In diesem Fall wäre anzunehmen, daß die joh Gemeinden zu einer bestimmten Zeit eine äußerst schwierige Krise durchlebt haben, die zu ihrem inneren Zusammenbruch geführt hat. Wir sind in der Lage, diese Frage einigermaßen zu klären, indem wir die frühere Stufe betrachten, nämlich die Redaktion der joh Briefe.

2. Zweite Stufe: Die Johannesbriefe und die Rezeption des Evangeliums

Trotz Strecker(17) bilden wahrscheinlich die drei Briefe die späteste Produktion der joh Schule und hängen eng miteinander zusammen.(18) Denn 2Joh nimmt die Themen von 1Joh (d. h. die Mahnung zur Bruderliebe und die Warnung vor den Irrlehrern) auf stereotype Weise wieder auf. Zudem werden der zweite und dritte Johannesbrief dem gleichen Verfasser, d. h. dem Ältesten, zugeschrieben. Übrigens scheint es angebracht, die drei Briefe der kanonischen Reihe nach zu lesen, obwohl es unmöglich ist, diese Vermutung hinreichend zu begründen. Falls diese chronologische Hypothese zutreffend wäre, würde sie den Niedergang der joh Schule in ihrem eigenen kirchlichen Milieu erkennen lassen.(19)

Die Johannesbriefe enthüllen als erste die Machtverhältnisse, die im joh Christentum bestehen. Die Existenz einer Briefliteratur bezeugt, daß wir es mit einem Bund von Kirchen zu tun haben. In dieser vielfältigen Gemeinschaft sind Opponenten aufgetreten, welche die in den joh Briefen dargestellte Auslegung des Glaubens in Frage stellen. Wenn es zutreffend ist, daß der Autorenkreis der Johannesbriefe zur joh Schule gehört, dann bedeutet dies, daß die theologische Ausrichtung der joh Schule in den joh Kirchen umstritten ist. Ja mehr noch: Da die Opponenten klare Erfolge erzielen und sogar die Mehrheit der joh Christen gewonnen zu haben scheinen, ist anzunehmen, daß der Einfluß der joh Schule abnimmt. Dieser Machtverlust wird durch 2 und 3Joh dokumentiert: Ist der Älteste in 2Joh noch in der Lage, einer Lokalgemeinde zu befehlen, wer empfangen werden soll und wer nicht, so hat dagegen dieser gleiche Älteste in 3Joh keinen Zugang mehr zur Gemeinde, an welche er sich richtet. Die kirchliche Macht liegt von nun an in den Händen einer dem joh Kreis feindlich gesinnten Person, des Diotrephes, und der Älteste sieht sich dazu gezwungen, um die Unterstützung eines Privatmannes ­ des Gaius ­ zu ersuchen. Der Älteste ist zum Outsider geworden. Wir vermögen also hier eine Phase zu entdecken, in der die joh Schule zuerst die Reduzierung und dann den Zusammenbruch ihrer Autorität erleidet.

Wie argumentiert die joh Schule in dieser konfliktgeladenen Situation, in der die traditionelle Lehre und insbesondere das christologische Credo heftig diskutiert wird? Interessanterweise klingt die Argumentation von 1Joh eher konservativ. Es geht darum, die Adressaten in ihrer bereits vertrauten Identität zu bestärken. Was ap arches, d. h. seit dem Anfang an gehört worden ist, soll bewahrt werden. Zudem hat das für 1Joh so typische Gebot der Bruderliebe eine theologische Funktion(20): Es zielt darauf, die Treue gegenüber dem religiösen Überzeugungssystem der Gemeinde aufrechtzuerhalten. Das häufig gebrauchte Verbum menein (bleiben) zielt in die gleiche Richtung. Kurz: Was zur Debatte steht, ist der ursprüngliche Sinn der joh Glaubenstradition.

Wenn diese Analyse zutreffend ist, dann lohnt es sich, zwei Punkte zu betonen. Die in 1Joh sich widerspiegelnde Krise bedeutet, daß das Evangelium ins Zentrum eines Interpretationskonfliktes geraten ist. Das Evangelium, dessen Glaubwürdigkeit durch die Gestalt des Lieblingsjüngers abgesichert werden sollte, übermittelt keine eindeutige Botschaft. Im Gegenteil! Zwei theologisch entgegengesetzte Lager, die zum gleichen kirchlichen Milieu gehören, können sich mit gutem Recht darauf berufen. Das Evangelium hat sein Ziel, eine regulative Schrift zu sein, verfehlt. Es benötigt offenbar einen hermeneutischen Kanon, dessen Ausdruck der erste Johannesbrief sein möchte.

Mit Brown(21) bin ich einverstanden zu behaupten, daß 1Joh der orthodoxe Kommentar des Evangeliums ist, dessen Funktion darin besteht, die Ambivalenz des Evangeliums zu neutralisieren. Zweite Bemerkung: Auch wenn die joh Schule auf der literarischen Ebene siegen wird, da ihre ganze Produktion im Kanon aufgenommen werden wird, so wird sie doch auf der kirchenpolitischen Ebene ihren Kampf verlieren, da die Mehrheit der joh Gemeinde sich ihrem Einfluß und damit der Eingliederung in die Großkirche entziehen wird. Die joh Theologie wird überleben, die joh Kirche dagegen wird sterben.

Kann man diesen Konflikt, der solche schwere kirchliche Folgen zeitigte, näher bestimmen? Die zur Diskussion stehenden Fragen umfassen nicht nur die Identität Christi, sondern auch die Wirksamkeit des Geistes, die Gotteserkenntnis, die Schuldlosigkeit und das Liebesgebot. Wie Schmithals(22) zutreffend beobachtet hat, handelt es sich um eine Konstellation, welche sich der gnostischen Bewegung nähert. Dieser gnostisierende Diskussionsrahmen wird wahrscheinlich durch die Opponenten aufgezwungen, welche auf diese Weise eine schon im Evangelium angelegte Sinnpotentialität zur Entfaltung bringen. Es handelt sich wahrscheinlich um radikale Johanniten, die diesen vom Evangelium zur Gnosis führenden Weg eingeschlagen haben.

Der Autorenkreis der Briefe entwickelt dagegen ein protokatholisches Denken, dessen erste Spur bereits in Joh 21 faßbar wird. In dieser Hinsicht sind die soteriologische Bedeutung der Inkarnation und des Sühnetodes Christi, das Gewicht des Lehramtes und der Tradition, und schließlich die Wiederaufnahme der traditionellen Eschatologie Hinweise auf die Entwicklungslinie, welche vom Evangelium zur Großkirche führt.

Fazit: Diese zweite Stufe gibt uns einen Einblick in das letzte Entwicklungsstadium der joh Gemeinden. Diese Periode zeichnet sich durch die innere Krise des joh Milieus ab, da die Urkunde dieser Gemeinschaft, d. h. das JohEv, nicht in der Lage war, die Glaubenseinheit dieser Christen herzustellen. Im Gegenteil! Ein Interpretationskonflikt spaltete dieses Milieu und bewirkte seinen inneren Zusammenbruch. Unter einem kirchenpolitischen Gesichtspunkt scheinen die radikalen Johanniten über die traditionellen gesiegt zu haben. Die joh Schule hat ihren Kirchenkampf verloren.

Wie stellt sich uns dieses umstrittene Evangelium vor?

3. Dritte Stufe: Die Endredaktion des Evangeliums

Das vierte Evangelium ist nicht aus einem Guß geschrieben worden. Es hat mehrere Redaktionen erfahren. Diese banale, aber sichere Feststellung macht uns auf einen Punkt aufmerksam. Die ständig wiederaufgenommene Arbeit verweist auf die Existenz eines Produktionsmilieus, welches einen gewissen Organisationsgrad aufweist und kontinuierlich arbeitet. Dieses Produktionsmilieu, das wir die joh Schule nennen, bildet eine spezifische Größe innerhalb der joh Kirchen. Sie ist der Ort, wo die Glaubenstraditionen dieser Gemeinden gesammelt, weiterentwickelt und aktualisiert werden.(23) Die Existenz dieses theologischen Kreises hat Konsequenzen für die Exegese des Johannesevangeliums. Denn insofern das vierte Evangelium das Ergebnis einer Interpretationsdynamik ist, muß es zugleich als Tradition im Werden als auch als vollendete literarische Einheit gelesen werden. Die Ablehnung eines der beiden Elemente dieser Dialektik, sei es im Namen einer übertriebenen Literarkritik, sei es im Namen einer dogmatischen synchronen Lektüre, verbaut den Zugang zur literarischen Eigenart des vierten Evangeliums.

Das Kap. 21 liefert uns das klarste und sicherste Beispiel der Endredaktion.(24) Während das Evangelium im ganzen christologisch ausgerichtet ist, vollzieht dieser Epilog die Verkirchlichung des Evangeliums. Die Gestalten des Petrus und des Lieblingsjüngers bilden die thematische Mitte dieses Abschnittes. Im Gegensatz zum Rest des Evangeliums, wo Petrus eine blasse und minderwertige Rolle spielt, wird der Apostelfürst in Kap. 21 als der Hirt der universalen Kirche und als der ruhmvolle Märtyrer anerkannt; seine späte Liebe zu Christus tilgt seine frühere Verleugnung. Der Lieblingsjünger seinerseits wird als der scharfsinnige und hervorragende Zeuge herausgestellt, dessen Gegenwart sich bis zur Parusie in der Schrift, deren Verfasser und Garant er ist, objektiviert. Ein subtiles Spiel kommt zwischen den beiden Gestalten zustande. Indem das joh Milieu die Rolle und die Bedeutung des Petrus anerkennt, öffnet es sich zur Großkirche hin, deren Existenz und Legitimität bestätigt werden. Andererseits will das joh Christentum, indem es sich der oikoumene, ihr zugleich seine Schrift ­ d. h. das vierte Evangelium ­ anbieten, denn diese Schrift wird als die unüberholbare Auslegung Christi betrachtet, da sein Urheber der Liebling Jesu war. Übrigens werden durch die Erwähnung der Eucharistie als Modus der nachösterlichen Präsenz Christi und durch die Andeutung auf die Parusie weitere Brücken zwischen der Tradition der Großkirche und dem joh Christentum errichtet.

Das Kap. 21 vertritt also eine Stufe der Stabilisierung in der Geschichte des joh Christentums. Es ist nicht mehr die Zeit, den evangelischen Bericht zu erweitern. Im Gegenteil; von nun an wird das vierte Evangelium als ein abgeschlossenes Werk, d. h. als Schrift betrachtet. Die Aufgabe der Stunde besteht darin, den dokumentarischen und theologischen Stellenwert des Evangeliums sowohl für die joh Gemeinden als auch für die gesamte Kirche zu betonen.

Wann wurde eine solche Arbeit denkbar? Als Hypothese schlagen wir vor, daß diese Endredaktion durchgeführt wurde, als die joh Gemeinden und ihre Schule Syrien wegen der synagogalen Verfolgung verlassen mußten, um nach Kleinasien zu fliehen, wo sich die weitere Geschichte der joh Bewegung abspielte.(25) Gegenüber dem kleinasiatischen Christentum behauptet das Kap. 21 zugleich die Legitimität des joh Christentums wie auch seine Öffnung zur Großkirche hin.

4. Vierte Stufe: Das johanneische Evangelium

Die Endredaktion unterscheidet sich vom Evangelium durch einige wenige, aber prägnante Einfügungen. Als Beispiele seien außer dem Kap. 21 einige Glossen über die traditionelle Eschatologie und die Sakramente, das Ende des Kap. 3 oder manche Teile der Abschiedsreden angeführt. Im Unterschied zu Bultmann(26) sei allerdings angemerkt, daß diese von der joh Schule vorgenommenen Einfügungen das Evangelium nicht korrigieren oder sogar zensieren, sondern die vorhandene Tradition weiter reflektieren und aktualisieren wollten.(27)

In welchem historischen Kontext ist das Evangelium entstanden? Handelt es sich um eine andere Situation als diejenige der Endredaktion? Die einzigen ausdrücklichen Angaben im Text hierzu lassen keinen Zweifel aufkommen. Die durch die joh Erzählung sich widerspiegelnde Krise ist der Ausschluß der Christen aus der pharisäischen Synagoge.(28)Die Absicht des nach dieser dramatischen Trennung abgefaßten Evangeliums besteht darin, die theologischen, sozialen und kirchlichen Konsequenzen dieses brudermörderischen Konfliktes aufzuarbeiten. Das Evangelium versucht, verfolgten, in ihrem sozialen Status bedrohten, in ihrer Überzeugung erschütterten Christen die Relevanz ihres Glaubens neu aufzuzeigen, ihre religiöse Identität wieder aufzubauen, indem die Legitimität des christlichen Anspruchs entfaltet wird.

Das bedeutet, daß die Gnosis nicht das zur Debatte stehende Problem zur Zeit der Abfassung des Evangeliums ist, sei es, daß sich das Evangelium mit der Gnosis polemisch auseinandersetzen würde (so Bultmann(29)), sei es, daß das Evangelium als das naive und unbewußte Zeugnis der sich ausbildenden Gnosis betrachtet werden sollte (so Käsemann(30)). Mit Köster(31) gilt es vielmehr zu behaupten, daß die sich im Evangelium finden den Traditionen Motive enthalten, die für eine gnostisierende Interpretation geeignet wären, aber daß diese Motive eben auf nicht-gnostische Weise im Evangelium verarbeitet sind. Die Stunde der Auseinandersetzung mit der Gnosis fängt erst mit den Briefen an und erreicht ihren Höhepunkt in der Rezeptionsgeschichte des 2. Jh.s.(32) Die gnostische Lektüre ist eine Sinnpotentialität des Johannesevangeliums, aber keine seine Entstehung betreffende Fragestellung.

Nach der historischen Einordnung des Evangeliums soll seine literarische Organisation näher untersucht werden, damit seine Strategie seiner Leserschaft gegenüber klar in Erscheinung tritt. In dieser Hinsicht gilt es, an die rhetorische Ausrichtung des Evangeliums zu erinnern. Unsere historische These, wonach die Adressaten die aus der Synagoge ausgeschlossenen Christen seien, schließt ein, daß das JohEv nicht missionarisch orientiert, sondern in erster Linie an den engen Kreis der Gläubigen gerichtet ist. Dieses Urteil wird durch die literarischen Verfahren, die im Text in Bewegung gesetzt werden, gestützt.(33) Die symbolische Sprache mit ihrem Doppelsinn, ihren Andeutungen und Rückverweisen ist nur für Eingeweihte verständlich. Auf gleiche Weise setzt die Ironie, die den ganzen Text durchzieht, ein tiefes Einverständnis zwischen dem Verfasser und seinen Adressaten voraus. Wie der Schluß Joh 20,30 f. betont, ist das Evangelium an die Gläubigen gerichtet, um sie zum Glauben zu rufen. Die Paradoxie ist nur scheinbar: Die pragmatische Wirkung des joh Berichtes ist dann erreicht, wenn der Glaube der Gläubigen gestärkt und geklärt wird.(34)

Wenn das vierte Evangelium tatsächlich die Vermittlung einer Strukturierung des Glaubens darstellt, das Mittel, das den Übergang von einem ungenügenden zu einem vollendeten Glauben ermöglicht, dann stellt sich die Frage, welches die Sache ist, die durch diese Stufenhermeneutik(35) zur Sprache gebracht wird. Der Schluß in Joh 20,30 f. zeigt ganz klar, daß es um die christologische Identität, d. h. um die Akzentuierung der hohen Christologie geht.

Diese hohe Christologie wird programmatisch im Prolog formuliert, wo der Erzähler seinen Gesichtspunkt über die folgende Erzählung ausdrückt. In dem von der Welt verkannten, abgelehnten und verworfenen Christus gilt es den präexistenten Logos, den Vermittler der Schöpfung, die Quelle jeder Gnade und die einzige ’Erzählung’ Gottes wahrzunehmen. Die Erkenntnis dieser vollendeten christologischen Identität ist soteriologischer Natur, d. h. sie bringt das ewige Leben mit sich.

Die darauffolgende Evangelienerzählung entwickelt diese christologische These. Die Handlung ist nicht dramatisch, sondern thematisch konzipiert.(36) Im vierten Evangelium geschieht nichts ­ außer der ausführlichen Entfaltung der Offenbarung.

Die Berichte des ersten Teiles des Evangeliums versuchen stets, den Leser in seinem elementaren und problematisierten Glauben anzusprechen, um darauf eine neue und höhere Stufe des Glaubens zu erreichen. Mit Nikodemus, der Samariterin, dem Blindgeborenen, Lazarus usw. werden Glaubenswege vorgeschlagen, mit Hilfe derer das Glaubensverständnis allmählich entwickelt, verfeinert und strukturiert wird. Der zweite Teil des Evangeliums, der die Offenbarung Christi vor den Seinen darstellt, fügt eine neue Dimension zu dieser Klärung der Glaubensrelevanz hinzu, indem die nachösterliche Frage grundsätzlich angegangen wird, nämlich: Wie wird der Scheidende nach Ostern wieder bei der Gemeinde sein können? Wie ist der Abwesende anwesend?

Die Mißverständnisse und die ironischen Stellen, die die Erzählung prägen, sind als Orientierungen für den Leser konzipiert. Dank dieser literarischen Verfahren ist der Leser in der Lage, Distanz zu gewinnen, gleichsam eine Distanz des Denkens; der Leser wird befähigt, über den Sinn der erzählten Geschichte nachzudenken, zugleich jedoch wird ihm die richtige Interpretation angedeutet.

Fazit: Diese vierte Stufe führt uns zu einem Schlüsselmoment der joh Entwicklungslinie. Den joh Christen, die wahrscheinlich in ihrer sozialen und religiösen Identität bedroht sind, die durch Verleugnungen dezimiert worden sind, wird von der joh Schule ein Glaubensbuch vorgeschlagen, dessen Absicht die Bestärkung ihrer Überzeugung und die Vertiefung ihrer Christuserkenntnis ist.

5. Fünfte Stufe: Vor der Redaktion des Evangeliums

Der Entwurf der vier Stufen, die ich bis jetzt vorgeschlagen habe, könnte ­ so hoffe ich zumindest ­ eine relativ breite Zustimmung erfahren. Hingegen fehlt bis heute für die fünfte Stufe, d. h. für die Zeit vor der Redaktion des Evangeliums, ein auch nur minimaler Konsens.(37) Diese Aporie kann aus folgenden Gründen erklärt werden.

Einerseits verfügen wir für diese Periode über kein schriftliches Dokument. Wir müssen uns also auf hypothetische literarkritische Rekonstruktionen von Schriften oder Quellen verlassen. Da sichere Kriterien fehlen und da die Dokumentation ungenügend bleibt, ist leider bis heute keine Theorie über die Entstehung des vierten Evangeliums vorgeschlagen worden, die mehr als eine unverifizierbare Hypothese sein könnte.(38) Wenn aber die Trennung zwischen den literarischen Schichten fast ausweglos scheint, dann wird ihre chronologische Einordnung um so problematischer. Unter diesen Umständen sind die historischen Rekonstruktionen der Vorgeschichte des Evangeliums im besten Fall als anregende und bedenkenswerte Hypothesen zu betrachten.(39)

In dieser leicht frustrierenden Lage möchte ich dennoch fünf Bemerkungen wagen.

Erstens: Die Tatsache, die uns trotz allem dazu zwingt, die diachrone Frage zu stellen, besteht in der Feststellung, daß das JohEv auf Schritt und Tritt Spuren von literarischen Entwicklungsprozessen aufweist. Der Text stellt sich als eine Abfolge von Lektüren dar ­ welches auch immer unsere Schwierigkeit sei, sie voneinander zu unterscheiden und chronologisch einzuordnen. Der Prolog, die Tempelreinigung, die Heilung des Gelähmten am Teich Bethesda, die Fußwaschung, die Abschiedsreden ­ und ich könnte ohne weiteres die Aufzählung fortsetzen ­ bezeugen dieses Phänomen einer Tradition, die eine Reihe von aufeinanderfolgenden Relektüren auslöst.(40)

Zweitens: Diese Relektüren stehen untereinander nicht im Widerspruch,(41) obwohl diese These ein Refrain der Forschung bildet.(42) Cum grano salis verbringt die joh Schule ihre Zeit nicht damit, ihr theologisches Denken jeweils völlig umzukrempeln und von einer Negation zur anderen zu springen. Da diese verschiedenen Relektüren bis zur Endredaktion aufbewahrt worden sind, sollten sie als eine beabsichtigte Sinnvertiefung und Aktualisierung der empfangenen Tradition begriffen werden.

Drittens: Diese Kohärenz in der Abfolge der Relektüren verweist auf ein soziologisch kohärentes und beständiges Milieu: die joh Schule, welche die theologische Verantwortung innerhalb des joh Gemeindeverbandes trägt. Das Johannesevangelium ist nicht der geniale Einfall einer außerordentlichen Persönlichkeit im Himmel des Urchristentums, sondern das Zeugnis einer sozial organisierten Gruppe.

Viertens: Schon vor der Redaktion des Evangeliums bildet das joh Christentum eine spezifische Entwicklungslinie im Rahmen des Urchristentums. Die Begegnung mit der Großkirche, welche sich auf das deuteropaulinische und synoptische Traditionsgut stützt, steht am Ende und nicht am Anfang der joh Geschichte.

Fünftens: Es wird häufig angenommen ­ und meines Erachtens zu Recht ­, die theologische Grundaussage des Evangeliums bestehe in der hohen Christologie. Ich möchte dem hinzufügen, daß diese hohe Christologie keine spätere Entwicklung einer ursprünglich niedrigen Christologie bildet (so z. B. Richter und Brown). Wie der Prolog und die ältesten in den joh christologischen Reden verarbeiteten Logien beweisen, ist die hohe Christologie sehr früh entstanden und vielleicht sogar an den Anfang der joh Entwicklungslinie zu setzen.(43) Die Leistung des Verfassers des Evangeliums besteht nicht darin, die hohe Christologie konzipiert, sondern dieses christologische Modell streng mit dem Passionskerygma verbunden zu haben.(44)

6. Schluß

Am Ende dieses kurzen Überblicks möchte ich auf drei Überlegungen hinweisen, die aus diesem Entwurf der joh Entwicklungslinie hervorgehen.

Der erste Aspekt, der eine weitere Analyse verdienen sollte, besteht in der Dialektik zwischen der Kohärenz und der Kontingenz, welche die joh Entwicklungslinie kennzeichnet. Die joh Theologie weist eine gewisse Kohärenz auf, indem sie eine eigenständige, originale und auf sich selbst gründende Auslegung des christlichen Glaubens darstellt. In diesem Sinn ist Theologie die notwendige Verdeutlichung des Glaubens durch sich selbst.(45) Andererseits aber ist diese Kohärenz durch die historische Faktizität ständig auf dem Prüfstand und in Frage gestellt. In dieser Hinsicht gestaltet die joh Theologie ebenso die Geschichte des joh Christentums wie sie durch die ihr widerfahrenen Umstände beeinflußt wird. Die joh Theologie ist sowohl eine wirkende als auch eine gewirkte, sowohl eine schöpferische als auch eine reaktive. Sowohl eine einfache historisch-reduktionistische Erklärung als auch eine idealistische Wahrnehmung verfehlen ihr Wesen.

Ein zweiter Aspekt betrifft die Schriftauffassung. Das joh Korpus, das einen Teil der neutestamentlichen Schrift bilden und im Kanon zum Stillstand kommen wird, umfaßt eine Reihe von Relektüren. Die Tatsache, daß sich die auf Normierung berufende Schrift durch ihre Interpretationsdynamik, durch ihre unaufhörlichen Klärungsversuche,durch ihren ständigen Kampf für ihre Selbstverdeutlichung und ihre richtige Selbstinterpretation auszeichnet, plädiert für eine Schrift in Bewegung, für eine jeder Sakralisation widerstehende Schrift.

Der dritte Aspekt, auf den ich aufmerksam machen möchte, ist das Schicksal des joh Korpus. Diese Schriftsammlung, die sich im christlichen Kanon durchgesetzt hat und Wort Gottes für den Glauben geworden ist, ist im Versuch gescheitert, die Einheit und Identität der joh Kirchen herzustellen. Es genügt nicht, daß eine Glaubensinterpretation echt sei, um die Gläubigen zu überzeugen, und umgekehrt ist es gar nicht so sicher, daß das die Kirche beeindruckende Wort unproblematisch sei. Auch das Wort, das im joh Werk zur Sprache gekommen ist, unterliegt der Begrenztheit und Endlichkeit der Menschwerdung.

Fussnoten:

(1) Zur Forschungsgeschichte, vgl. J. Becker, Aus der Literatur zum Johannesevangelium (1978-1980), ThR 47 (1982) 279-301. 305-347; ders., Das Johannesevangelium im Streit der Methoden (1980-1984), ThR 51 (1986) 1-78; R. Kysar, The Fourth Evangelist and His Gospel. An Examination of Contemporary Scholarship, Minneapolis, Minnesota, 1975; ders., The Fourth Gospel. A Report on Recent Research, ANRW II 25.3 (1985) 2389-2480; H. Thyen, Aus der Literatur zum Johannesevangelium, ThR 39 (1974) 1-69. 222-253; ders., 40 (1975) 289-330; ders., 42 (1977) 211-270; ders., 43 (1978) 328-359; ders., 44 (1979) 97-134.
(2) Stand der Forschung über die Geschichte der joh Gemeinde bei J. Becker, Das Evangelium nach Johannes. Kapitel 1-10 (ÖTBK 4/1), Gütersloh/Würzburg 31991, 53-62; R. E. Brown, The Community of the Beloved Disciple. The Life, Loves, and Hates of an Individual Church in New Testament Times, New York 1979, 171-182; Kysar, Fourth Gospel (s. Anm. 1), 2432-2435.
(3) Nach meiner Einschätzung gehört die Offenbarung des Johannes nicht zu den das joh Korpus bildenden Dokumenten. Ich stimme H. Köster zu, wenn er über eine mögliche Identifizierung des Verfassers der Apk mit demjenigen des Johannesevangeliums schreibt: "Das verbietet die Unterschiede in Sprache und Begrifflichkeit und die völlig verschiedene Art des theologischen Denkens und Argumentierens" (Einführung in das Neue Testament im Rahmen der Religionsgeschichte und Kulturgeschichte der hellenistischen und römischen Zeit, Berlin/New York 1980, 684-685); siehe zuletzt in die gleiche Richtung U. Schnelle, Einführung in das Neue Testament (UTB 1830), Göttingen 21996, 588-591. Über die Datierung des joh Korpus läßt sich mit einiger Sicherheit folgendes sagen: zwischen den Traditionen, auf welche sich das Evangelium stützt (erste Hälfte des 1. Jh.s) und der Endredaktion des Evangeliums resp. der joh Briefe (Anfang des 2.Jh.s) ist mit einer Zeitspanne von siebzig Jahren zu rechnen.
(4) Das Evangelium wurde kurz nach dem Bruch mit der Synagoge geschrieben, um die Glaubensidentität der beunruhigten Christen zu bestärken. 1Joh läßt erahnen, daß das Evangelium nicht nur dieses erhoffte Ziel nicht erreichte, sondern daß es auch eine neue Krise auslöste, mit welcher sich 1Joh auseinandersetzt. 2Joh und 3Joh schildern die erneute Erfolglosigkeit dieses zweiten Versuchs.
(5) Zum Begriff der Relecture siehe J. Zumstein, Der Prozeß der Relecture in der johanneischen Literatur, NTS 42 (1996) 394-411.
(6) Vgl. Brown, Community (s. Anm. 2); O. Cullmann, Der johanneische Kreis. Zum Ursprung des Johannesevangeliums, Tübingen, 1975; J. L. Martyn, The Gospel of John in Christian History, New York 1978, 90-121.
(7) S. P. Ricoeur, La fonction herméneutique de la distanciation, in: Exegesis, éd. par F. Bovon/G. Rouiller, Neuchâtel/Paris 1975, 201-215; ders., Temps et récit, Band I (L’ordre philosophique), Paris 1983.
(8) Vgl. P. Ricoeur, La critique et la conviction, Paris 1995, 128-136.
(9) Dasselbe Verfahren wurde auch gewählt von M. Hengel, Die johanneische Frage. Ein Lösungsversuch, mit einem Beitrag zur Apokalypse von J. Frey (WUNT 67), Tübingen 1993. Allerdings hatte ich dieses Verfahren schon 1990 vorgeschlagen (vgl. J. Zumstein, La communauté johannique et son histoire, in: La communauté johannique et son histoire. La trajectoire de l’ évangile de Jean aux deux premiers siècles, éd. par J. D. Kaestli/J. M. Poffet/J. Zumstein [MoBi 20], Genève 1990, 359-374).
(10) Über die Rezeptionsgeschichte des joh Korpus im 2. Jh. siehe die ausführliche Analyse von Hengel, Frage (s. Anm. 9), 9-95.
(11) Siehe Ad Autolycum 2,22.
(12) Vgl. Irenäus, Adv. haer., III, 11, 1.
(13) Der Canon Muratori erklärt (nach der Übersetzung von B. C. Metzger, Der Kanon des Neuen Testaments. Entstehung, Entwicklung, Bedeutung, Düsseldorf 1993, 288): "(9)... Das vierte der Evangelien, des Johannes, [eines] von den Jüngern... (15)... Und deshalb, wenn auch verschiedene Einzelheiten in den einzelnen Evangelienbüchern gelehrt werden, trägt es doch für den Glauben der Gläubigen nichts aus, da alles, durch den einen göttlichen Geist (20) allen [in allen Evangelien] erklärt ist: die Geburt, das Leiden, die Auferstehung, der Umgang mit seinen Jüngern und über seine doppelte Ankunft, erstens verachtet in Niedrigkeit, was geschehen ist, (25) zweitens herrlich in königlicher Macht, was noch geschehen wird. Was Wunder also, wenn Johannes, so sich gleichbleibend, das Einzelne auch in seinen Briefen vorbringt, wo er von sich selbst sagt: Was wir gesehen haben mit unseren Augen (30) und mit den Ohren gehört haben und unsere Hände betastet haben, das haben wir euch geschrieben. Denn damit bekennt er [sich] nicht nur als Augen- und Ohrenzeuge, sondern auch als Schriftsteller aller Wunder des Herrn der Reihe nach."
(14) Während des zweiten Jh.s gilt allerdings dieses relative Schweigen für die meisten neutestamentlichen Schriften.
(15) Die Interpretation des Johannesvangeliums von Herakleon ist zum Teil zugänglich in den von Origenes in seinem Kommentar ausgeführten Zitaten (vgl. A. E. Brooke, The Fragments of Heracleon. Texts and Studies I,4, Cambridge 1891). Eine gute Analyse dieser Zitate ist bei J. D. Kaestli, Le quatrième évangile dans l’exégèse valentinienne, in: La communauté johannique (s. Anm. 9), 323-350, zu finden.
(16) Vgl. J. D. Kaestli, Le mystère de la croix de lumière et le johannisme (Actes de Jean 94-102), Foi et Vie. Cahiers bibliques 26 (1987) 35-46, der sich für ein gewisses Überleben der johanneischen Bewegung im 2. Jh. ausspricht.
(17) Siehe G. Strecker, Die Anfänge der johanneischen Schule, NTS 32 (1986) 31-47.
(18) Stand der Forschung bei R. E. Brown, The Epistles of John (AncB 30), New York 1982, 32-35; H.-J. Klauck, Die Johannesbriefe (EdF 276), Darmstadt 1991, 88-126.
(19) Zu dieser Frage, siehe Brown, Epistles (s. Anm. 18), 30-32. Übrigens wird hier 1Joh in seiner kanonischen Form gelesen, abgesehen von den literarkritischen Stufen, die dieser Brief enthalten haben könnte. Mangels eines bestehenden Konsenses bleibt die Geschichte der Tradition von 1Joh noch zu schreiben (Stand der Forschung bei Brown, ebd. 36-46, und Klauck, Johannesbriefe [s. Anm. 18], 51-58).
(20) Vgl. F. Vouga, La réception de la théologie johannique dans les épîtres, in: La communauté johannique (s. Anm. 9), 283-302.
(21) Vgl. Brown, Epistles (s. Anm. 18), 90-92.
(22) Vgl. W. Schmithals, Neues Testament und Gnosis (EdF 208), Darmstadt 1984, 106-110. Eine gewiß interessante Frage wäre die folgende: Tauchen in den joh Traditionen, auf die sich 1Joh stützt, gnostische Motive auf, die im Evangelium noch unbekannt sind? Ein solcher Befund würde die Entwicklung einer gnostisierenden Bewegung in der joh Schule vor der Abfassung von 1Joh wahrscheinlich machen.
(23) Über die joh Schule vgl. die grundlegende Untersuchung von R. A. Culpepper, The Johannine School: An Evaluation of the Johannine-School Hypothesis Based on an Investigation of the Nature of Ancient Schools (SBL.DS 26), Missoula 1975.
(24) Vgl. J. Zumstein, La rédaction finale de l’évangile selon Jean (à l’ exemple du chap. 21), in: La communauté johannique (s. Anm. 9), 207-230.
(25) Vgl. etwa B. Olsson, The History of the Johannine Movement, in: Aspects on the Johannine Literature, ed. by L. Hartman/B. Olsson (CB.NTS 18), Uppsala 1987, 27-43 (insb. 32-33).
(26) Vgl. R. Bultmann, Art. Johannesevangelium, RGG3 III, 840-851 (hier 841).
(27) Es könnte sein, daß, im Verlaufe dieses Prozesses, die Sorge um die Kompatibilität der joh Tradition mit dem Glauben der Großkirche eine gewisse Rolle spielte.
(28) Vgl. J. L. Martyn, History and Theology in the Fourth Gospel, Nashville 21979, 24-62; K. Wengst, Bedrängte Gemeinde und verherrlichter Christus. Ein Versuch über das Johannesevangelium, München 31990; (KT 114) 41992.
(29) Vgl. etwa Bultmann, Art. Johannesvangelium (s. Anm. 26), 846-848; ders., Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 91984, 362-366.
(30) Vgl. E. Käsemann, Jesu letzter Wille nach Johannes 17, Tübingen, 41980; L. Schottroff, Der Glaubende und die feindliche Welt. Beobachtungen zum gnostischen Dualismus und seiner Bedeutung für Paulus und das Johannesevangelium (WMANT 37), Neukirchen-Vluyn 1970.
(31) Vgl. H. Köster, Les discours d’adieu de l’Evangile de Jean: leur trajectoire au premier et au deuxième siècle, in: La communauté johannique (s. Anm. 9) 269-280.
(32) Vgl. Brown, Community (s. Anm. 2) 103 ff.
(33) Vgl. R. A. Culpepper, Anatomy of the Fourth Gospel. A Study in Literary Design (Foundations & Facets: New Testament), Philadelphia 1983, 150-202.
(34) Vgl. J. Zumstein, L’évangile johannique: une stratégie du croire, RSR 77 (1989) 217-232 (auch in: ders., Miettes exégétiques [MoBi 25], Genève 1991, 237-252).
(35) Der Begriff der Stufenhermeneutik wurde zum ersten Mal von G. Theissen vorgeschlagen. In dieselbe Richtung zielten bereits: Culpepper, Anatomy (s. Anm. 33), insb. 224-25; Martyn, History and Theology (s. Anm. 28), 130; W. A. Meeks, Die Funktion des vom Himmel herabgestiegenen Offenbarers für das Selbstverständnis der johanneischen Gemeinde, in: ders., Soziologie des Urchristentums. Ausgewählte Beiträge zum frühchristlichen Gemeinschaftsleben in seiner gesellschaftlichen Umwelt (TB 62), München 1979, 261.
(36) Vgl. Culpepper, Anatomy (s. Anm. 33), 86 ff.; ders., L’application de la narratologie à l’étude de l’évangile de Jean, in: La communauté (s. Anm. 9), 97-121.
(37) Vgl. die symptomatische Bemerkung von E. Schweizer, Theologische Einleitung in das Neue Testament (GNT 2), Göttingen 1989, 141: "Bei diesem ’Schmerzenskind der neutestamentlichen Wissenschaft’ ist ungefähr alles umstritten".
(38) Über die methodologischen Gründe dieser Sackgasse vgl. die Ausführungen von H. Kohler, Kreuz und Menschwerdung im Johannesevangelium: Ein exegetisch-hermeneutischer Versuch zur johanneischen Kreuzestheologie (AThANT 72), Zürich 1987, 85-124, und U. Schnelle, Antidoketische Christologie im Johannesevangelium. Eine Untersuchung zur Stellung des vierten Evangeliums in der johanneischen Schule (FRLANT 144), Göttingen 1987, 11-36.
(39) J. Becker faßt seine Theorie zusammen im Artikel ’Literatur’ (s. Anm. 1), 308-309; vgl. M.-E. Boismard/A. Lamouille, L’Evangile de Jean (Synopse des quatre Evangiles en français, Band 3), Paris 1977 (insb. 16-70); Brown, Community (s. Anm. 2), 25-58; Martyn, The Gospel of John in Christian History (s. Anm. 6), 90-121; G. Richter, Zum gemeindebildenden Element in den johanneischen Schriften, in: ders., Studien zum Johannesevangelium, hrsg. von J. Hainz (BU 13), Regensburg 1977, 401-412.
(40) Der schwache Punkt der klassischen literarkritischen Analysen besteht darin, daß Textstufen zwar voneinander unterschieden werden, ohne jedoch die sie verbindenden Interaktionen hervorzuheben. Es sollte aber berücksichtigt werden, daß die Rezeption einer Tradition sowohl ihre konsequente und übereinstimmende Übernahme als auch gleichzeitig ihre Weiterinterpretation ­ und damit eine gewisse Verlagerung ­ miteinschließt.
(41) Vgl. Schnelle, Antidoketische Christologie (s. Anm. 38), 18-19.
(42) Vgl. Bultmann, Art. Johannesevangelium (s. Anm. 26), 841-843, und Richter, Zum gemeindebildenden Element (s. Anm. 39), 401-412.
(43) Köster, Einführung (s. Anm. 3), 616-624.
(44) Begründung dieser These bei J. Zumstein, L’interprétation johannique de la mort du Christ, in: The Four Gospels 1992 (FS Frans Neyrinck), hrsg. von F. Van Segbroeck u.a. (BEThL 100), Leuven 1992, 2119-2138.
(45) In diesem Sinne siehe H. Weder, Die Menschwerdung Gottes. Überlegungen zur Auslegungsproblematik des Johannesevangeliums am Beispiel von Joh 6, ZThK 82 (1985) 325-360.